KI-Start-up Instadeep:Tunis statt Silicon Valley

KI-Start-up Instadeep: Regisseur George Lucas hat nahe der Heimat des Gründers Karim Beguir Szenen der "Star Wars"-Saga gedreht, die auf dem fiktiven Wüstenplaneten Tatooine spielen.

Regisseur George Lucas hat nahe der Heimat des Gründers Karim Beguir Szenen der "Star Wars"-Saga gedreht, die auf dem fiktiven Wüstenplaneten Tatooine spielen.

(Foto: Alamy Stock Photos / Luca DAddezio/mauritius images)

Karim Beguir hat etwas geschafft, das viele nicht erwartet hätten: Er baute eine international erfolgreiche KI-Firma in Afrika auf. Seine Technologie hilft auch Unternehmen wie der Deutschen Bahn und Biontech.

Von Helmut Martin-Jung

Es wäre so eine schöne Geschichte: Der Mann aus der tunesischen Wüstenstadt, in dem eine verborgene, eine weltverändernde Macht schlummert wie bei Luke Skywalker, dem Helden der ersten "Star-Wars"-Filme. La porte du désert, das Tor zur Wüste, nannten die Franzosen Tataouine, und ja, es ist die Stadt, wo George Lucas Teile der Filmreihe gedreht hat. Weshalb der Wüstenplanet im Film auch Tatooine heißt. Bloß leider stimmt die Geschichte nicht ganz. Karim Beguir ist zwar in der Wüstenstadt Tataouine aufgewachsen. Er ist aber Halbfranzose, hat in Frankreich und den USA studiert. Hat eine normale Karriere bei großen Firmen begonnen. Doch dann brach sie doch durch, die verborgene Macht. Beguir entschloss sich 2014, seiner eigentlichen Leidenschaft Raum zu geben, der angewandten Mathematik, der künstlichen Intelligenz. Und er nahm sich vor, das Potenzial zu heben, das in den Menschen des afrikanischen Kontinents steckt.

"Wir haben in Tunis zu zweit angefangen, mit nichts als 2000 Dollar und zwei Laptops", erzählt Beguir. "Als wir gesagt haben, wir wollen hier eine Firma gründen, die genauso aufregende Sachen macht wie die Google-Tochter Deepmind, haben es viele einfach nicht geglaubt." Beguir hätte mit seinen Fähigkeiten auch locker ins Silicon Valley gehen können, aber neben der Leidenschaft für künstliche Intelligenz spürte er auch eine Verpflichtung, sich um die Menschen zu kümmern, die normalerweise keine solchen Chancen bekommen wie er selbst. Also Tunis. Und es klappte trotzdem.

KI-Start-up Instadeep: Das Team von Instadeep in Tataouine, Tunesien.

Das Team von Instadeep in Tataouine, Tunesien.

(Foto: Instadeep PR)

Heute ist seine Firma Instadeep ein Unternehmen auf Augenhöhe mit Deepmind, der Londoner Firma, die unter anderem dadurch berühmt wurde, dass sie Computer dazu brachte, sich das unendlich komplizierte Brettspiel Go selbst beizubringen. Instadeep kooperiert inzwischen sogar mit Deepmind. Was so verlaufen sein soll: "Wir haben uns in Südafrika kennengelernt", erzählt Beguir, "die Deepmind-Leute hatten ein Problem, das sie nicht lösen konnten. Wir haben uns das angesehen, und sechs Monate später hatten wir ein Paper dazu geschrieben und es Deepmind vorgestellt."

KI-Start-up Instadeep: Karim Beguirs Firma betreibt mittlerweile unter anderem Büros in London, Tunis, Lagos, Kapstadt - und bald auch in Berlin.

Karim Beguirs Firma betreibt mittlerweile unter anderem Büros in London, Tunis, Lagos, Kapstadt - und bald auch in Berlin.

(Foto: oh)

Die waren offenbar sehr angetan. Die beiden Firmen veröffentlichten zusammen ein Paper, das in der Forscherwelt großen Anklang fand. "Zum ersten Mal überhaupt wurden Errungenschaften eines in Afrika gegründeten Start-ups auf führenden KI-Konferenzen weltweit anerkannt", sagt Beguir stolz. Heute ist die Deepmind-Mutter Google einer der Investoren von Instadeep. Beguir, der beim Videogespräch ruhig und überlegt wirkt, aber auch fokussiert, hat das Unternehmen in wenigen Jahren weit vorangebracht. Insgesamt 100 Millionen Dollar hat Instadeep bei der jüngsten Investorenrunde in diesem Januar eingesammelt. Der Hauptsitz der Firma wurde mittlerweile nach London verlegt, Büros gibt es weiterhin in Tunis, aber auch im nigerianischen Lagos, in Kapstadt, Dubai, Paris - und bald auch in Berlin.

