Künstliche Ernährung:Das Ende vom Ei

soylent shake

Alle lebenswichtigen Nährstoffe in einem Getränk vereint? Das Getränk Soylent aus Silicon Valley soll die Welt verändern.

(Foto: Soylent)

Soylent statt Steak und Salat: Die Firma Rosa Labs hat Flüssignahrung erfunden, die normales Essen ersetzen soll. Ein Beispiel für den Effizienzgedanken in Silicon Valley - und den Größenwahn.

Von Jürgen Schmieder und Johannes Kuhn, Los Angeles

Die Geschichte beginnt wie so viele in Silicon Valley: Da sitzen ein paar Programmierer in einer winzigen Wohnung, sie arbeiten rund um die Uhr, soziale Kontakte beschränken sich auf Gespräche mit Kollegen. Sie kommen jedoch nur schleppend voran, langsam gehen ihnen Zeit und Geld aus, sie überlegen deshalb, wie sie beides sparen können. Die Lösung: die Aufnahme von Nahrung effizienter gestalten. "Essen war eine immense Bürde", sagt Rob Rhinehart, einer dieser Programmierer: "es war aufwändig und kostete Zeit: Überlegen, was man essen möchte. Einkaufen, Zubereiten, Essen, Saubermachen. Ich würde sagen, dass der typische Amerikaner 90 Minuten pro Tag mit Nahrungsaufnahme verbringt. Das ist ineffizient."

Er probierte es zunächst mit Ein-Dollar-Menüs von Schnellrestaurants und Angeboten von Lieferservices: "Es ging mir schlecht, nach einer Woche dachte ich, dass ich sterben würde", sagt er. Auch ein Experiment mit Salat scheiterte, weshalb er im Januar vergangenen Jahres einen komplett neuen Weg einschlug: Warum nicht alle lebenswichtigen Nährstoffe zu einem Getränk vereinen?

Dieses Getränk ist gerade auf den Markt gekommen, es heißt Soylent in Anlehnung an den Film "Soylent Green" von 1973, bei dem die Menschen der Zukunft mit einem Mittel gefüttert werden, das unter anderem Menschenfleisch enthält. Das Produkt sorgt derzeit in den Vereinigten Staaten für heftige Diskussionen: Kann es wirklich dafür sorgen, dass Essen bald ein Anachronismus sein wird? Dass wir künftig kein saftiges Steak oder vitaminreiches Gemüse zu uns nehmen, sondern uns über ein deutlich preiswerteres Getränk ernähren? Oder - noch weiter gedacht: Kann Soylent womöglich gar das Hungerproblem in der Welt lösen? Ein Essay in The New Yorker jedenfalls war mit "The End of Food" betitelt - das Ende des Essens. Soylent ist kein Nahrungsergänzungsmittel, es ist ein Nahrungsersetzungsmittel.

An Nahrungs-Startups herrscht in den USA wahrlich kein Mangel, mit AgFunder existiert für sie sogar eine eigene Investoren-Plattform. Ambronite heißt der Soylent-Konkurrent aus der Bio-Ecke, Hampton Creek Foods möchte Eier in Lebensmitteln ersetzen und hat ebenso ausreichend Investoren-Kapital gesammelt wie Beyond Meat, das veganen Fleischersatz herstellt. Exzentrischere Geschmäcker bedienen World Ento und Tiny Farms, die darauf wetten, dass sich die Welt bald von Insekten ernährt. Und Modern Meadows verfolgt den Plan, aus Tierzell-Kulturen Fleisch im Labor zu züchten und dann per 3-D-Drucker auszudrucken.

Der Anspruch von Rhinehart und den Rosa Labs ist kein geringerer, als die Welt zu verändern. Die Geschichte seiner Firma ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Menschen in Silicon Valley ticken, was sie antreibt, wie sie denken über die Welt da draußen. Es ist eine Geschichte über das stete Effizientermachen des Menschseins und den wie selbstverständlichen Größenwahn, dass eine herausragende Idee genügt, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

An sich selbst getestet

Rhinehart ist 25 Jahre alt, mit den brauen, zur Seite gekämmten Haaren und der Milchbuben-Haut sieht er ein wenig aus wie die Legofigur Emmet aus dem "Lego Movie". Er hat an der Georgia Tech University Elektromechanik studiert, ist also weder Mediziner noch Chemiker. Wer sich mit ihm unterhält, hört kein "Äh" und kein "Öh" und auch keine Pausen. Er verwendet keine Floskeln wie Marketingstrategen, die unbedingt ein Produkt anpreisen wollen.

