Süddeutsche Zeitung

Kurs der Notenbanken:Geldschwemme als Keim der Krise

Welche Blase wird jetzt finanziert? Die Notenbanken behandeln die Geldhäuser, als wären sie Kranke nach einer Notoperation - doch manches Institut weiß gar nicht, wohin mit dem Geld. Die Geldschwemme zeigt schon jetzt groteske Folgen. Und das nächste Dilemma zeichnet sich ab.

Hans-Jürgen Jakobs

Die meisten Menschen dürften in dem Zustand leben, zu wenig Geld zu haben. Ständig fehlen ein paar Euro, um sich schöne Konsumgüter leisten zu können oder - zwecks Zukunftssicherung - Immobilien zu kaufen. Es gilt als ökonomisches Naturgesetz, dass Bedürfnisse nun mal deutlich größer sind als Ressourcen. Die Differenz gleicht gewöhnlich die Bank aus - jedenfalls, wenn sie von einer sicheren Bonität ausgeht.

Bei den Banken selbst dagegen sieht es in diesen Tagen anders aus. Sie leben im sicheren Bewusstsein, zu viel Geld zu haben. Seit Monaten werden sie von den Notenbanken dieser Welt gepäppelt wie der Kranke nach der Notoperation, wenn er die Intensivstation verlassen hat. Hier mal Großkredite zu Vorzugszinsen, dort eine Senkung der Leitzinsen in Richtung null Prozent; hinzu kommen großzügigste Käufe von Staatsanleihen zur Beruhigung der "Märkte".

In den USA hat die Federal Reserve (Fed) ein Riesenprogramm zum Ankauf hypothekenbasierter Anleihen aufgelegt. Ihr Kinderlein kommet, lasst uns Geld drucken! Die Hemmungen sind gefallen. So handhaben es quasi alle wichtigen Notenbanken, und die Europäische Zentralbank (EZB) darf im Sanitäts-Geleitzug der spendablen Retter nicht fehlen. Da kann Bundesbank-Chef Jens Weidmann noch so sehr mahnen, Geld sei im Grunde nichts anderes als bedrucktes Papier, in das viele Menschen Vertrauen haben müssten.

Das Ergebnis der Retter-Ökonomie ist eine riesige Geldschwemme. Sie mag für den Moment ein gutes Gefühl machen. Die Börsenkurse steigen, die Aktienindices signalisieren Erholung, die Schuldzinsen mancher klammer Staaten sinken für ein paar Tage. Doch der kurzfristigen Euphorie entspricht kein langfristiges Glück. Es ist nur der Rausch des Moments, der Zeit kauft (die beliebteste politische Übung derzeit). Er macht in Wirklichkeit alles schlimmer.

Das "Fluten" der Märkte, wie das im Fachjargon der Geldpolitiker heißt, hat schon jetzt groteske Folgen. Bildlich gesprochen sieht das, was einmal ein ordentlicher Finanzmarkt war, inzwischen so ähnlich aus wie der Oderbruch im Herbst 2002, damals, als Kanzler Gerhard Schröder in Gummistiefeln den Einsatzleiter gab. Der Chef der Hypo-Vereinsbank bekannte jetzt sogar, sein Haus ersticke geradezu in Liquidität. Er habe jede Nacht zweistellige Milliardenbeträge übrig, und keiner wolle das Geld haben.

Der Grund: Die Firmen haben ihren Bedarf erfüllt, sie fürchten Nachfrageeinbußen und kappen Investitionen. Also parken die Banken ihr Geld oft wieder bei der Zentralbank, "Ich weiß nicht, wohin mit der Kohle", bekennt der Bankchef. Der Mann ist ehrlich und das nächste Dilemma zeichnet sich schon ab. Mal abgesehen davon, dass etwa die Wohnungs- und Hauskäufer, die jetzt rasch noch etwas Sicheres gegen die große Unsicherheit suchen, dem Banker helfen würden - der Chef des Geldhauses beschreibt womöglich den Anfang der nächsten Krise.

Jede Blase bildet sich aus der Überversorgung der Wirtschaft mit Geld. Weil so viel davon da ist, kommt es in falsche Hände. Auf diese Weise lief es in den Freibier-Jahren des US-Notenbankpräsidenten Alan Greenspan, dem gegen alle Widrigkeiten der Konjunktur das Wunderrezept einfiel, den Zins auf Niedrigniveau zu lassen. Auch einkommensschwache Amerikaner sollte sich ihr Häuschen leisten können, und die Banken gaben ihr Geld den Leuten hin und sicherten sich über allerlei kunstgerechte Wertpapiere ab, die solche faulen Kredite syndizierten und über die Welt brachten. Das war der Kern der Finanzkrise 2007/2008.

Welche Blase wird jetzt à la longue finanziert? Der Immobilienwahn in den Metropolen? Die Gold-Hausse? Die Kunst-Kauflust? Die Rohstoff-Spekulation? Irgendwo muss die "Kohle" ja hin, so wird ja geredet, also macht man Geschäfte mit Rohstoffen, von denen man ausgehen kann, dass sie knapp sind. Oder es wird, wie entfesselt, Land in Afrika gekauft. Könnte ja wirklich der Kontinent der Zukunft sein. Vermutlich werden in dieser Blasen-Ökonomie, solange sie nicht geplatzt ist, Reiche noch reicher und die Armen haben nichts davon, was das Problem noch verschärft.

Womöglich wird die EZB den historische Zins-Niedrigstand von 0,75 Prozent in der kommenden Woche auf ihrer Ratssitzung oder später unterbieten. Aber was kommt dann? Ganz sicher wird auf Sicht der Boden bereitet für mehr Inflation. Preissteigerungsraten von vier bis fünf Prozent gelten in Fachkreisen als nötig, um die vielen Schulden in der Welt auf leichte Fasson abzuwerten. Wachstum soll noch hinzukommen, wirkliches Wachstum, nicht künstlich über Börsen gezaubertes - doch das ist schwierig in einer Welt voller reifer Märkte und emanzipierter Schwellenländer, die nicht mehr einfach nur als Auffangzonen für westliche Exporte dienen wollen.

Die wirkliche Lösung der Probleme, auf die all die Geld-Schöpfer reagieren, können nur wettbewerbsfähige Volkswirtschaften sein, deren Produkte wegen ihrer Eigenschaften gekauft werden und deren Staatsetats der Weisheit folgen, dass Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen dürfen. Hier zu handeln, wäre Politik. Geldhähne immer weiter zu öffnen, ist Symbolpolitik. Weil sie stark sein will, gebraucht sie Begriffe wie "Bazooka" oder "Dicke Bertha". Das klingt entschieden besser als Geldschwemme.

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SZ vom 29.09.2012/fran/kjan
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