Süddeutsche Zeitung

Forum:Kurzarbeit und Qualifizierung - verpasste Gelegenheiten

Lesezeit: 3 min

Eigentlich wären Phasen der Kurzarbeit ideal, um Mitarbeiter beruflich weiterzubilden und die ausgefallene Arbeitszeit sinnvoll zu nutzen. Leider aber wird das in der Praxis zu wenig gemacht.

Von Toralf Pusch und Hartmut Seifert

Kurzarbeit erweist sich in der aktuellen Krise als ein wirksames Instrument, bedrohte Beschäftigungsverhältnisse zu sichern. Weniger erfolgreich ist dagegen die Verbindung von Kurzarbeit mit beruflicher Weiterbildung. Die Idee, die während der Kurzarbeit ausgefallene Arbeitszeit für Qualifizierungen zu nutzen, klingt zwar bestechend, findet aber in der Praxis nur mäßige Resonanz. Wie schon in der Finanzkrise 2008/09 nehmen Kurzarbeitende seltener an Weiterbildung teil als Beschäftigte ohne verkürzte Arbeitszeiten. Dabei ist der Bedarf, die Qualifikationsstruktur der Beschäftigten an veränderte Anforderungen anzupassen und Strukturwandel sowie wirtschaftliches Wachstum zu beschleunigen, riesig und unbestritten. Erst kürzlich hat die OECD bloßgelegt, dass die Weiterbildungsaktivitäten in Deutschland im internationalen Vergleich bescheiden sind. Sie reichen bei Weitem nicht aus, die gewaltigen Qualifizierungsbedarfe zu decken, die der digitale, ökologische und demografische Strukturwandel erfordert. Insofern spricht alles dafür, die günstige Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Denn die Nutzung von Kurzarbeit für Qualifizierungen verspricht zwei zentrale Engpässe zu entschärfen, die ansonsten betriebliche Weiterbildung behindern: mangelnde Zeit und zu hohe Kosten.

Durch Kurzarbeit verliert die in konjunkturellen Hochphasen mit voll ausgelasteten Arbeitskapazitäten und Überstundenarbeit knappe Ressource Zeit für Betriebe wie für Beschäftigte ihre begrenzende Wirkung. Die ausgefallene Arbeitszeit stellt ein produktiv nutzbares Potenzial für Qualifizierungen dar. Ebenso hilft Kurzarbeit, den zweiten Engpass, zu hohe Kosten, zu beheben. Für die ausgefallene und stattdessen für Weiterbildung verwendbare Arbeitszeit wird Kurzarbeitergeld gezahlt. Den Betrieben entfällt ein großer Teil der indirekten Kosten der Weiterbildung, zumal auch die Sozialversicherungsbeiträge erstattet werden. Zusätzlich bieten arbeitsmarktpolitische Programme (Qualifizierungschancengesetz und Arbeit-von-morgen-Gesetz) die Möglichkeit, auch die direkten Kosten (Lehrgangsgebühren usw.) zu senken oder komplett zu ersetzen. Je kleiner der Betrieb, desto höher ist die die finanzielle Förderung.

Auch Beschäftigte können von Weiterbildung während der Kurzarbeit profitieren. Da eine dauerhafte Weiterbeschäftigung nach der Kurzarbeit nicht gesichert ist, können sie mit gezielter Weiterbildung versuchen, ihre Chancen auf dem externen Arbeitsmarkt zu verbessern. Eine solchermaßen erhöhte Mobilitätsfähigkeit und -bereitschaft kann ebenfalls für Betriebe attraktiv sein, wenn sie zu freiwilligem Arbeitsplatzwechsel führt, sodass bei notwendigem Personalabbau keine Entlassungskosten (Sozialpläne, Abfindungen) entstehen. Strukturwandel würde gefördert. Weiterbildung kann ebenso die betrieblichen Verbleibchancen für diejenigen steigern, die durch ihre Teilnahme berufliche Anpassungsbereitschaft und -fähigkeit an zukünftig veränderte Produkte und Produktionsprozesse signalisieren.

