Süddeutsche Zeitung

Künstliche Intelligenz:"Das ist das Ende der Demokratie"

Kardinal Reinhard Marx fordert, dass Arbeit weiter einen Wert haben muss. Menschen dürfe man nicht mit einer Mischung aus Grundeinkommen und Unterhaltsangeboten ruhigstellen.

Interview von Kurt Kister und Thomas Fromm

Kardinal Reinhard Marx treibt das Thema schon länger um: Wie soll die Kirche umgehen mit der Digitalisierung und deren Folgen für die Gesellschaft? Darüber spricht er auch auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel, erst auf der Bühne mit Chefredakteur Kurt Kister, danach im Video-Interview für SZ.de. Jeder, sagt Marx, verändere ja "sein Verhalten durch dieses kleine Smartphone, das er in der Tasche hat", und holt prompt sein eigenes hervor. Aber schränkt es auch unsere Freiheit, Persönlichkeit, unseren Willen ein? "Ich empfinde das nicht so." Im Folgenden dokumentieren wir die wichtigsten Passagen aus beiden Gesprächen.

SZ: Herr Kardinal, begibt sich der Mensch heute mit dem Versuch, künstliche Intelligenz zu schaffen, nicht in den Bereich Gottes?

Kardinal Marx: Mit jeder technischen Entwicklung nehmen wir die Welt ein Stück weiter in den Griff. Die Frage, die mich beschäftigt und die ich auch mit Wissenschaftlern diskutiere, ist: Gibt es einen Punkt, an dem die Entwicklung umschlägt? Die künstliche Intelligenz ist ja an sich nicht das Problem. Aber kommen wir an einen Punkt, an dem wir nicht mehr die Maschinen an unsere Bedürfnisse anpassen, sondern wir uns umgekehrt deren Bedürfnissen anpassen? Auf den Finanzmärkten sind die Algorithmen heute schon schneller, und die technischen Möglichkeiten gehen über das hinaus, was der Mensch leisten kann. Das könnte aber eine Einschränkung der Freiheit sein, wenn Maschinen uns diese Entscheidung abnehmen. Wir als Gesellschaft müssen uns fragen, was uns unsere Freiheit wert ist und wie wir unsere Freiheit entwickeln wollen, damit wir uns nicht nur blind an technische Entwicklungen anpassen.

In anderen Bereichen hat die Kirche ja klare Positionen, wenn es darum geht, dass Menschen in gewisser Weise Menschen schaffen.

Es geht da nicht nur um moralische Überlegungen, was von Gottes Geboten her richtig ist. Wenn Menschen andere Menschen schaffen, ist die Gleichheit aufgehoben. Und damit ist die Demokratie in ihrer Grundlage gefährdet, weil sich die Beziehung der Menschen völlig verändert. Das wäre bei Maschinen auch so. Als ich zuletzt in Washington an der Georgetown-Universität über das Thema diskutiert habe, hat ein Teilnehmer von der Würde der Maschinen gesprochen, wenn die Roboter so intelligent werden, dass sie Empfindungen entwickeln können. Welche Rechte hätte so eine hochintelligente, vielleicht sogar selbstreflexive Maschine? Bleibt sie trotzdem ein Gegenstand, obwohl wir ständig mit ihr kommunizieren?

Könnte so eine hochintelligente, selbstreflexive Maschine an Gott glauben?

Ich glaube, dass diese Entwicklung nicht möglich ist. Sie könnte sicher sagen, dass sie an Gott glaubt - ob es aber dasselbe bedeutet, wie wenn wir das sagen, daran habe ich ganz grundsätzliche Zweifel. Wir sind gelegentlich verliebt in Horrorszenarien. Gibt es dieses Umschlagen, dass wir eines Tages den hochintelligenten Robotern unterworfen sind, die entscheiden, was wir zu tun haben, wohin wir zu gehen haben, was wir zu lassen haben. Man sollte das sehr genau beobachten, ich sehe das im Moment aber nicht. Trotzdem ist die Diskussion im Gange, und wenn es so weit sein sollte, müssen wir wissen, was wir wollen. Sonst setzt sich ein blinder Kapitalismus durch, der nur danach fragt, wo er die größten Gewinne machen kann, unabhängig davon, welche politischen, sozialen und ökologischen Folgen das hat. Das ist ja der Grundgedanke der sozialen Marktwirtschaft: Wir wollen eine Wirtschaft, eine technische Entwicklung, die letztlich dem Menschen dienlich ist. Das ist auch gar nicht so sehr religiös argumentiert, sondern eher sozialethisch.

