Kündigung eines Tippgebers:"Wir haben einen Maulwurf"

Per Yngve Monsen warnte 2003 die Siemens-Zentrale vor einem norwegischen Betrugsskandal. Kurz darauf wurde er gefeuert.

Gunnar Herrmann

Per Yngve Monsen hat sicher oft an jenen Wintertag im Dezember 2003 gedacht, als er einen anonymen Brief an die deutsche Konzernzentrale seines Arbeitgebers Siemens Business Services (SBS) in einen Osloer Briefkasten warf.

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(Foto: Foto: AP)

Es war der Anfang einer Affäre, die noch heute die norwegische Polizei und die Regierung beschäftigt - und für Monsen war es der Beginn eines jahrelangen Albtraums.

Dabei hatte der als Controller nur seine Pflicht tun wollen. Gemäß den Richtlinien, die er zusammen mit seinem Arbeitsvertrag im Jahr 2000 unterzeichnet hatte, wollte er die Zentrale auf einen möglichen Fall von Betrug und Korruption hinweisen und sie rechtzeitig vor einem Skandal warnen.

Überhöhte Rechnungen

Monsen hatte entdeckt, dass SBS das norwegische Militär um viele Millionen Kronen geprellt hatte, weil für den Aufbau eines Computersystems überhöhte Rechnungen ausgestellt worden waren.

Laut Vertrag mit dem Verteidigungsministerium durfte die Siemens-Tochter bei dem Geschäft höchstens acht Prozent Gewinn machen. In Wirklichkeit verdiente sie weit mehr.

Monsen weist seine norwegischen Vorgesetzten im Januar 2002 auf den Regelverstoß hin, aber es geschieht nichts. Deshalb beschließt er, bei der Zentrale in Deutschland Alarm zu schlagen, gemäß den Vorschriften. Siemens verpflichtet alle Mitarbeiter, sich an Recht und Gesetz zu halten. Anonyme Tippgeber, die Missstände aufdecken, genießen offiziell besonderen Schutz. Ihre Identität soll geheim bleiben, sie sollen keine Racheakte ihrer Vorgesetzten fürchten müssen. Soweit die Theorie.

Hinweis der Zentrale

Wenige Tage nachdem Monsen den anonymen Brief nach Deutschland geschickt hat, bestellt sein Chef Ole Morten Skymoen alle Führungskräfte von SBS Norwegen zu einem Meeting ein.

Zu Monsens Entsetzen liegt im Besprechungsraum die komplette Aktensammlung, die er - wie er glaubte - vertraulich nach Deutschland geschickt hat. Skymoen sagt bei dem Treffen angeblich: "Wir haben einen Maulwurf. Wir werden ihn finden und feuern."

Anhand der Akten war es Monsen zufolge ein Leichtes, ihn zu identifizieren. Einige Monate später wird bei einer Umstrukturierung Monsens komplette Abteilung aufgelöst. Alle 400 Angestellten bekommen bei SBS einen anderen Job - alle, bis auf einen. Monsen wird wegen allgemeinem "Stellenabbau" entlassen.

"Wir haben einen Maulwurf"

Gegen die Kündigung geht er vor Gericht, außerdem wendet er sich nun an die Compliance-Abteilung des Siemens-Konzerns in Erlangen. Es kommt sogar zu einem Treffen mit einem Siemens-Juristen in einem Osloer Hotel. In einer Mail vom 17. Dezember 2004 versichert der Jurist, er nehme die Sache "sehr ernst".

Monsen bekommt aber das Gefühl, dass die Kontrolleure aus Deutschland oberflächlich arbeiten. Tatsächlich teilen sie ihm im Mai mit, dass sie keine Unregelmäßigkeiten in den Geschäften von SBS mit dem Verteidigungsministerium finden können. Das wird später sowohl vor Gericht als auch durch eine Expertenkommission des Verteidigungsministeriums widerlegt.

Zeitung bringt Fall ins Rollen

Weil Monsen sich im Stich gelassen fühlt und fürchtet, dass SBS die Sache vertuschen will, gibt er sein Material Ende Januar 2005 einer Zeitung. Und der Skandal, vor dem er seinen Arbeitgeber ursprünglich warnen wollte, nimmt seinen Lauf.

Die Verteidigungsministerin untersucht den Fall, mehrere Berater und Mitarbeiter geraten unter Korruptionsverdacht. Sie sollen Reisen und Geschenke bekommen haben, um bei der Prüfung der SBS-Rechnungen nicht so genau hinzusehen. Die norwegische Polizei ermittelt noch in der Sache.

Monsen klagt vor Gericht und gewinnt. SBS wird im September 2005 zu einer Schadensersatzzahlung von 1,5 Millionen Kronen (etwa 181 000 Euro) verurteilt. Das Gericht bestätigt auch Monsens Vorwürfe; SBS habe tatsächlich zu viel Geld vom Verteidigungsministerium verlangt.

Siemens zahlt Millionen zurück

Außerdem geht das Gericht davon aus, dass der Grund für die Entlassung nicht "Stellenabbau", sondern der Brief an die Konzernzentrale gewesen sei. Siemens muss seine Fehler eingestehen und viele Millionen an das Verteidigungsministerium zurückzahlen. Das SBS-Management wird entlassen.

Per Yngve Monsen hat in seiner alten Branche keinen Job mehr gefunden. Siemens hatte ihm zwar Angebote gemacht, aber Monsen hat sie ausgeschlagen. Er habe das Gefühl gehabt, man wolle ihn kaufen, sagt er.

Stattdessen schreibt er ein Buch über seinen Fall. Außerdem will er eine Stiftung gründen, die Tippgebern wie ihm künftig zur Seite stehen soll. "Die Arbeitgeber müssen begreifen2, sagt er, "dass Leute wie ich eigentlich ein Gewinn für das Unternehmen sind."

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