Kultur & Wirtschaft: Anke Doberauer:"Kunst unterliegt einem Modediktat"

Die Malerin und Kunstprofessorin Anke Doberauer beklagt den Jugendwahn der internationalen Kunstszene. Unter den Galeristen findet sie immer weniger Kunstkenner - und immer mehr Geschäftsleute. Weshalb sie ihren Schülern manchmal rät, ihre Bilder nicht zu verkaufen.

Marc Beise und Elisabeth Dostert

Männer sind das große Thema von Anke Doberauer: Androgyn, verletzlich, begehrenswert, so bringt die Malerin sie seit 20 Jahren auf lebensgroße Leinwände. Die Professorin an der Akademie der Bildenden Künste in München, die auch in Marseille lebt, ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Malerinnen. Bekannt wurde sie unter anderem durch monumentale Panoramabilder und die Rektorenbildnisse der Universität Jena. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht sie über Kunst und Geld - und über das Verhältnis des Künstlers zur Wirtschaft.

Art Basel International Contemporary Art Fair Opening

Besucher bei der Kunstmesse Art Basel: "Sich diesen Kunst-Overkill anzusehen, ist für einen Künstler visuell immer eine zumutung", sagt Anke Doberauer.

(Foto: Getty Images)

SZ: Frau Professor Doberauer, in München läuft gerade die Jahresausstellung der Akademie der Bildenden Künste. Ist das für Ihre Studenten eine erste gute Gelegenheit, an Geld zu kommen?

Doberauer: Zunächst einmal bekommen sie Resonanz. Es kommen Kunstinteressierte, Neugierige, aber auch ein paar Sammler und Galeristen.

SZ: Gucken die nur oder kaufen die auch?

Doberauer: Die kaufen auch. In den vergangenen Jahren war das ganz extrem. Als ich 2003 hier anfing, bin ich aus allen Wolken gefallen. In Frankreich, wo ich auch lebe, haben selbst arrivierte Künstler Mühe, ihre Arbeiten zu verkaufen. Hier in Deutschland jammerten die Studenten mir vor, dass sie drei Interessenten für ein Bild hätten und nicht wüssten, wem sie es verkaufen sollen.

SZ: Welchen Rat haben Sie diesen Studenten gegeben? Verkauf es dem, der am meisten zahlt?

Doberauer: Eben nicht. Ich habe gesagt, guckt euch die Leute an. Welche Folgen hat die Wahl für die Karriere? Ist das jemand, der sammelt - oder jemand, der einfach nur zu viel Geld hat? Manchmal habe ich auch dazu geraten, die Bilder zu behalten, gerade wenn ein Student sehr viel Zeit investiert hat und die Arbeit Teil einer Serie werden soll. Ich weiß, dass die Studenten sich manchmal von einem Werk trennen müssen, weil sie mit ihren popeligen Nebenjobs nicht über die Runden kommen. Aber der Verkauf ist nicht das Wichtigste.

SZ: Sondern?

Doberauer: Verkaufen kann jeder. Für Studenten ist es eher eine Notlösung. Das Wichtigste ist, eine Karriere in Gang zu bekommen, die dann hoffentlich irgendwann in gute Verkäufe mündet.

SZ: Können Ihre Studenten schon von ihrer Kunst leben?

Doberauer: Eigentlich nicht. Selbst bei etablierten Künstlern ist das häufig eine Mischfinanzierung: hier mal ein paar Verkäufe, da mal ein Auftrag oder ein kleiner Job.

"Messen sind sehr wichtig"

SZ: Wie war das bei Ihnen?

Doberauer: Ich habe in Braunschweig studiert. Irgendwann habe ich beschlossen, meinen Eltern nicht mehr auf der Tasche zu liegen und habe mir einen kleinen Job an der Akademie gesucht. Dann bekam ich ein Stipendium nach dem anderen. Eines für die Kunstakademie in Marseille, der Direktor hat mir direkt im Anschluss einen Lehrauftrag angeboten. Dann folgten zwei gut dotierte deutsche Stipendien, Karl Schmidt Rottluff und die Hessische Kulturstiftung. Davon konnte ich mehrere Jahre leben und noch etwas zurücklegen. Ich habe allerdings auch sehr bescheiden gelebt, ohne Auto und so. Danach kamen dann Anfragen von Galerien und Museen.

SZ: Wie wichtig sind Ihnen in diesem Zusammenhang Kunstmessen?

Doberauer: Messen sind sehr wichtig. Sich diesen Kunst-Overkill anzusehen, ist für einen Künstler allerdings visuell immer eine Zumutung. Viele tun sich das gar nicht an.

SZ: Aber Sie waren gerade mit Ihren Studenten auf der "Art Basel".

Doberauer: Das hat sich so ergeben. Es lag auf dem Rückweg von unserer Exkursion in der Schweiz. Außerdem sollen die Studenten den Kunstmarkt mal aus der Nähe gesehen haben, denn das ist ja später ihre Realität.

SZ: Sie fahren nicht hin, damit die Studenten mal gute Kunst sehen?