Papst Franziskus hat gesagt: "Diese Wirtschaft tötet." Für das Oberhaupt der katholischen Kirche ist das doch ein sehr ungewöhnlicher Satz.

Aber es stimmt. Er hat ja nicht gesagt: "Die Wirtschaft tötet." Sondern er hat beschrieben, was passiert. Der Satz bezieht sich also auf einen Kontext, auch wenn er pointiert ist. Wir sind nach 1989 alle davon ausgegangen, dass diese westliche, marktwirtschaftliche Welt das ist, was die Zukunft der Menschheit bestimmt. Dass dies die neue Weltordnung ist, wirtschaftlich und politisch. Dann mussten wir Schritt für Schritt lernen, dass es nicht so ist. In den Neunzigerjahren war aus meiner Sicht ein noch stärkerer Kapitalismus auf der globalen Agenda. Das hat Johannes Paul II. schon 1991 in einer Enzyklika beschrieben, und er hat davor gewarnt, dass, wenn sich ein grenzenloser, bindungsloser Kapitalismus durchsetzt, die bösen alten Geister der Ideologien wiederkommen. Er dachte dabei vor allem an den Marxismus, den er überwinden wollte. Aber wir sehen heute, dass es noch andere Geister gibt, den alten Nationalismus zum Beispiel. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir die politischen Folgen der Ungleichheit im Blick behalten.

Müsste die Kirche in diesem Zusammenhang nicht konkret politischer werden?

Mir wird doch ständig gesagt, dass ich viel zu politisch wäre!

Sie denken also, die Kirche müsste politischer werden.

Die Kirche, das ist ja nicht nur der Bischof. Das sind die Gemeinden, die Menschen. Jeder ist da aktiv in seinem Bereich und muss als Christ sein Zeugnis geben mit den Möglichkeiten, die er hat. Ich als Bischof habe vielleicht die Aufgabe, die ganze Gemeinschaft zusammenzuhalten - aber auch, die grundsätzlichen Leitlinien der katholischen Soziallehre zu verkünden. Es gehört mit dazu, darüber nachzudenken, welche sozialethischen Konsequenzen sich aus den Grundüberlegungen des Evangeliums ergeben und dessen, was die Päpste in den letzten 100 Jahren dazu gesagt haben. Das ist aber keine alltagspolitische Aufgabe. Es kann nicht meine Sache sein, jede Koalitionsvereinbarung im Einzelnen zu kommentieren. Aber die sind ja noch nicht fertig - vielleicht reizt es mich ja dann doch, das ein oder andere zu sagen.

Haben Sie denn manchmal Zweifel an dieser Veränderungswelle, in der wir leben, von der wir auch manchmal fortgespült werden? Dieses Smartphone ist ja auch ein Instrument der Säkularisierung.

Auch. Aber wir haben durch dieses Gerät ja nicht weniger Religion in der Welt. Es gibt damit nur neue Möglichkeiten, das zu tun, was sowieso in mir ist - positiv wie negativ. Ich glaube nicht, dass das iPad mich hindert, das Evangelium zu verkünden. Ich bin eher einer, der sagt, die Geschichte geht weiter, jetzt schauen wir mal, was da auf der Tagesordnung ist. Die Grundmelodie ist eher: Das Leben ist schön, es ist ein großes Geschenk. Der liebe Gott hat uns Möglichkeiten gegeben, und wir können in jeder Zeitstunde, die uns geschenkt ist, auch etwas Positives tun.

Das Problem ist ja nicht Gott, das Problem ist der Mensch, wenn er sagt: Ich bin sowieso fast Gott, was geht mich das an.

Gott ist ja für den wichtig, der glaubt, aber auch für den, der darüber nachdenkt. Glaube und Unglaube sind ja nicht so sauber getrennt. Viele haben Phasen des Unglaubens und dann haben sie wieder Phasen des Glaubens. Ein Mensch, der sich grundsätzlich suchend die Frage stellt, ob es eine Verantwortung gibt und wem gegenüber, der nimmt sein Leben ernster.

Wenn nahezu jeder Mensch Phasen des Glaubens und des Unglaubens hat, haben Sie diese dann auch?

Ja, sicher. Ich kann mich gut an ein Gespräch mit Papst Franziskus erinnern, das mich sehr überrascht hat. Es ist ja vorgesehen, dass die Bischöfe alle fünf Jahre nach Rom pilgern, zu den Gräbern der Apostel und zum Papst. Dabei hatten wir ein Gespräch in der Runde mit dem Papst, und ich habe berichtet, wie es in München ist, und ich habe den Bischof von Görlitz vorgestellt, wo 80 Prozent der Menschen nicht getauft sind, eine ganz andere Situation. Da sagt der Papst nur: "Ja, mit Glaube und Unglaube, das ist nicht so einfach. Haben wir nicht alle schon gezweifelt?" Das fand ich stark. Der Papst sagt damit ja, dass er ein suchender Mensch bleibt. Und damit kommt er vielen Menschen sehr nah.

