Süddeutsche Zeitung

Künstliche Intelligenz:Von Gorillas und Menschen

Warum der IT-Unternehmer Jaan Tallinn dafür kämpft, KI im Zaum zu halten.

Von Helmut Martin-Jung

Jaan Tallinn heißt mit Nachnamen so wie die Hauptstadt seiner Heimat Estland. Allzu oft ist der 46-jährige Physiker und Programmierer allerdings nicht zu Hause bei seiner Frau und den sechs Kindern. Denn Tallinn hat eine Mission. Er, der einst die Kommunikationssoftware Skype mitentwickelt hat und damit zu Vermögen kam, will die Menschheit davor bewahren, dass es ihr geht wie Gorillas im Kongo.

Gorillas? "Was mit Gorillas passiert, liegt nicht in deren Hand, es ist in unserer", sagt Tallinn bei einem Gespräch am Rande der Burda-Innovationskonferenz DLD. Und genauso werde es den Menschen ergehen, wenn sie nicht jetzt eine Entwicklung steuerten, die längst begonnen hat: künstliche Intelligenz (KI). "Wenn wir die Sache langfristig betrachten, können wir nicht ausschließen, dass es Maschinen geben wird, die um ein Vielfaches schlauer sein werden als Menschen", sagt er, "genauso wie es heute schon Maschinen gibt, die in einzelnen Bereichen viel schlauer als Menschen sind, zum Beispiel beim Schach. Wir sollten deshalb vorausdenken, damit es uns nicht geht wie den Gorillas und wir nicht mehr selbst über unser Schicksal bestimmen können."

Tallinn investiert in KI-Firmen, um bei der Entwicklung am Ball zu bleiben

Noch sei es nicht zu spät, die Entwicklung in die richtigen Bahnen zu lenken. Denn noch gebe es eine solche künstliche Intelligenz noch nicht. Aber was sind die richtigen Bahnen? "Das Ziel muss es sein, eine künstliche Intelligenz zu erschaffen, die sich an unserem Wertesystem ausrichtet", sagt Tallinn. "Eine KI, die mächtiger ist als wir selbst, muss als Hauptinteresse haben herauszufinden, was wir Menschen wollen sollten und es dann umzusetzen."

Um das voranzutreiben, ist Tallinn die vergangenen zehn Jahre um die Welt gereist und hat mit Menschen gesprochen, die sich für das Thema interessieren. "Ich unterstütze etwa ein Dutzend Organisationen, die sich um diese Sache kümmern. Ich habe auch in KI-Firmen investiert, damit ich mitkriege, was dort so passiert, damit ich bei aktuellen Entwicklungen am Ball bleibe."

Dass irgendwann eine künstliche Superintelligenz entstehen wird, ist für Tallinn keine Frage. Die Frage ist nur, wann. "Die Chance, dass es im nächsten Jahrzehnt zu einer übermenschlichen KI kommt, liegt bei einem Prozent. Aber würden Sie in ein Flugzeug steigen, wenn das Risiko ein Prozent wäre, dass es abstürzt?"

Und wie könnte so ein Absturz aussehen? Tallinn hat das schon oft beschrieben. Eine Superintelligenz außerhalb der Kontrolle von Menschen würde womöglich nicht Menschen gezielt bekämpfen, glaubt er. Vielmehr könnten wir ihr einfach gleichgültig sein und eine Art Kollateralschaden werden. Etwa wenn die KI auf den Gedanken käme, die Erdatmosphäre zu verändern. Bis dahin mag es vielleicht wirklich noch länger dauern.

Konkreter sind für den Esten Bedrohungen, die denen ähneln, wie man sie in der Cyberwelt kennengelernt hat. Tallinn fürchtet, dass durch KI auch nicht staatliche Akteure in kriegerischen Auseinandersetzungen mitmischen, so wie das heute schon bei manchen Cyberattacken der Fall ist. "Das könnte zu Angriffen führen, bei denen wir nicht mehr wissen, wer dahintersteckt."

Skeptiker fragt Tallinn: "Können Sie programmieren oder haben Sie Kinder?"

Tallinn hofft, dass mit der Zeit das Bewusstsein für gemeinsame Werte steigt. Derzeit sieht es allerdings eher nach einem Wettrennen der Industriestaaten um die Vorherrschaft bei künstlicher Intelligenz aus. Aber geht die Entwicklung auch tatsächlich so schnell voran - schließlich erreichen konventionelle Computerprozessoren allmählich ihre physikalischen Grenzen. Moores Gesetz, wonach sich die Zahl von Transistoren auf Prozessoren alle zwei Jahre verdoppelt, gilt nicht mehr.

Das stimme zwar, sagt Tallinn, aber bei der Hardware für maschinelles Lernen - einer wichtigen Voraussetzung für künstliche Intelligenz - schreite die Entwicklung viel schneller voran als je bei Moores Gesetz, teilweise um den Faktor zehn pro Jahr. Grund genug für den Physiker, seine Mission fortzusetzen und für eine KI mit menschlichem Antlitz zu kämpfen. Und wenn jemand das nicht versteht? "Wenn jemand skeptisch ist bezüglich der Probleme bei der KI-Sicherheit, frage ich ihn: Können Sie programmieren oder haben Sie Kinder?"

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Quelle:
SZ vom 20.02.2019
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