Soziales Netzwerk:Renate Künast verklagt Facebook

Lesezeit: 5 min

Renate Künast wird immer wieder im Netz angegriffen. (Foto: Johannes Simon)

Die Grünen-Politikerin Renate Künast wehrt sich gegen Facebook. Das Netzwerk verbreite falsche Zitate im Netz weiter, selbst wenn klar ist, dass sie falsch sind.

Von Kathrin Werner

"Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal Türkisch lernen." Renate Künast hat diesen Satz nie gesagt. Trotzdem verbreitet er sich seit Jahren schon im Internet, vor allem bei Facebook, und wird der Grünen-Politikerin als Zitat zugeschrieben. Oft wird er als sogenanntes Meme geteilt: Jemand schreibt das falsche Zitat auf ein Foto von Künast und verbreitet es weiter. So hat es Wut, Hass, Empörung und Beleidigungen nach sich gezogen, vor allem von Rechten und Rechtsradikalen. "Bei solchen Themen arbeiten die oft mit Vergewaltigungsfantasien", erzählt Künast. Und es hört nicht auf, das Zitat taucht immer wieder auf.

Künast wehrt sich nun. Sie hat beim Landgericht Frankfurt am Main Klage gegen Facebook eingereicht und will erreichen, dass das soziale Netzwerk ihr gefälschtes Zitat und ähnliche Zitate und Memes löschen muss und außerdem Schadenersatz zahlt. "Ich habe mich lange mit dem Thema beschäftigt und gesehen, welche Wucht mit organisiertem und orchestriertem Rechtsextremismus entwickelt werden kann", sagt Künast. "Ein Werkzeug ist, Zitate zu erfinden und dann rumzuschicken." Zur Not will sie durch alle Instanzen gegen Facebook klagen.

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Facebook weiß, dass es sich bei dem Türkischlernen für Deutsche um ein Falschzitat handelt. Schließlich markiert die künstliche Intelligenz des sozialen Netzwerks den Satz als solches. So will Facebook verhindern, dass sich Fehlinformationen weiterverbreiten und den Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit geben, sich zu informieren. Doch was einmal gelesen ist, kann sich weiter verfestigen und verbreiten. Und freiwillig lässt Facebook-Chef Mark Zuckerberg die Zitate nicht löschen. "Facebook und Zuckerberg weinen immer wieder Krokodilstränen und sagen, dass sie ihre Verantwortung nicht gesehen haben und machen dann irgendeine kleine Veränderung", sagt Künast. "Ich möchte eine Grundsatzveränderung. Ich möchte, dass es für Betroffene nicht zur energiefressenden Lebensaufgabe wird, falsche Zitate zu suchen."

In den vergangenen Monaten haben Menschen noch mehr Hass im Internet erlebt als in den Jahren zuvor. Die soziologische und psychologische Forschung ist noch nicht eindeutig, aber es sieht so aus, als würde sich all der Frust, die Wut und der Hass der sozialen Isolierung durch die Pandemie im Netz entladen - auch weil andere Ventile fehlen. Viele der Äußerungen sind rechtswidrig, doch Betroffene können ihre Rechte auf Löschung und Strafverfolgung nur schwer durchsetzen, beklagt Hate Aid, der Organisation, die Künast bei der Klage unterstützt. Das liege an der mangelnden Kooperation von Facebook, Twitter und den anderen Plattformbetreibern, die es einfach darauf ankommen ließen, dass die Nutzerinnen und Nutzer ihre Rechte selbst einklagen. Da es kaum Rechtsprechung dazu gibt und sich die Unternehmen wehren, sind Betroffene gezwungen, den Weg durch die Instanzen zu gehen. Das ist aufwendig und teuer, die meisten Nutzerinnen und Nutzer trauen sich darum nicht. So kommen die Täter mit ihrem Verhalten durch. "Ein gefährlicher Schneeballeffekt: Betroffene ziehen sich aus den Debatten im Netz zurück - Täter*innen agieren immer enthemmter und aggressiver - unsere Demokratie erodiert", heißt es bei Hate Aid.

Facebook hat Künast am Montagabend kurz vor Mitternacht eine E-Mail geschrieben und auf die Vorwürfe in der Klage reagiert. Das soziale Netzwerk will künftig das falsche Zitat identifizieren und sperren, teilte es der Politikerin mit - "in Ihrem spezifischen Fall". Künast genügt das nicht. "Es ist ein netter, aber durchsichtiger Versuch, mich ruhig zu stellen", sagt sie. "Ich bin nicht spezifisch, ich bin eine von Hunderttausenden." Facebook toleriere keine unzulässigen Inhalte und habe deshalb massiv in Technologie, menschliche Expertise und Partnerschaften investiert, teilte das Unternehmen mit. "Wir haben das von Frau Künast gemeldete falsche Zitat von der deutschen Facebook-Plattform entfernt und Frau Künast darüber informiert, dass wir ebenfalls Schritte einleiten, um identische Inhalte zu identifizieren und zu entfernen."