Zwei wichtige Kunden in Deutschland

Das hat nicht nur, aber auch damit zu tun, dass Instadeep in Deutschland zwei wichtige Kunden hat. Die Deutsche Bahn arbeitet mit den KI-Experten daran, ihr Netz flexibler zu nutzen. Und der in der Corona-Krise aufgestiegene Biotech-Star Biontech hat zusammen mit Instadeep ein Verfahren entwickelt, neue, potenziell gefährliche Varianten des Coronavirus frühzeitig zu entdecken. "Das hatte damals noch keiner gemacht", sagt Beguir. Alleine aus der Gensequenz eines Virus erkenne das System mit hoher Trefferquote, ob es sich um eine potenziell gefährliche Variante handelt. Dass es sich etwa bei der derzeit vorherrschenden Omikron-Variante um eine Hochrisiko-Variante handelt, habe man bereits am selben Tag entdeckt, an dem die Gensequenz veröffentlicht wurde.

Die langfristig angelegte Partnerschaft mit den Mainzern soll aber auch helfen, neue Immuntherapien zu entwickeln. Das menschliche Genom zu sequenzieren, werde immer billiger, sagt Beguir. Aus den so gewonnenen Daten ließen sich künftig viele Erkenntnisse gewinnen. In einem KI-Labor sollen Dinge wie Protein-Design, aber auch die Optimierung von Betriebsabläufen vorangebracht werden. Die Bahn und Biontech gehören auch zu den Investoren bei Instadeep.

Im Gegensatz zu Deepmind, das eher Forschungsprojekte verfolgt, gehe es Instadeep darum, Industriekunden dabei zu helfen, konkrete Probleme zu lösen. Bei der Deutschen Bahn sieht das so aus: Deren rund 33 400 Kilometer langes Streckennetz ist verzweigt und komplex. Neue Strecken lassen sich nur sehr schwer durchsetzen, zudem wären sie sehr teuer. Also muss der Schwerpunkt darauf liegen, die bereits existierenden Strecken effizienter zu nutzen. Es gehe bei dem Projekt aber auch darum, sagt Karim Beguir, Entscheidungshilfen zu bekommen, wenn beispielsweise eine Strecke durch einen defekten Zug blockiert sei. "Ein KI-Fahrplan-System für ein Streckennetz dieser Größenordnung hat es noch nie gegeben", sagt Beguir.

Supercomputer müssen helfen

Die Rolle von Instadeep ist dabei zweigeteilt: Zum einen hat das Team viel Erfahrung mit Supercomputern - und diese besonders schnelle Hardware braucht man auch, um komplexe Probleme wie das des Schienennetzes schnell zu lösen. Der andere wichtige Teil ist die angewandte Mathematik, sind mithilfe von maschinellem Lernen entwickelte Algorithmen. "Das ist ein bisschen so, wie Deepmind es mit Schach und Go gemacht hat", sagt Beguir. "Das Schöne daran war ja, dass das System nie eine Partie von einem Großmeister gesehen hat, es lernte vielmehr, indem es gegen sich selbst spielte."

Genauso will Instadeep nun bei der Bahn vorgehen. Die Experten füttern das System einfach mit den Daten aus dem realen Betrieb und lassen es durch Simulation der Abläufe selbst lernen. Wenn das System erst einmal erlernt habe, wie das System funktioniere, könne der Verkehr "binnen Minuten sehr viel effizienter umgeleitet werden". Die Bahn bekommt einen Supercomputer von Instadeep und ist eine langfristige Partnerschaft mit dem Start-up eingegangen.

Furcht vor KI

Wenn es um den Bahnverkehr geht, wird wahrscheinlich kaum jemand etwas dagegen haben, wenn der durch künstliche Intelligenz effizienter organisiert wird. Aber auf anderen Gebieten gibt es durchaus die Furcht, die automatisierten Systeme könnten zum Beispiel Minderheiten benachteiligen. Viele stören sich auch daran, dass man letztlich nicht genau weiß, wie die Erkenntnisse der selbstlernenden Technologie eigentlich zustande kommen.

Beguir findet das nicht nur verständlich, sondern auch richtig, dass kritische Fragen gestellt werden. Der Einfluss von künstlicher Intelligenz werde schließlich noch größer sein als der des Internets, wirtschaftlich wie gesellschaftlich. "Wir bei Instadeep arbeiten deshalb so, dass wir eine potenziell gute Lösung vorschlagen. Die Anwendung aber sollte mit einem anderen System erfolgen." Bei der Bahn etwa steuert das System keinen Zug selbständig. Die Steuerung übernehme ein komplett unabhängiges System, das nicht mit KI arbeite und auch von menschlichen Experten überwacht werde. "Wir können Lösungen für Probleme finden, bei denen die Datenmenge größer ist, als es Atome im Universum gibt, aber man sollte die vorgeschlagene Lösung immer noch mal überprüfen und nur mit Vorbehalt akzeptieren."

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