Er ist selbstbewusst, jedes Wort zuviel scheint als Verschwendung zu betrachten. "Ich habe mich intensiv mit Biochemie und Medizin beschäftigt: Woraus besteht der menschliche Körper, woraus setzte sich Nahrung zusammen? Danach habe ich für mich ein Produkt entwickelt und an mir selbst getestet", sagt er: "Es hat funktioniert, weil ich den Müll eliminiert habe, der in Essen zu finden ist: Es schmeckt, es ist gesund und es ist billig." Er habe das Projekt zunächst nur für sich und seine Kollegen erfunden: "Je weniger Geld wir für Essen ausgaben, desto mehr konnten wir in Dinge investieren, die wir zum Entwickeln brauchten."

Der Mensch, das wird deutlich, ist in dieser Formel nur eine Konstante - ein Faktor, der effizient mit Nahrung versorgt werden muss, damit er produktiv arbeiten kann. Kalifornien war schon immer ein Labor für Körperkult-Neuheiten mit immer neuen Diäten, innovativen Fitnessgeräten und chirurgischen Eingriffen. Rhineharts Ernährungs-Philosophie bezieht den Innovationsgedanken des Silicon Valley mit ein. Statt Entschlackung, Bio-Kost und Wohlfühl-Diät wird der Körper zur Maschine, die reibungslos funktionieren soll. Wenn Bildschirmarbeit bis zur Erschöpfung zum Alltag gehört, ersetzt Effizienz den Genuss bei der Nahrungsaufnahme.

Brei aus der Flasche und Blähungen - ist das die Zukunft?

Rhinehart experimentierte, er litt aufgrund falscher Zusammensetzungen bisweilen an Herzrasen und Blähungen. Als er die seiner Meinung nach richtige Formel gefunden hatte, veröffentlichte er sie sogleich im Internet - ein eher ungewöhnlicher Schachzug, schließlich gehen andere Firmen mit den Zutaten und der Dosierung ihres Produkts um, als wäre es der Heilige Gral. "Das ist der Gedanke von Open Source, wir haben dadurch wichtige Informationen erhalten und die Zutaten immer weiter verfeinert", sagt er - und betont, trotz mittlerweile mehr als 1500 im Internet veröffentlichten Variationen habe er keine Angst vor Nachahmern: "Man kann auch daheim sein eigenes Bier brauen, doch die meisten kaufen industriell gefertigtes Bier. So wird das auch bei Soylent sein." Zahlreiche Zutaten seien ohnehin nur über Labore zu beziehen, das Produkt ist auch deshalb so günstig, weil das Unternehmen eine große Menge davon geordert hat - zudem ist die exakte Dosierung essentiell: "Wir backen hier keinen Kuchen", sagt Rhinehart.

Er gründete mit Matt Cauble und John Coogan ein Unternehmen und wollte es über Crowdfunding finanzieren: "Ich war optimistisch und wollte innerhalb einer Woche 100.000 Dollar sammeln - das haben wir innerhalb von zwei Stunden geschafft." Dazu investierten die Risikokapitalgeber Y Combinator und Andreessen Horowitz, insgesamt hatte Rhinehart knapp drei Millionen Dollar zur Verfügung. Er zog mit seiner Firma - natürlich aus Effizienzgründen - weg aus Silicon Valley. Sechs Vollzeit-Angestellte arbeiten nun in einem Haus in Los Angeles (das aufgrund der geringeren Mieten und der Nähe zu wunderbaren Stränden mittlerweile Silicon Beach genannt wird) an Formeln und am Vertrieb. Rhinehart sagt: "Man kann immer besser werden, man kann immer billiger werden, man kann immer effizienter sein."

Zwei Arten von Nahrung: eine nützliche und eine für Grillfeste

Seit 1. Mai verschickt das Unternehmen sein Produkt in den USA, in der ersten Woche waren es 30.000 Einheiten, aufgrund der starken Nachfrage können Neubestellungen bis zu zehn Wochen dauern: "Wir sind dabei, in den nächsten Monaten 500.000 Einheiten zu versenden. Wir arbeiten gerade daran, das Produkt auch in anderen Ländern zu verbreiten." Die Kunden bekommen das Pulver, einen Löffel und einen Plastikkrug. Wasser und Öl dazu, vielleicht ein bisschen Eis - fertig. Bei einem Abonnement zahlen sie 255 Dollar für eine Monatsration, können sich also für etwa neun Dollar pro Tag ernähren.

Ist das also die Zukunft? Wird das Ende dieser Geschichte so aussehen, dass wir künftig alle mit Trinkflaschen herumlaufen, in denen sich eine Flüssigkeit befindet, die - positiv ausgedrückt - aussieht wie Babybrei und die - ebenfalls positiv ausgedrückt - schmeckt wie üppiger Keksteig? Bei dem man zumindest in der ersten Woche der Nutzung - positiv ausgedrückt - häufiger Blähungen hat als gewöhnlich? Laden wir künftig Freunde zu einem Feierabend-Soylent auf den Balkon ein?

