Corona-Krise:Deutschland in Kurzarbeit

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Anlaufstellen für Arbeitslose und Firmen, die ihre Mitarbeiter in die Kurzarbeit schicken: die Arbeitsagentur. (Foto: dpa)

Ökonomen schätzen, dass nicht alle, aber doch sehr viele der 10,1 Millionen gemeldeten Beschäftigten tatsächlich in Kurzarbeit gehen. Wie lange reicht das Geld der Bundesagentur für Arbeit?

Von Bastian Brinkmann, München

Millionen Menschen werden in den kommenden Monaten deutlich weniger arbeiten oder gar nicht mehr. Sie sind wegen der Folgen der Corona-Pandemie entweder arbeitslos oder - viel häufiger - in Kurzarbeit. "Die Zahl der Betriebe und Beschäftigten in Kurzarbeit ist so hoch wie nie zuvor", sagte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der größte Dachverband der organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer veranstaltete zum ersten Mal seit seiner Gründung keine zentrale Kundgebung zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit.

Stattdessen zeigte der DGB unter dem Motto "Solidarisch ist man nicht alleine" eine dreistündige Sendung im Internet und rief dazu auf, sich in den sozialen Netzwerken solidarisch zu äußern. Während im Vorjahr deutschlandweit 381 500 Menschen an DGB- Veranstaltungen teilnahmen, zählte das DGB-Video auf Youtube mehr als 80 000 Aufrufe, wobei die Zahl offen lässt, wie lange jemand zugeschaut hat. "Solidarität hat in der Corona-Krise eine ganz neue Bedeutung gewonnen", sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. "Wir kämpfen dafür, dass die Kosten der Krise nicht an den Beschäftigten hängen bleiben."

Zuvor hatte die Bundesagentur für Arbeit am Donnerstag gemeldet, dass für eine Rekordzahl von Menschen Kurzarbeit angemeldet wurde. 10,1 Millionen könnten demnach betroffen sein. Diese Zahl lag zum Teil deutlich über den 23Prognosen. In Kurzarbeit übernimmt die Bundesagentur 60 Prozent der Lohnlücke, bei Eltern 67 Prozent. Wer gar nicht mehr arbeitet, verliert also 40 Prozent seines Einkommens - behält aber seinen Arbeitsplatz.

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Für unglaubliche 10,1 Millionen Menschen wurde Kurzarbeit beantragt. Das zeigt: Die Wirtschaftskrise könnte noch viel heftiger werden, als viele Prognosen bisher schon schätzen.

Kommentar von Bastian Brinkmann

Wie viele Menschen genau von Kurzarbeit betroffen sind, steht noch nicht fest. "Viele Unternehmen zeigen das prophylaktisch an", sagte Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Das Institut schätzt gestützt auf Umfragen der Gewerkschaften, dass sechs bis acht Millionen Menschen in Kurzarbeit gehen könnten. "Die Zahl hängt sehr davon ab, wie sich die Wirtschaft entwickelt", sagte Dullien. Fast ein Drittel der Firmen, die bisher von der Corona-Krise nicht direkt oder wenig betroffen sind, zeigt Kurzarbeit an, ergab eine Umfrage des arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Läuft die Wirtschaft schnell wieder an, tritt die Kurzarbeit mitunter nicht in Kraft. "Ich rechne aber schon mit mehr als fünf Millionen Kurzarbeitern", sagte IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer. Der bisherige Rekordwert stammt aus dem Mai 2009, damals waren wegen der Finanzkrise 1,44 Millionen Menschen in Kurzarbeit.

Die Reserven der Bundesagentur für Arbeit werden für den millionenfachen Bezug von Kurzarbeitgeld aller Voraussicht nach nicht reichen. Wenn sie für sieben Millionen Vollzeit-Durchschnittsverdiener ohne Kinder 60 Prozent des gesamten Lohns übernimmt, ist das Geld nach zwei Monaten aufgebraucht, sagte Ökonom Schäfer. Zudem hat die Koalition beschlossen, das Kurzarbeitergeld bei längerem Bezug aufzustocken. Nach vier Monaten kompensiert der Staat 70 Prozent, nach sieben Monaten 80 Prozent; wer Kinder hat, bekommt mehr. "Das ist eine versicherungsfremde Leistung", kritisierte Otto Fricke, FDP-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Haushaltsausschuss. Er verweist darauf, dass die Bundesagentur sich durch Einzahlungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert. Beschließe der Bund höhere Auszahlungen, müsse er der Bundesagentur Geld zuschießen. "Das ist ein weiterer Punkt, der den Haushalt belastet", so Fricke.

© SZ vom 02.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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