Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt:Kurzarbeit ist eine Brücke in bessere Zeiten

Kein Unternehmen beantragt leichtfertig Kurzarbeit, und ein Allheilmittel ist sie auch nicht. Klar ist aber, die wesentlich schmerzhaftere Alternative für viele Betriebe lautet: Entlassungen.

Kommentar von Henrike Roßbach

Es war einmal ein Arbeitsmarkt, der war so stark, dass ihm nichts und niemand etwas anzuhaben schien. Selbst als die Finanzkrise die Weltwirtschaft durcheinander würfelte, hinterließ das keine bleibenden Kratzer. In schöner Regelmäßigkeit verkündete die Bundesagentur für Arbeit neue Rekorde, auch die Löhne stiegen. Ja, es blieben Baustellen. Die größte Sorge aber war mit einem Mal der Fachkräftemangel - in einem Land, das einst fünf Millionen Arbeitslose hatte.

Und jetzt? Was lässt das Coronavirus übrig von diesem Arbeitsmarktmärchen?

Noch kann man die Verheerungen in der Statistik nicht sehen. Selten waren Arbeitsmarktzahlen am Tag ihrer Veröffentlichung so von gestern wie an diesem Dienstag. Sie wurden noch in einer Welt ohne geschlossene Fabriken, Läden und Lokale erhoben. Ohne abgesagte Messen, Veranstaltungen und Reisen, ohne Selbständige mit leeren Auftragsbüchern.

Wir leben in einer Zeit, in der das Wünschen definitiv nicht mehr hilft. Die schlechte Nachricht ist, wir müssen uns wieder an unerfreuliche Zahlen gewöhnen. 470 000 Unternehmen haben schon Kurzarbeit angemeldet, im April könnte es bis zu 200 000 Arbeitslose mehr geben als im März. Anders als in der Finanzkrise sind so gut wie alle Branchen betroffen. Es beantragen Firmen Kurzarbeit, die vor Kurzem nicht wussten, was das ist. Die gute Nachricht aber ist: Die Bundesagentur für Arbeit sitzt auf 26 Milliarden Euro; mehr, als sie in der Finanzkrise brauchte. Und wenn das nicht reichen sollte, dann wird, davon darf man getrost ausgehen, der Finanzminister Geld nachschießen.

Der deutsche Arbeitsmarkt hat seine Robustheit schon einmal bewiesen, und die Chancen stehen gut, dass er das wieder schafft. Die Kurzarbeit ist kein Allheilmittel und wird vielen finanziell wehtun. Aber sie kann eine Brücke sein in bessere Zeiten. Keine Firma mit Weitsicht entlässt heute noch leichtfertig Personal, denn dann verlöre sie im Aufschwung wertvolle Zeit mit der Suche nach Fachkräften. Das Ziel muss also sein, den Betrieben so lange wie möglich beim Durchhalten zu helfen, mit Finanzhilfen und mit Kurzarbeit.

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Manche Betriebe werden das Kurzarbeitergeld aufstocken, weil sie es sich leisten können und weil sie es mit Betriebsrat und Gewerkschaft vereinbart haben. Es ist aber grundfalsch, denen, die das nicht können, pauschal vorzuwerfen, sie machten es sich unter einem Vollkasko-Schirm gemütlich, gäben ihren Mitarbeitern nichts ab von den hübschen Geschenken des Staates und ließen sie böswillig im Regen stehen. Diese Erzählung, die von Gewerkschaften und auch aus der SPD heraus in die Welt getragen wird, ist schief erzählt. Kurzarbeit bedeutet schlicht, dass Arbeitgeber für Arbeit, die nicht stattfindet, keine Löhne mehr zahlen müssen und - genau wie Arbeitnehmer - auch keine Sozialabgaben. Das übernimmt die BA, aus Mitteln, die beide Seiten vorher eingezahlt haben.

Ja, einige Firmen werden versuchen, Staatshilfen missbräuchlich zu nutzen. Das zu verhindern, ist eine zwingende Aufgabe für Staat und Behörden. Die Mehrheit aber wird sich nicht bewusst schäbig verhalten. So bitter es ist: Für viele Betriebe ist die Alternative zur Kurzarbeit nicht die aufgestockte Kurzarbeit, sondern die Entlassung. Umso wichtiger ist es, dass der Staat das soziale Netz, das jene auffangen soll, die nicht mehr genug verdienen, tatsächlich zu großzügigeren Bedingungen aufspannt, als in Nicht-Krisenzeiten.

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SZ vom 01.04.2020/vd
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