Doberauer: Eher, damit sie sehr viel Kunst sehen. Nirgends gibt es so viel zu sehen wie auf einer Messe. Gutes und weniger Gutes.

SZ: Was ist denn für Sie gute Kunst?

Doberauer: Das kann ich nur im Einzelfall beantworten. Wenn ich irgendwas sehe, kann ich ihnen sagen, ob es möglicherweise gut ist, oder ganz bestimmt schlecht. Meine Erfahrung ist, wenn ich etwas nicht verstehe und so in der Art noch nicht gesehen habe, könnte es eventuell gute Kunst sein. Wenn ich es genau so oder besser schon 150 Mal gesehen habe, ist es höchstwahrscheinlich schlecht. Um aber die Qualität einer Arbeit wirklich beurteilen zu können, braucht man viel Zeit und viele Hintergrundinformationen über den Künstler, die hat man auf einer Messe nie.

SZ: Können Galeristen Kunst wirklich beurteilen?

Doberauer: Es gibt mehrere Sorten von Galeristen. Die ältere Generation war sehr viel näher an der Kunst, kultiviert und gebildet. Viele der Jüngeren sind einfach das, was man heute sein muss in der Kunstszene: gute Geschäftsleute. In der Kunstgeschichte kennen sich viele von denen kaum aus. Profunde Kunstkenntnis ist heute ziemlich selten. Was man landläufig so sagt, "die Leute sehen mit den Ohren", trifft auf ganz viele Galeristen zu.

"Der Kunstmarkt hat sich geändert"

SZ: Welcher Typus ist Ihnen denn lieber, der vom alten Schlag oder die geschäftstüchtigen Jungen?

Doberauer: Die älteren Galeristen wussten auch sehr wohl, wie das Geschäft funktioniert. Aber der Kunstmarkt hat sich grundlegend geändert. Mein Züricher Galerist Victor Gisler, der übrigens studierter Betriebwirt ist, hat schon vor Jahren geklagt, die Leute würden heute nur noch über Namen und Geld reden, aber nicht mehr viel über Qualität.

SZ: Wieso hat der Kunstmarkt sich denn so verändert?

Doberauer: Ich weiß nicht. Vielleicht weil alles schneller geworden ist, weil die Kunst einem Modediktat unterliegt wie die Mode selber. Was gestern noch gut war, ist heute schon alt. Keine Galerie guckt sich noch einen Künstler fünf Jahre lang an, bevor sie ihn in ihr Programm aufnimmt. Je jünger, desto besser. Heute bekommen schon Studenten im zweiten Semester Angebote von Galerien. Das ist schrecklich.

SZ: Die permanente Suche nach dem Neuen, das schnell Geld bringt!

Doberauer: Ja, und dann lässt man es fallen und der Nächste kommt. Dass ein Künstler wirklich groß rauskommt, daran müssen viele sehr lange arbeiten und investieren. Das ist wie bei einer Aktie. Viele wurden sehr jung sehr hochgejubelt und waren sehr schnell wieder weg vom Fenster. Ein Künstler muss sorgfältig aufgebaut werden.

SZ: Wer hat denn den größten Einfluss auf den Markt. Professoren wie Sie . . .

Doberauer: Wir haben auf den Markt keinen Einfluss.

SZ: . . . die Sammler, die Museumsdirektoren, die Galeristen?

Doberauer: Die großen Sammler, die großen Galeristen und eine Handvoll internationaler Kuratoren bestimmen den Markt, die anderen laufen nur noch hinterher. Es gab früher ein paar Museumsleute, die haben sich getraut, eine ganz eigene Auswahl von Künstlern zu zeigen. Diese Generation ist abgetreten. Momentan werden überall mehr oder weniger dieselben Künstler herumgereicht.

SZ: Woran liegt das? Weil öffentliche Museen kein Geld mehr haben?

Doberauer: Vielleicht fehlt den Direktoren und Kuratoren auch der Mut, weil der Kunstmarkt einfach ein zu großes Geschäft geworden ist. Für die geht es um ihre Karrieren, und da geht es leichter, wenn man das zeigt, worüber schon Konsens besteht. Gegen den Strom zu laufen, zahlt sich nicht aus.

"Gewünscht ist das Glatte"

SZ: Nicht wenige Unternehmer wie Reinhold Würth oder Marli Hoppe-Ritter leisten sich ein eigenes Museum für ihre Sammlung. Ist das gut oder schlecht für die Kunst?

Doberauer: Schlecht sicher nicht. Aber auch die Kunstsammlungen anderer privater Sammler sind oft irgendwann, nach vielen Jahrzehnten, öffentlich zu sehen. Gut für die Kunst ist, wenn bei dem Sammler ein wirkliches Interesse an der Kunst dahinter steckt und es sich nicht um ein reines Spekulationsgeschäft handelt wie bei einem Hedgefonds.

SZ: Was hat die Akademie davon, wenn beispielsweise BMW in seinem Abhol-Pavillon, wie das geschieht, Arbeiten von Studenten zeigt?

