Künstliche Intelligenz:"Wir sind noch ganz am Anfang"

Gartner-Expertin Helen Poitevin schreibt künstlicher Intelligenz großes Potenzial zu. Doch Europa hat schlechte Karten, und bis KI sich voll entfaltet, könne es länger dauern, als viele glauben.

Von Helmut Martin-Jung

Fast jede IT-Firma, die sich gerne zukunftsorientiert präsentieren will, schmückt sich seit einigen Jahren mit den Buchstaben AI oder KI. Beides steht für künstliche Intelligenz, also schlaue Maschinen, die aus der Analyse von Daten Erkenntnisse gewinnen und selbständig Entscheidungen treffen können. Tatsächlich gibt es auch Anwendungen, bei denen die neue Technologie bemerkenswerte Vorteile bietet.

Doch das trifft keineswegs auf alle zu. Die Technologie, resümiert Helen Poitevin von der Beratungsfirma Gartner, sei "in etwa so ausgereift wie die Computertechnik von 1959". Mit anderen Worten: Sie steht noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung, "der Einbruch wird noch kommen", sagt die Französin, und meint damit die Enttäuschung, die oft auf die anfängliche Begeisterung für eine neue Technik folgt.

Es wäre nicht der erste Einbruch. Die Technologie geistert schon seit Jahrzehnten herum, doch weil die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt werden konnten, nahmen das Interesse und damit auch die finanziellen Ressourcen stark ab. Seit einigen Jahren sind die Computer endlich schnell genug für die umfangreichen Berechnungen, die Algorithmen dazu wurden eben verbessert, und schon werden wieder hohe Erwartungen geweckt.

Damit aber, warnen Experten wie Poitevin, könne es noch längere Zeit nichts werden. Es werde zwar womöglich nicht ganz so lange dauern wie bei den Computern, aber bis die Auswirkungen in vielen Branchen und Berufen spürbar würden, sei eher in Jahrzehnten als in Jahren zu bemessen. Das Potenzial künstlicher Intelligenz für Firmen sieht Helen Poitevin vor allem in der Fähigkeit, Aufgaben zu automatisieren, die bisher von Menschen erledigt werden. Aber auch neue Geschäftsfelder könnten damit erschlossen werden.

Doch werden europäische Firmen dabei überhaupt eine Rolle spielen oder geht es wieder so aus wie bei den Googles, Facebooks und Amazons? Die übrigens allesamt sehr stark in KI investieren und den Markt für Fachleute leerfegen. "Europa", sagt Poitevin, "wird ein bisschen Probleme haben wegen der Zersplitterung in die einzelnen Länder", außerdem brauche man Daten. Aber, sagt sie, "unsere Mentalität wird uns nicht hindern. Wenn wir einmal etwas anfangen, dann machen wir es gut und schnell."

Im Moment ist bei KI zwar vor allem von den USA die Rede und besonders von China, das ein Milliarden schweres KI-Programm aufgelegt hat. Aber der chinesische Ansatz sei zu sehr von oben herab getrieben, findet Poitevin. Und in den USA mache man gerne einfach mal drauflos. Die Regierungen müssten allerdings die Bedeutung von KI schon erkennen und auch entsprechend handeln.

Am Geld fehlt es nach Poitevins Ansicht nicht unbedingt, inzwischen sei ziemlich viel Risikokapital im europäischen Umfeld. Sie warnt eher davor, die gesellschaftlichen Aspekte des Themas nicht zu vernachlässigen. "Viele werden KI ablehnen", sagt sie, obwohl die Technologen sagten, KI werde gut für unsere Zukunft sein. Sie fordert daher die Staaten dazu auf, ihre Bürger weiterzubilden. Das Wissen um Daten und was sich damit anfangen lässt und was nicht, müsse besser werden. Damit werde verhindert, dass man der KI blind vertraut. KI, sagt die Expertin, solle am besten so designt werden, dass sie den Menschen hilft. Dass sich KI als der große Job-Killer erweisen werde, glaubt Poitevin nicht. Es würden zwar Jobs durch KI ersetzt werden, es würden aber auch neue geschaffen.

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