Ist "Stück Scheiße" eine Beleidigung?

Mit Renate Künast haben sich die Netz-Pöbler jedenfalls mit der Falschen angelegt. Gegen Beleidigungen im Netz ist die frühere Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, die auch Rechtsanwältin ist, bereits mehrfach gerichtlich vorgegangen - und auch gegen Facebook. Mit einer Klage in Berlin wollte sie erreichen, dass Facebook die personenbezogenen Daten der Verfasser von Hasskommentaren herausgibt, um zivilrechtlich gegen sie vorgehen zu können. Das Urteil in erster Instanz erregte große Aufmerksamkeit, weil das Gericht zu dem Ergebnis kam, dass sie mit Beschimpfungen wie "Drecks Fotze", "Schlampe", "Sondermüll", "Drecksau" oder "Geisteskranke" eben leben müsse. Worte wie "Stück Scheiße" seien keine Beleidigung im Sinne des Gesetzes, sondern eine Meinungsäußerung und diese "haarscharf an der Grenze des Hinnehmbaren". Das Berliner Kammergericht gab ihr dann aber später bei sechs von 22 Ausdrücken recht. Künast sei "mittels besonders drastischer Begriffe aus dem Bereich der Fäkalsprache in einer so maßlos überzogenen Art und Weise attackiert" worden, dass nur noch die persönliche Schmähung im Vordergrund gestanden habe und nicht eine sachbezogene Auseinandersetzung. Den Prozess bei den restlichen Fällen treibt Künast weiter, ihre Verfassungsbeschwerde liegt nun vor dem Bundesverfassungsgericht.

Künast hat das Thema zu ihrem gemacht. Die 65-Jährige hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Hass ist keine Meinung". Sie gibt nicht auf, hat noch diverse Zivilklagen gegen Beleidiger und auch Strafverfahren laufen. Der Büroleiter eines AfD-Abgeordneten zum Beispiel musste vor gut einem Jahr 3000 Euro an Künast zahlen, weil er ein Zitat von ihr sinnentstellt verbreitet hatte. Doch es gibt auch immer wieder Rückschläge. Gerade ist ein Verfahren gegen einen Thüringer Rentner aber gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt worden. Er hatte sie unter Klarnamen beleidigt. Auch in dem Fall unterstützt die Organisation Hate Aid die Politikerin.

Hate Aid betreut die Opfer von Hass im Internet. Die ehemalige Journalistin Anna-Lena von Hodenberg hat die Organisation 2018 mit Unterstützung der Kampagnenorganisation Campact gegründet. Hate Aid setzt nicht auf das Strafrecht, sondern auf Zivilklagen. Nicht der Staat, sondern Opfer wie Künast verklagen den Täter, um zu erreichen, dass er seine Diffamierungen nicht wiederholen darf. Im besten Fall gibt es Schmerzensgeld und Schadenersatz. Hate Aid, eine gemeinnützige GmbH mit inzwischen fast 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, übernimmt die Anwalts- und Gerichtskosten, dafür verpflichten die Betroffenen sich, eventuelles Schmerzensgeld oder Schadenersatz an einen Fonds der Organisation zu spenden. Gerade hat sich Hate Aid mit der Alfred Landecker Foundation zum "Landecker Digital Justice Movement" zusammengeschlossen. Mithilfe des Fördergelds der Stifterfamilie Reimann kann Hate Aid nun Grundsatzprozesse gegen die großen digitalen Plattformen wie Facebook bis in die letzte Instanz finanzieren. Außerdem will Hate Aid die Gesetzgebung des neuen Plattformgrundgesetzes der EU, dem Digital Services Act, beeinflussen und die Perspektive von Betroffenen stärker in den Fokus rücken.

Besonders oft sind es Frauen, die zum Ziel von Hass im Netz werden. "Es trifft Kommunalpolitikerinnen, Aktivistinnen und Journalistinnen, die mundtot gemacht werden sollen, bis sie sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen", sagt Hodenberg von Hate Aid. "Leider ist das erfolgreich." Kaum eine Politikerin ist von Hate Speech verschont. Laut einer eineinhalb Jahre alten Umfrage des ARD-Politmagazins "Report München" sind fast 90 Prozent aller weiblichen Bundestagsabgeordneten damit konfrontiert. 57 Prozent haben mit sexistischen Beleidigungen und Bedrohungen zu kämpfen - quer durch alle Parteien. Jede zehnte der befragten Parlamentarierinnen denke demnach sogar übers Aufhören nach. Künast will nicht zulassen, dass die großen sozialen Medienkonzerne diesen Hass weiter befeuern. "Es kann nicht sein, dass einer Geschäfte damit macht, dass Karrieren von anderen zerstört werden", sagt sie. "Die Zukunft der Demokratie wird im Netz entschieden."

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