Vielleicht ist es auch gut, dass Franziskus ein bisschen Populist ist?

Das ist so eine Sache. Wahrscheinlich sind wir alle irgendwie Populisten, die Süddeutsche Zeitung gelegentlich auch.

Durchaus.

Populismus ist ein schillerndes Wort. Vereinfachen, zuspitzen, das machen wir alle. In einer Predigt muss ich das auch, um die sieben, acht, zehn Minuten nicht zu sprengen. Aber der Populismus, der hier gemeint ist, will ja aufhetzen, verschärfen, polarisieren. Er richtet sich gegen einen anderen. Das ist etwas anderes als ein Populismus, der versucht, einen komplizierten Sachverhalt so darzustellen, dass er leichter zu verstehen ist.

Im guten Sinne, also komplexe Sachverhalte für jeden zu erklären, war Jesus auch ein Populist.

Wir kennen nur die Heilige Schrift. Im Markus-Evangelium und an vielen anderen Stellen steht, dass er lange predigte. Das waren keine Zehn-Minuten-Predigten, das waren drei oder vier Stunden. Aber das haben wir nicht schriftlich vorliegen, wir haben nur eine komprimierte Version dessen, was er gesagt hat. Ein roter Faden ist aber, dass er viel in Erzählungen gesprochen hat. An einer Stelle steht, er sprach nur in Gleichnissen. Er hat also versucht, immer auch eine andere Ebene mit einzuziehen. Das kann zu einer Reflexion führen, es lässt den Einzelnen freier in seiner Interpretation. Das regt die Menschen an, sich einzubringen. Insofern würde ich das gerade nicht als Populismus bezeichnen.

Wir alle müssen unser Leben und unsere Geschäftswelt im Moment digitalisieren. Das ist ein Umbruch, den es so seit Jahrzehnten nicht gegeben hat. Wie sieht es mit der Kirche aus, muss sie sich nicht auch viel stärker modernisieren?

Die technische Seite ist da nicht das Problem. Vielleicht könnte das noch schneller gehen, aber das kann ich nicht überschauen. Die Frage, die wir beantworten müssen, ist: Ändert sich die Kommunikation? Wir als Kirche leben von Kommunikation, das steht im Zentrum. Es gibt jetzt viele neue Formen, und man muss gut überlegen, was man macht. Natürlich müssen wir präsent sein und die neuen Mittel nutzen. Ob das aber die Kommunikation selbst verändert und was das dann für die Weitergabe des Glaubens bedeuten würde, darüber muss man noch nachdenken. Ich empfinde jedenfalls, dass das Bedürfnis, sich zu begegnen, das reale Zusammentreffen, das gemeinsame Fest weiterhin entscheidend sein werden, solange es Menschen gibt und solange Menschen auch wirklich Menschen sein wollen.

Es gibt Experten, die sagen, dass im Zuge der Digitalisierung ein nicht unerheblicher Teil der Menschen arbeitslos werde, weil man sie schlicht nicht mehr braucht. Diese Leute dürften dann zu Hause bleiben. Die Diskussion dreht sich um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das heißt, wir werden irgendwann eine sehr große Gruppe der Gesellschaft sehen, die zu Hause sitzt. Ist das sozial?

Nein. Das ist das Ende der Demokratie. Wer meint, man könne eine Gesellschaft aufbauen, indem man einen großen Teil mit dem Grundeinkommen versorgt und ansonsten Unterhaltungsindustrie auf sie loslässt, liegt meiner Ansicht nach falsch. Denn die Arbeit ist nicht irgendetwas, sondern die Arbeit gehört auch zur Grundkonstitution des Menschseins: Dass ich etwas schaffe für mich und meine Familie, was von Wert ist, nicht bedeutungslos ist. Die politischen Folgen sehen wir ja in manchen Bereichen jetzt, wenn Leute den Eindruck haben: "Ich bin abgehängt, ich bin zu nichts mehr nütze." Deswegen muss man darauf achten, dass das normale Arbeitsverhältnis, dass jemand von seiner Arbeit lebt und da auch etwas schafft und etwas Sinnvolles tut, für die Gemeinschaft und in der Gemeinschaft wichtig ist - das ist eine Säule für eine freie Gesellschaft. Und wenn diese Säule gekappt wird, erodiert auch die Demokratie. Und deswegen sollte uns das bekümmern.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2017
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