Rhineharts Vision hat viele Skeptiker auf den Plan gerufen. "Niemand trickst Mutter Natur so einfach aus", sagt Joan Salge Blake von der amerikanischen Ernährungsberater-Vereinigung Academy of Nutrition and Dietetics. "In Obst und Gemüse finden sich wichtige Pflanzenstoffe und -fasern, die nachweislich entscheidend sind, um unseren Organismus zu steuern."

Zwar könnte in akuten globalen Hungerkrisen künstliche Nahrung künftig eine wichtige Rolle spielen, doch darüber hinaus sei Vorsicht geboten. "Es gibt keinerlei Langzeit-Studien über diese Form der künstlichen Nahrung." Soylent sei ohnehin nur eines von vielen Produkten, das in den vergangenen Jahrzehnten eine Revolution der Ernährung versprochen habe - durchgesetzt habe sich keines. "Am Ende essen wir vor allem wegen des Geschmacks und des sozialen Austauschs, den wir am Tisch mit Freunden und Familie erleben können."

Rhinehart betont, die soziale Komponente der Nahrungsaufnahme keineswegs ersetzen zu wollen: "Die Grillfeste mit Freunden und das gemeinsame Abendessen in der Familie soll keineswegs abgeschafft werden - mir geht es um die Mahlzeiten, die wir nebenbei zu uns nehmen." Also jene, bei denen wir einfach nur Essen in uns hineinstopfen, um etwas im Magen zu haben: "Die beeinflussen unsere Gesundheit, dafür braucht es eine bessere Lösung." Er prognostiziert, dass es künftig zwei Sorten von Nahrung geben wird: eine nützliche - und eine weitere für Genuss und Zusammenkunft.

"Des Kaisers neues Glutamat"?

Doch die Haupt-Intention von Soylent zunächst die, dass ein Mensch mehr Zeit für andere Dinge hat, wenn er sie nicht mehr aufs Essen verschwenden muss. Für das Arbeiten etwa, weshalb Programmierer begeistert sind - wie sie in zahlreichen Blogs ausdrücken. Doch Rhinehardts Vison geht weiter. Viel weiter. Schließlich heißt es in der Apple-Werbung auch: "Sie beugen sich keinen Regeln, und sie haben keinen Respekt vor dem Status Quo." 842 Millionen Menschen haben dem Welternährungsprogramm zufolge nicht genug zu essen, die rapide wachsende Weltbevölkerung benötigt immer mehr Nahrung.

"Wenn das Produkt effizient ist und es sich jeder leisten kann, dann wird es auch jeder benutzen", sagt Rhinehart. Er träumt von einer Art Superorganismus, der Soylent produziert - am besten eine Alge, die nur Sonne, Luft und Wasser braucht: "Es wäre effizienter als traditionelle Landwirtschaft und damit besser für die Umwelt." Gerade in Kalifornien wird aktuell aufgrund der Dürre heftig über Landwirtschaft diskutiert, nirgends in den USA wird so viel angebaut wie hier. Präsident Barack Obama war bereits zu Besuch und sicherte den Bauern Millionenhilfen zu, dazu will er ein milliardenschweres Programm aufgrund des Klimawandels durchsetzen. Ist da die billigere, die effizientere Lösung nicht doch ein Produkt wie das von Rhinehart?

Kann synthetisches Essen diese Probleme wirklich lösen? "Die Ideen scheinen mir eher des Kaisers neues Glutamat zu sein", schimpfte jüngst der Öko-Agrar-Investor Rufo Quintavalle in einem Aufsatz. Obwohl die Investoren im Silicon Valley inzwischen Hunderte Millionen Dollar pro Jahr in Firmen rund um das Thema Essen pumpen, besetzen Firmen wie Soylent nur eine Nische. Mit Abstand am meisten Geld erhalten weiterhin Online-Dienste, die Lebensmittel liefern, Ernährungspläne aufstellen oder Restaurants empfehlen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Rhineharts Idee nicht durchsetzen wird. Die Welt verändern, alles darunter gilt in Silicon Valley als süße Idee, die einen vielleicht zum Millionär macht - doch Mammon gilt in dieser Welt vielen nur deshalb als wichtig, weil es der schnöde Gradmesser dafür ist, wie sehr eine Idee die Welt verändern könnte. Rhineharts Firma arbeitet bereits profitabel, es gibt zahlreiche Fans in Silicon Valley, das Wachstum ist rasant - es scheint wie gemacht zu sein für eines der nächsten großen Dinge. Vielleicht sogar das nächste ganz große Ding.

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