Süddeutsche Zeitung

Stahlindustrie:Krupp-Stiftung lässt Nazi-Vergangenheit aufarbeiten

Die Großaktionärin von Thyssenkrupp will mehr über den letzten Inhaber der Firma Krupp erfahren, einen Kriegsverbrecher.

Von Benedikt Müller-Arnold, Essen

Als Hetty Berg im Herbst einen Festvortrag in der Villa Hügel halten sollte, zögerte die Direktorin des Jüdischen Museums Berlin für einen kurzen Augenblick. Die prächtige Villa als früherer Wohnsitz der Familie Krupp erinnere sie daran, dass Hitler-Deutschland einst mit Waffen von Krupp ihre Heimat, die Niederlande, angegriffen hatte, mahnte Berg. Während die Krupps immer reicher wurden, wurden jüdische Menschen verfolgt, vertrieben und ermordet.

Nun ist klar: Die Einladung zur Rede war nur ein Hinweis darauf, dass sich die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung - die größte Aktionärin des Thyssenkrupp-Konzerns - neu mit der Geschichte ihres Stifters befasst: Alfried Krupp war der letzte Alleininhaber der Firma Krupp. Die Stiftung trage seinen Namen, sagt Kuratoriumschefin Ursula Gather. "Daraus resultiert auch eine Verantwortung, sich mit der Biografie unseres Stifters zu befassen."

Wenn die Essener Organisation nun in einem ersten Schritt 90 000 Euro ausgibt, um mögliche Lücken im Gedenken zu schließen, dann ist das auch ein Fingerzeig für viele andere Unternehmen, die ihre Nazi-Vergangenheit ebenfalls nicht komplett aufgearbeitet haben.

"Unser Wissen über Alfried Krupp ist begrenzt", sagt Eckart Conze. Der Geschichtsprofessor aus Marburg sucht und sichtet seit diesem Monat historische Quellen - gemeinsam mit einem Mitarbeiter und studentischen Hilfskräften. Unbestritten ist, dass Alfried Krupp im Jahr 1935 in die Firma seiner Familie eintrat, von 1938 an die Rohstoff- und Rüstungsabteilung leitete. 1943 stieg der Ingenieur zum Chef und Alleininhaber auf. Zum Alleininhaber eines Unternehmens, das zu den wichtigsten Rüstungslieferanten der Nazis zählte.

Über Freundschaften oder Netzwerke des jungen Krupp wisse man bisher nur wenig

Während des Zweiten Weltkriegs beutete die Firma Krupp - wie viele Betreibe im Nazi-Reich - Zwangsarbeiter aus, darunter auch jüdische. In den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen wurde Alfried Krupp verurteilt: wegen Sklavenarbeit sowie Plünderungen im Ausland, das Deutschland besetzt hatte. 1951 wurde der Unternehmer begnadigt.

Nichtsdestotrotz bleibe die Erinnerung an den Menschen "alles in allem blass", sagt Historiker Conze. Bekannt sei, dass Alfried Krupp schon 1931 förderndes Mitglied der SS geworden war. Über Freundschaften oder Netzwerke zu dieser Zeit wisse man aber "bisher sehr wenig". Der Publizist Golo Mann hatte einst an einer Biographie gearbeitet, doch diese nie fertiggeschrieben. Alfried Krupp erschien ihm wohl zu langweilig und unergiebig.

Doch die Erinnerung an den Nationalsozialismus verändere sich, sagt Conze. "Jede Generation stellt neue und andere Fragen an die Geschichte." Das gelte aktuell ganz besonders, da die Generation der Zeitzeugen des Holocaust zusehends schwinde.

Conze und sein Team nehmen sich nun neun Monate Zeit für die Quellenforschung. Allein das historische Archiv Krupp zählt 33 laufende Regalmeter voller Akten aus Alfried Krupps Sekretariat, hinzu kommen Presseberichte aus dem In- und Ausland. Conze will aber auch in Archiven und Nachlässen außerhalb Essens stöbern. Danach wollen er und die Stiftung entscheiden, ob das Projekt in eine wissenschaftliche Biographie Alfried Krupps münden könnte.

Nach dem Krieg lautete ein Grundsatz von Krupp, keine Waffen mehr zu produzieren

Was den Fall des Unternehmens über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus bedeutsam macht, sind auch historische Gegenbewegungen und die Gegenfigur: So kehrte Alfried Krupp im Jahr 1953 zwar an die Firmenspitze zurück, ernannte aber zugleich Berthold Beitz zum Generalbevollmächtigten. Zuvor hatte Beitz als Manager in der Ölindustrie mehrere jüdische Menschen vor der Deportation gerettet. In der Gedenkstätte Yad Vashem ehrte man Beitz als Gerechten unter den Völkern - eine völlig konträre Biographie.

Hinzu kam der Grundsatz, dass das Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg keine Waffen mehr produzieren sollte. Krupp konzentrierte sich formell auf die Stahlherstellung und den Anlagenbau - wobei Stahl und daraus hergestellte Komponenten letztlich auch in Rüstungsgütern zum Einsatz kommen können. Der seit 1999 fusionierte Konzern Thyssenkrupp baut auch heute noch U-Boote oder Marineschiffe.

Nach dem Tod Alfried Krupps im Jahr 1967 ging dessen Vermögen auf besagte Stiftung über, die heute etwa 21 Prozent der Thyssenkrupp-Aktien hält. Mit den Dividenden aus guten Jahren des Unternehmens fördert die Organisation gemeinnützige Projekte aus Wissenschaft und Bildung, Kunst und Kultur sowie Bildung und Sport. Allerdings hat Thyssenkrupp für die vergangenen drei Jahre keine Gewinne ausgeschüttet, da der Konzern in einer Krise steckt. Man arbeite hart daran, bald wieder eine Dividende zahlen zu können, sagte Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz in der jüngsten Hauptversammlung.

Hetty Berg jedenfalls entschied sich an jenem Oktoberabend 2021 dafür, die Rede in der Villa Hügel mit ihren Holzvertäfelungen und meterhohen Wänden zu halten. Schließlich sehe sich die Krupp-Stiftung der deutsch-jüdischen Verständigung verpflichtet. "Wenn ich nicht gekommen wäre", sagte Berg damals im einstigen Wohnzimmer der Familie Krupp mit seinen knarzenden Parkettböden, "dann wäre eine Chance für Austausch, für gegenseitiges Zuhören, Sprechen, Widersprechen und Verstehen vergeben gewesen."

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