Die während der Kurzarbeit günstigen Zeit- und Kostenbedingungen sprechen für antizyklische Weiterbildungsaktivitäten, für das Nachholen von in konjunkturellen Hochphasen aufgeschobenen oder das Vorziehen von zukünftigen Qualifizierungsbedarfen. Umso erstaunlicher ist die zurückhaltende Weiterbildungsbereitschaft. Sie hat Gründe. Generell bereiten die coronabedingten Kontaktbeschränkungen Schwierigkeiten, Weiterbildung durchzuführen. Vor allem von der Krise betroffene kleinere und mittlere Unternehmen haben ihre Weiterbildungsaktivitäten eingeschränkt oder gar eingestellt, weil das Weiterbildungsangebot beeinträchtigt ist, eigene Planungskapazitäten und ein professionelles Personalmanagement fehlen, die Zukunftschancen als unsicher gelten oder die kurzfristige Existenzsicherung Vorrang genießt. Weiterbildung betreibende Betriebe haben zwar alternative Lernformen wie E-Learning ausgebaut, aber noch längst nicht flächendeckend eingeführt. Fraglich ist zudem, inwieweit E-Learning für weniger bildungserfahrene Personen geeignet ist. Schließlich bestehen auch auf Seiten der Beschäftigten Vorbehalte, ein knappes Drittel zeigt sich nicht an Weiterbildung interessiert.

Während der Kurzarbeit kommt erschwerend hinzu, dass Qualifizierungsmaßnahmen einen planerischen und organisatorischen Vorlauf erfordern, der zumindest in der Anfangsphase im Frühjahr 2020 nicht gegeben war. Mit zunehmender Dauer der Kurzarbeit verliert dieser Faktor jedoch an Bedeutung. Es bleibt aber das Problem, dass die Dauer der Kurzarbeit in vielen Fällen nicht absehbar ist, Weiterbildung nicht in die durch Kurzarbeit veränderten Arbeitspläne passt oder auch nicht als prioritär angesehen wird. Außerdem entfällt bei Kurzarbeit mit einer stark reduzierten Arbeitszeit weitgehend der Lernort Betrieb. Gerade aber das Lernen am Arbeitsplatz hat eine hohe Bedeutung in weiterbildenden Betrieben.

Was aber ist zu tun? Die erfolgreiche Organisation von Weiterbildung erfordert ein komplexes Zusammenspiel zwischen Betrieben, Beschäftigten, Betriebs- und Personalräten, Weiterbildungsträgern sowie finanziellen Fördereinrichtungen. Daran aber mangelt es häufig. Ein Teil der Betriebe und auch der Kurzarbeitenden verfügt nicht über die erforderlichen Informationen über Qualifizierungsmöglichkeiten, -inhalte, -träger sowie öffentliche Fördermöglichkeiten.

Gezielte Beratung ist deshalb das Gebot der Stunde. Das Qualifizierungschancengesetz hat die Beratung ausgebaut; kurzfristig sollte man die vorhandenen Kapazitäten auf kurzarbeitende Betriebe und Beschäftigte konzentrieren. Berater sollten helfen, modularisierte Maßnahmen der Qualifizierung zu entwickeln und mit der zeitlichen Organisation der Kurzarbeit abzustimmen. Außerdem sollten, dem Beispiel der Niederlande folgend, Betriebe, die Kurzarbeit beantragen, erklären, dass sie Beschäftigte zu Weiterbildungsmaßnahmen anregen. Mittelfristig sollten in den Betrieben, bei Kleinbetrieben auch betriebsübergreifend in Verbünden, Lernpromoter*innen oder Weiterbildungsmentor*innen eingeführt werden. Deren Aufgabe bestünde darin, Qualifizierungsbedarfe zu erfassen, die betrieblichen Akteure zu motivieren und gezielte Maßnahmen anzustoßen. Weitere Unterstützung lässt das gerade vom Bundestag gestärkte Initiativrecht für Betriebsräte bei der Weiterbildung erwarten.

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