Süddeutsche Zeitung

Kryptogeld:Die Jagd nach den Schlüsseln

Die Erben eines Bankierssohns suchen seine versteckten Kryptomillionen. Doch hier gilt: Wer den Zugangscode nicht kennt, hat keinen Zugriff auf das Geld. Für die Nachkommen könnte dieses Vermögen also verloren sein.

Von Victor Gojdka

Es gibt Drogen, die abhängig machen, und solche die Leben retten. Manchmal ist es nur eine Frage der Dosis. Ibogain, eine psychoaktive Substanz aus der Wurzelrinde eines westafrikanischen Strauches, sollte Bankierssohn Matthew Mellon in einer Klinik im mexikanischen Cancún helfen, von anderen Drogen loszukommen. Weg von den süchtig machenden Schmerztabletten, dem Heroin, das Verlangen lindern. An einem Montag im April sollte es losgehen, Mellon hatte am Abend noch im Hotel eingecheckt. Wenige Stunden später war der 54-jährige Amerikaner tot, berichtet die Mail on Sunday.

Ein Geheimnis, das nun viele interessiert, nahm Mellon mit ins Grab: Wo hat er die digitalen Zugangsschlüssel zu seinem Kryptogeld-Vermögen gelagert? Zum Zeitpunkt seines Todes soll es viele Hundertmillionen Dollar schwer gewesen sein, berichtet das Wirtschaftsmagazin Forbes. Müssen seine Erben nicht nur Mellon begraben, sondern auch die Hoffnung auf das Riesenvermögen?

Bei Krypto-Experten rund um den Globus sorgt der Fall Mellon für Aufsehen. Wie sie ihre Millionen vererben, darüber hatten sich die Krypto-Enthusiasten nie Gedanken gemacht. Die Passwörter zu ihren Kryptovermögen versteckten sie gut. Mal unter einer Holzdiele, mal im Bankschließfach, mal im Atombunker.

Nur wer den Zugangscode kennt, kann über das Geld verfügen

Aus gutem Grund, denn bei Kryptogeld gilt: Nur wer den digitalen Schlüssel kennt, kann über das Geld verfügen. Dem Bitcoinnetzwerk ist dabei völlig egal, wer auf das Geld zugreift, ob Eigentümer, Hacker oder Dieb. Genau das lässt viele Krypto-Magnaten paranoid werden, auch Bankierssohn Mellon, wie Freunde der Mail on Sunday und Forbes erzählten. Mellon ließ jeden Winkel seines Hauses mit Kameras überwachen, selbst die Sauna. Die digitalen Schlüssel zu seinem Vermögen lagerte er in Bankschließfächern, verstreut über die USA. Wo genau, das sagte Mellon selbst engen Freunden nicht. Es ist die denkbar schlechteste Weise, Vermögen zu sichern.

Dabei gibt es mehrere valide Möglichkeiten für Erblasser: Halten sie ihr Vermögen auf einer Kryptobörse im Internet wie bitcoin.de, können Nachkommen mit einem Erbschein oder Testament die Plattformen zur Herausgabe veranlassen. Das Problem: Was bei einer deutschen Börse ohne Probleme funktioniert, dürfte bei manch zweifelhafter asiatischer Börse schwieriger werden. Bei den meisten Börsen müssen Kunden ihr Vermögen außerdem auf eine Art Konto der Börse transferieren, die es für den Kunden verwaltet. Wird die Börse gehackt, kann das Geld der Kunden verloren sein. "Börsen sind wie ungesicherte Banken", sagt Pamela Morgan, eine Anwältin, die sich aufs Krypto-Vererben spezialisiert hat.

Wer größere Kryptovermögen besitzt, sollte sie über eine eigene Wallet halten, eine Art digitales Portemonnaie. Die Zeichenfolge des digitalen Schlüssels dazu können Erblasser ins Testament schreiben oder in ein Bankschließfach legen, das im Testament erwähnt ist. Wer den Bankmitarbeitern oder dem Notar misstraut, kann den Schlüssel zusätzlich mit einem Passwort absichern, das man einem zweiten Notar geben könnte. "Das kommt darauf an, wie paranoid man ist", sagt Krypto-Experte Gilbert Fridgen von der Uni Bayreuth.

Theoretisch kommen auch sogenannte "2-aus-3"-Verfahren in Frage. Sie verhindern, dass eine Person alleine eine Transaktion vornehmen kann. Bei diesem Verfahren bekommen drei Leute je einen digitalen Schlüssel. Um eine Transaktion auszulösen, müssen zwei der drei Schlüsselbesitzer zustimmen. Der Erblasser selbst kennt alle drei Schlüssel, gibt einen davon an den Notar und einen an den Erben. Stirbt er, kommen Notar und Erbe zusammen an das Geld. "Manche Anbieter hatten jedoch bereits technische Schwierigkeiten", warnt Krypto-Experte Fridgen.

Am Ende kann auch das Finanzamt den Erben einen üblen Streich spielen. Wie viel das Kryptovermögen in Euro wert ist (und auf welchen Betrag folglich Erbschaftsteuer fällig wird), richtet sich nach dem Wechselkurs zum Todeszeitpunkt des Verstorbenen. Starb ein Erblasser bei gigantischen Bitcoinpreisen von um die 16 000 Euro im Dezember, müssten die Erben heute viel Geld zahlen. Denn aktuell können sie eine Einheit Bitcoin nur noch für rund 5000 Euro losschlagen. "Unter Umständen kann das große Teile des Erbes auffressen", sagt der auf Bitcoin spezialisierte Anwalt Benjamin Kirschbaum von der Steuerkanzlei Winheller.

Die Angst, Fremde könnten das Vermögen rauben, überlagert alles andere

Matthew Mellon machte sich um diese Dinge keine Gedanken, beherrscht von der Angst, Fremde könnten sein Vermögen rauben. Dabei hatte er seiner guten Bekannten Kick Kennedy noch vor wenigen Monaten einen salomonischen Satz mit auf den Weg gegeben: "Lass die Angst zu verlieren nie größer sein, als die Begeisterung zu gewinnen." Allein: Mellon selbst hat sich nicht daran gehalten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4053186
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.07.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.