Doberauer: Das weiß ich nicht. Meine Klasse hat da noch nie mitgemacht. Wir hatten vor ein paar Jahren mal den Auftrag, für die Führungsetage in der BMW-Zentrale in München eine permanente Installation zu schaffen; das war spannend.

SZ: Gab es inhaltliche Vorgaben?

Doberauer: Es gab Vorgaben, was nicht gemalt werden durfte.

SZ: Nämlich?

Doberauer: Kurioserweise Autos, aber auch alles, was entfernt mit Sex zu tun hatte. Das war bei einer Studentin besonders schade, weil sie als Einzige ein stimmiges Konzept für einen sehr undankbaren Raum hatte. Auf einem der Bilder war aber ein Schlips, zusammen mit einem rosa BH. Das ging schon nicht mehr. Menschendarstellungen gefielen auch nur keusch und hochgeschlossen. Meine eigenen Bilder hätten dort nie eine Chance gehabt.

SZ: Erleben Sie das häufiger?

Doberauer: Ja. Bilder, die auch nur einen Anflug von Anstößigem zeigen, können in Unternehmen oft nicht gezeigt werden. Gewünscht ist das Glatte: schöne Landschaften, Blumen, aber nichts Widerborstiges.

SZ: Vielleicht ist es ein Unterschied, ob die Arbeiten für die Büros, also zur Dekoration, bestimmt sind oder für die Sammlung.

Doberauer: Ja, genau. Kunst für Mitarbeiter muss demokratisch sein, also allen gefallen und nicht zu anstößig sein. Wenn die Mitarbeiter damit unzufrieden sind, dürfen sie wahrscheinlich wieder ihre selbst gemalten Aquarelle aufhängen.

"Man braucht als Künstler Feedback."

SZ: Verändert der Kontakt zu den Unternehmen die Kunst?

Doberauer: Selten, weil die Künstler ja keinen Einblick in das Unternehmen bekommen und die Wahl meist der Chef trifft. Früher gab es allerdings ein Kunstprogramm des BDI, da stellten Unternehmen für eine gewisse Zeit Künstlern Räume und Produktionsmittel in ihrem Werk zur Verfügung zur Produktion spezifischer Arbeiten. Das bringt was.

SZ: Tun die Unternehmen genug für die Kunst?

Doberauer: Viele der Menschen dort dürften nur wenig Zugang zur Kunst haben. In großen Unternehmen gibt es zwar manchmal eine Person, die für die Sammlung zuständig ist. Das sind dann Kunsthistoriker, die genauso gut auch für ein Museum arbeiten könnten. Der Rest interessiert sich meist nicht für Kunst. Oft können sich Unternehmen nicht vorstellen, dass sie Kunst brauchen. Die denken, sie brauchen nur ein Aquarell für die Wand.

SZ: Wenn Sie die Wahl hätten, ein Bild an ein Unternehmen für die Ausstattung eines Büros oder an die Kunstsammlung der gleichen Firma zu verkaufen, was würden Sie bevorzugen?

Doberauer: Die Sammlung. Dort besteht die Möglichkeit, dass die Arbeit ausgeliehen wird an einen Ort, an dem Kunst gezeigt wird, etwa ein Museum oder eine Kunsthalle, und damit eine breitere Präsenz im Kunstkontext erlangt. In die Gänge vor irgendwelchen Büros dagegen verirrt sich so schnell kein Kurator oder Kunstkritiker.

SZ: Wenn Kunst einiges in einem Unternehmen bewirken kann, dann könnten doch auch Sie einiges von den Unternehmen lernen. Die Märkte funktionieren ähnlich: Angebot, Nachfrage, Begehrlichkeiten, Image, Knappheiten, Marketing bestimmen den Preis - oder nicht?

Doberauer: Natürlich. Aber ich bin Künstlerin. Weder bin ich dafür ausgebildet, noch habe ich Lust, meine Arbeit selber zu vermarkten. Dafür gibt es Kunsthändler, Galeristen und Agenten. Für meine Klasse und die Akademie allerdings spiele ich oft die Kuratorin, und in dieser Funktion wäre mir dies Wissen nützlich. Hier könnte ich sicherlich von der Wirtschaft viel lernen.

SZ: Aber Sie denken doch bei jedem Verkauf an Ihren Erfolg: Wo geht das Bild hin, welchen Multiplikatoreffekt hat der Käufer, wie viel Geld bringt es?

Doberauer: Der finanzielle Erfolg ist für mich nur in zweiter Linie wichtig, denn ich brauche nicht sehr viel Geld. Aber natürlich ist es toll, wenn viele Leute meine Arbeiten sehen. Vor allem aber ist wichtig, dass die Arbeiten in einem Kunstkontext präsent und sichtbar sind, denn hier besteht immerhin die Möglichkeit, dass sie vielleicht verstanden werden. Man braucht als Künstler ein Feedback. Natürlich erreicht man mit bildender Kunst nie so viele Menschen wie mit Fernsehen oder dem Internet. Es reichen aber ein paar, mit denen eine wirkliche Kommunikation stattfindet.

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