Kritik an schwarz-gelben Bahn-Plänen:"Dokument des Stillstands"

Deutschland investiert zu wenig Geld in sein Schienennetz: Ein Verband geht mit der Verkehrspolitik des Bundes ins Gericht - und mit den Plänen von Schwarz-Gelb.

Daniela Kuhr

Kaum ein anderes Land in Europa steckt so wenig Geld in seine Eisenbahn-Schienennetze wie Deutschland. Mit Investitionen von 47 Euro pro Kopf lag die Bundesrepublik im vergangenen Jahr noch hinter Italien, wo 60 Euro pro Bürger für die Infrastruktur ausgegeben wurden. Das geht aus einer Studie hervor, die die Allianz pro Schiene und die Beratungsfirma SCI Verkehr am Freitag in Berlin veröffentlicht haben.

Der Allianz gehören Verbände und Gewerkschaften an; unter den Förderern sind die Deutsche Bahn sowie die Bahn- und Bauindustrie. Zwar hätten andere Länder Nachholbedarf, und Deutschlands Schienennetz sei bereits vergleichsweise dicht, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege. Doch wenn weiterhin so wenig investiert werde, drohe Deutschland international zurückzufallen.

Spitzenreiter Schweiz

Frankreich verfüge bald über 1900 Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecken, sagte Lars Neumann von der Beratungsfirma SCI Verkehr. In Spanien seien es demnächst 1700 Kilometer, auf denen die Züge Hochgeschwindigkeiten fahren könnten. "In Deutschland dagegen haben wir gerade mal 900 Streckenkilometer." Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liege Deutschlands Engagement im Schienenbereich knapp vor der Türkei. "Mit dieser unterdurchschnittlichen Investitionsbereitschaft auf dem Heimatmarkt verspielt die Politik die weltweite Führungsposition der deutschen Bahnwirtschaft."

Spitzenreiter bei den Pro-Kopf-Investitionen ist laut Untersuchung die Schweiz. Sie steckte im vergangenen Jahr im Durchschnitt 284 Euro je Bürger in ihr Eisenbahnnetz. Österreich folgt mit 205 Euro und Großbritannien mit 136 Euro pro Kopf. Insgesamt wurden damit in Großbritannien im vergangenen Jahr 8,3 Milliarden Euro in die Schiene investiert. In Deutschland waren es nach Angaben der Allianz pro Schiene 3,86 Milliarden Euro. "Es wären aber Investitionen von jährlich mindestens fünf Milliarden nötig, um die zu erwartenden Wachstumsraten halbwegs abzufangen", sagte Flege. Deutschland müsse mindestens mit Italien gleichziehen und aus Bundesmitteln künftig 60 Euro pro Bürger in die Schieneninfrastruktur stecken.

Er räumte jedoch ein, dass Deutschlands Schienennetz im Vergleich zu vielen anderen Ländern momentan gut dastehe. Einige Länder müssten schon allein deshalb mehr investieren, weil sie in der Vergangenheit zu wenig ins Schienennetz gesteckt haben. Das ändere jedoch nichts daran, dass in Deutschland ganz offensichtlich die Prioritäten falsch gesetzt seien. Es werde mehr Geld in die Straße als in die Schiene gesteckt, und das sei das falsche Signal.

"Infrastrukturpolitik nach Kassenlage"

Die verkehrspolitischen Überlegungen der künftigen schwarz-gelben Koalition stimmten Flege pessimistisch. Der erste Entwurf für den Koalitionsvertrag sei "bahnpolitisch ein Dokument des Stillstands und verkehrspolitisch sogar ein Rückschritt", sagte er. Man wolle der Schiene zwar "nicht weh tun", aber richtig "gepäppelt" würden nur die anderen Verkehrsträger. Dabei benötige die Branche dringend Großprojekte in Deutschland, um ihre Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis zu stellen. "Die mächtige Autoindustrie sorgt hierzulande seit Jahrzehnten dafür, dass die Straßeninfrastruktur stets um ein Vielfaches besser ausgestattet wird als die Schiene."

Ähnlich äußerte sich Alexander Kirchner, Vorsitzender der Bahngewerkschaft Transnet. "Wenn die Investitionen in die Schieneninfrastruktur nicht endlich Priorität bekommen, droht das Transitland Deutschland eine Reihe von Zukunftschancen zu verspielen", sagte er. Es sei "beschämend", wie gering diese Investitionen im internationalen Vergleich seien. Der zunehmende Verkehr und vor allem der Transitverkehr dürfe nicht nur auf die Straße gelenkt werden. "Das wäre geradezu die Verweigerung von Verkehrspolitik", sagte Kirchner. "Nachfolgende Generationen müssten dann die klimapolitische Rechnung bezahlen."

Flege von der Allianz pro Schiene fordert einen neuen Kurs in der Politik. "Es gibt keine bahnpolitischen Ziele", kritisierte er. "Seit Jahren machen wir Infrastrukturpolitik nach Kassenlage." Das müsse sich ändern. Andere Länder hätten sich Ziele gesetzt. So wolle beispielsweise Frankreich den Güterverkehr auf der Schiene in den kommenden Jahren um elf Prozentpunkte erhöhen. In der Schweiz sei es sogar ein in der Verfassung festgeschriebenes Ziel, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. "Wir dagegen haben bis heute keine Marktanteilsziele", sagte Flege. "Weder im Personen- noch im Güterverkehr."

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