Süddeutsche Zeitung

Länderfinanzausgleich:Bluten für die Hauptstadt

Neue Zahlen beweisen: Berlin ist der größte Profiteur des Länderfinanzausgleichs - mit Riesenabstand. 45 Milliarden Euro kassierte die Metropole seit der deutschen Einheit.

Von Guido Bohsem, Berlin

Im kommenden Monat soll es soweit sein. Vermutlich gemeinsam wollen Hessen und Bayern vor das Verfassungsgericht ziehen, um den Länderfinanzausgleich zu kippen. Ihre Begründung: Der Mechanismus, der für gleichmäßige Lebensverhältnisse in der gesamten Republik sorgen soll, schmälere ihre Finanzlage derart stark, dass pro Einwohner weniger Geld zur Verfügung steht als in manchem Nehmerland. Leistung lohnt sich also nicht. Zu ihrer Klage sehen sich die beiden Länder auch deswegen gezwungen, weil Verhandlungen mit den anderen 14 Bundesländern bislang keinerlei Ergebnisse gebracht haben.

Die beiden Bundesländer erhalten nun Unterstützung von unerwarteter Seite. Erstmals hat die Bundesregierung einen Überblick über die Entwicklung des Länderfinanzausgleichs seit der deutschen Wiedervereinigung vorgelegt - und dieser liefert durchaus beeindruckende Erkenntnisse.

Unter dem Strich haben nur fünf Länder eingezahlt

Wie aus einer schriftlichen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Finanzpolitikerin Barbara Höll hervorgeht, haben die sogenannten Geberländer seit 1990 gut 128 Milliarden Euro aufgebracht. Unter dem Strich haben dabei lediglich fünf Länder eingezahlt: Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Die letzteren drei haben davon den Löwenanteil getragen, wobei Hessen und Bayern* mit etwa 38 Milliarden Euro rund drei Milliarden Euro mehr als Baden-Württemberg aufbringen mussten. Hamburg zahlte gut 5,2 Milliarden Euro und Nordrhein-Westfalen etwas mehr als 11,1 Milliarden Euro ein.

Berlin hat mit Abstand am meisten vom Länderfinanzausgleich profitiert. Etwa 45 Milliarden Euro flossen in die Hauptstadt. Das ist mehr als ein Drittel der insgesamt aufgebrachten Summe. Zweitgrößter Profiteur ist Sachsen mit 17,1 Milliarden Euro. An dritter Stelle liegt Sachsen-Anhalt mit gut zehn Milliarden Euro. Am wenigsten profitierte Schleswig-Holstein vom Länderfinanzausgleich, das insgesamt etwa 2,4 Milliarden Euro erhielt.

Dabei wird Berlin erst seit 1995 bei dem Umverteilungsmechanismus berücksichtigt. Erst seitdem gibt es einen gesamtdeutschen Finanzausgleich. Bis 1990 galt die Regelung lediglich für westdeutsche Länder. Zwischen 1991 und 1994 hatten Ost und West getrennte Ausgleichssysteme.

Die derzeit gültige Regelung wurde 2005 einvernehmlich von Bund und allen Ländern beschlossen. Sie gilt bis Ende 2019. Bei der letzten Verhandlungsrunde war ein Ergebnis nur möglich, weil der Bund sich zur Zahlung von hohen Zuschüssen an die Länder verpflichtete. Voraussichtlich wird der neue Finanzausgleich in der kommenden Legislaturperiode verhandelt. Diese Gespräche dürften sich über Monate, wenn nicht sogar Jahre hinziehen, weil die Materie äußerst kompliziert ist und die Interessenslagen sehr unterschiedlich sind.

Dabei ist das Grundprinzip des Ausgleichs denkbar einfach: Länder mit überdurchschnittlich hohen Pro-Kopf-Steuereinnahmen zahlen, während Länder mit unterdurchschnittlichen Einnahmen Geld erhalten. Dadurch soll den Staaten möglichst gleich viel Geld pro Bürger zur Verfügung stehen. Zusätzlich gibt es allerdings eine ganze Reihe von Sonderregelungen, die das System deutlich komplizierter machen. Für Länder mit großen Häfen etwa gilt eine Ausnahmeregelung.

Stadtstaaten erhalten mehr Geld pro Einwohner

Und dann gibt es die sogenannte Einwohnerveredelung. Stadtstaaten erhalten mehr Geld pro Einwohner, weil dort die Infrastruktur-Ausgaben ungleich höher sind. Doch das sind nicht die einzigen Ausnahmen. Nur ganz wenigen Experten dürfte es möglich sein, die einzelnen Auswirkungen des Finanzausgleichs genau zu beurteilen.

Dass insbesondere Bayern in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder gegen den Finanzausgleich Sturm läuft, mag mit dieser Undurchdringlichkeit des Systems zu tun haben, es hat aber vor allem monetäre Gründe. Seit 2009 muss der landschaftlich reizvolle Freistaat mehr als 3,5 Milliarden Euro in den Finanztopf zahlen.

Gleichzeitig sind die Zahlungen Hessens und Baden-Württembergs - obschon immer noch hoch - deutlich gesunken. Nordrhein-Westfalen ist sogar seit 2010 kein Geberland mehr. Doch wollen sich die Bayern nicht vollständig aus dem Länderfinanzausgleich verabschieden. Nach Angaben der Staatsregierung in München will man die Höhe der jährlichen Zahlungen lediglich um gut eine Milliarde Euro verringern.

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war die Zahl für Bayern wegen eines Rechenfehlers falsch angegeben, etwa zwei Milliarden Euro zu niedrig. Korrekt sind rund 38 Milliarden Euro. Auch die Grafik oben wurde entsprechend korrigiert.

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SZ vom 08.01.2013/fzg
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