Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt :Heil legt ein Paket für den Krisenfall vor

  • Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will Firmen helfen, die in der Kurzarbeit Beschäftigte weiterbilden.
  • Steht ein Unternehmen vor einem größeren Umbau und muss viele Mitarbeiter umschulen, will er das mit einem neuen Zuschuss fördern.
  • Dieser soll großzügiger ausfallen als die bisherige Förderung. Zu den Kosten seines Pakets sagt der SPD-Politiker: "Das ist nicht kalkulierbar."

Von Henrike Roßbach, Wörth

Während Hubertus Heil sich gerade erklären lässt, wie sie bei Daimler im Lkw-Werk Wörth jeden einzelnen Schweißpunkt mithilfe künstlicher Intelligenz überwachen, rollt ein führerloses Gefährt an ihm vorbei; beladen mit einer Lastwagenkabine, die es bei einem Roboter abliefert. Der Bundesarbeitsminister ist in diesen Tagen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg unterwegs, um zu besichtigen, was Digitalisierung und Transformation mit Unternehmen und Arbeitsplätzen machen.

"Wir sind der festen Meinung: Die Digitalisierung unterstützt den Mitarbeiter, aber wird ihn nie ersetzen", sagt Manuel Bögel, stellvertretender Werksleiter in Wörth bei Karlsruhe, und damit dort, wo sie an der papierlosen Achsenvormontage arbeiten, mit Virtual-Reality-Brillen trainieren und Bildschirme die Performance der Mitarbeiter anzeigen. Auch Heil selbst sagt stets, die Arbeit werde nicht verschwinden durch die Digitalisierung, es werde nur andere Arbeit sein. Er will aber gewappnet sein - mit einem Paket, das er das "Arbeit-von-Morgen-Gesetz" nennt.

Was der SPD-Minister vorhat, ist Krisenprophylaxe. Nicht nur wegen der technologischen Transformation, sondern auch wegen der sich abkühlenden Konjunktur. Ihm schweben mehrere Schritte vor. "In diesem Herbst", kündigte Heil auf seiner Reise an, wolle er entsprechende Entwürfe vorlegen. Das Ziel: ein "Instrumentenkasten für den Strukturwandel".

Am Dienstag, in der riesigen Lkw-Produktion von Daimler, ist die Welt zwar noch in Ordnung. Werksvize Bögel sagt, sie seien mit dem Auftragseingang im ersten Halbjahr sehr zufrieden und spürten nur eine leichte Abkühlung. Dass es anderswo aber anders aussieht, hatte Heil tags zuvor in Ludwigshafen erfahren. "Die Auftragsbücher werden auf immer kürzere Frist gefahren", sagte dort der Vorstandsvorsitzende des Chemieriesens BASF, Martin Brudermüller und verwies auf den Handelskonflikt zwischen den USA und China, die schwierige Lage der Autoindustrie und die wachsende Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Konkurrenz. BASF brauche neue Strukturen - und werde deshalb weltweit 6000 Stellen abbauen, davon 3000 in Deutschland.

"Wir sind noch auf der Wachstumsseite, aber ganz dünne", sagte Heil später am Abend. Der Wirtschaftseinbruch 2009, nach der Finanzkrise, ist sowohl der Politik als auch der Wirtschaft noch äußerst präsent. Im Zentrum von Heils Paket stehen deshalb Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld, das gezahlt wird, wenn in Unternehmen wegen einer konjunkturellen Auftragsflaute weniger Arbeit anfällt, die Mitarbeiter aber nicht entlassen werden sollen. Kürzlich erst hatten der Deutsche Gewerkschaftsbund wie auch die Arbeitgeber den Minister aufgefordert, die Krisenregelungen von vor zehn Jahren wieder scharf zu schalten. Die IG Metall warb zudem für ein Transformationskurzarbeitergeld für Betriebe im Umbruch.

Arbeitgeber-Vertreter freuen sich über die Pläne

Dass Heils Paket diesen Wunschzetteln ziemlich nahekommt, zeigt schon das prompte Lob von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Geht es nach Heil, soll die Bundesagentur für Arbeit künftig die Sozialversicherungsbeiträge für Mitarbeiter in Kurzarbeit übernehmen, wenn die Unternehmen sie in dieser Zeit weiterbilden. Auch die Bezugsdauer soll sich in diesem Fall verlängern.

Beides, die Übernahme der Sozialbeiträge und die längere Bezugsdauer, sind Maßnahmen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise. Heil will sie jetzt wieder ins Werk setzen, obwohl derzeit nur rund 50 000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit sind - der Höchststand 2009 lag bei 1,5 Millionen. Im Krisenfall will Heil diese Notmaßnahmen dann wieder für alle Unternehmen einführen, auch ohne Weiterbildung.

Damit das im Zweifelsfall schnell geht, will er jetzt schon mal eine "Verordnungsermächtigung" erlassen. "Falls uns der Himmel auf den Kopf fällt, was wir aber nicht herbeireden wollen." Gelockert werden soll auch der Zugang zum Kurzarbeitergeld für Beschäftigte in Transfergesellschaften; zudem plant Heil eine Weiterentwicklung seines Qualifizierungschancengesetzes, das seit Anfang des Jahres in Kraft ist und mehr Arbeitnehmern als bisher eine staatlich geförderte Weiterbildung ermöglicht.

Die Bundesagentur für Arbeit habe aber "immense" Rücklagen

Wenn ein Unternehmen vor einer großen Transformation steht - wie etwa dem Umstieg vom Verbrennungsmotor auf den Elektromotor - und dafür nicht nur einzelne, sondern einen größeren Anteil aller Mitarbeiter umschulen muss (beispielsweise zehn Prozent der Belegschaft), soll ein neuer "Transformationszuschuss" das fördern. Der Zuschuss soll großzügiger ausfallen als die bisherige Förderung durch das Qualifizierungschancengesetz, mit höheren Zuschüssen zu den Weiterbildungskosten und dem Entgelt, das währenddessen weitergezahlt wird.

Hinzu kommen zwei weitere Maßnahmen: staatliche Zuschüsse zur Weiterbildung von Beschäftigten, die zwar keine Zukunft in ihrem Unternehmen haben, dort aber trotzdem erst einmal noch weitergebildet werden für den Arbeitsmarkt. Und: ein Rechtsanspruch, einen Berufsabschluss nachholen zu dürfen; für Arbeitslose wie für Beschäftigte.

Zu den Kosten seines Pakets sagte Heil: "Das ist nicht kalkulierbar." Die Bundesagentur für Arbeit (BA) habe aber "immense" Rücklagen von mehr als 20 Milliarden Euro. "Das sind Sozialbeiträge, die wir auch präventiv einsetzen dürfen." Er habe keine Sorge, dass sein Vorhaben zu einem höheren Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung führen werde. "Die Vorstellung, dass ich die Kassen der BA plündere, ist falsch."

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SZ vom 14.08.2019/tö/vd
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