Kritik an IHK:Meuterei in der Handelskammer

Zwangsabgaben, zu wenig demokratische Mitbestimmung, undurchsichtige Personalpolitik: Die Kritik an den Industrie- und Handelskammern wird immer lauter. Nun stehen auch noch die Gehälter der Geschäftsführer zur Debatte - und das Alter des Präsidenten in Berlin ist ebenfalls ein Problem.

Thomas Öchsner

In einer Familienserie im Fernsehen wäre er der geborene Musterschwiegersohn. Eric Schweitzer ist eloquent, charmant, reich dazu, und er gelangt oft schneller ans Ziel als seine Konkurrenten. Der Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) ist ein Überflieger. Mit 24 Jahren hatte er seinen Doktortitel, mit 28 rückte er in den Vorstand der Firma seines Vaters, mit 38 stand er erstmals an der Spitze der IHK in der Hauptstadt, und jetzt mit 47 Jahren könnte der Unternehmer zum jüngsten Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) werden. Der vertritt ehrenamtlich die Interessen von 3,6 Millionen kleinen und großen Firmen im Land.

Zeitung: Schweitzer soll DIHK-Praesident werden

Eric Schweitzer ist Präsident der Berliner IHK und wird als neuer Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages gehandelt.

(Foto: dapd)

Schweitzer hat nur zwei Probleme. Das erste ist sein Alter. Der Mitinhaber des Recycling- und Rohstoffunternehmens Alba gilt als sehr jung für den Chefposten eines der wichtigsten Wirtschaftsverbände, den ältere Männer dominieren. Zweitens gibt es in der Berliner IHK rebellische Kleinunternehmer, deren Initiative Pro KMU (kleinere und mittlere Unternehmen) den Einzug in die IHK-Vollversammlung geschafft hat. Sie werfen der Kammer eine undemokratische Selbstverwaltung vor. Sie fordern, die Zwangsmitgliedschaft von Firmen in diesen öffentlich-rechtlichen Körperschaften abzuschaffen. Und sie wollen einen Gegenkandidaten gegen Schweitzer aufstellen, wenn am 5. September dessen Wiederwahl zum Berliner IHK-Chef ansteht - die wiederum Voraussetzung ist, um als Nachfolger von Hans Heinrich Driftmann DIHK-Präsident zu werden.

So eine Meuterei kann für einen Mann, der als einer der zukünftigen Cheflobbyisten der deutschen Wirtschaft gehandelt wird, nur ungelegen kommen.

Es geht dabei nicht nur um Schweitzer oder ein Berliner Phänomen. In immer mehr Bezirken entzündet sich die Kritik am Geschäftsgebaren der Kammern. Es geht um Misswirtschaft, die Gehälter in den IHK-Spitzen, um Wahlergebnisse, die ein großes Geheimnis bleiben sollen, und um einige merkwürdige Absonderheiten aus dem deutschen Kammerwesen.

Wenn der Berliner Internet-Unternehmer Florian Nöll, einer der Pro-KMU-Rebellen, darüber sinniert, was mit seinen Beiträgen eigentlich passiert, muss er an die britische Königin denken. Elizabeth II. gibt jährlich etwa 14,5 Millionen Euro für ihre Immobilien aus. Die Berliner IHK, die im Ludwig-Erhard-Haus am Bahnhof Zoo residiert, kann mit der Monarchin fast mithalten: 11,4 Millionen Euro ließ sich die Kammer 2011 Leasingraten, Mieten und Zinsen für das Gebäude kosten. "Das sind etwa 50 000 Euro pro Mitarbeiter", rechnet Nöll vor. "So etwas würde kein vernünftiger Unternehmer bezahlen."

Die Kammern schwimmen im Geld

Präsident Schweitzer, der diese Erblast von seinen Vorgängern übernahm, bestreitet das gar nicht. Das Gebäude sei "im Grunde zu teuer", gibt er zu. Aber man müsse sich an die Verträge halten.

Die 80 Kammern in Deutschland verfügen über eine unerschöpfliche Geldquelle: Wer in Deutschland eine Firma gründet, muss in der Regel ab einer bestimmten Gewinnschwelle Beiträge zahlen. Diese sind per Gesetz legitimiert, weil jede IHK Aufgaben des Staates übernimmt, zum Beispiel die Abnahme von Prüfungen im Ausbildungswesen. "Die meisten Kammern schwimmen deshalb im Geld", sagt Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des Bundesverbandes für freie Kammern (BFFK).

Boeddinghaus, der in Kassel ein Reisebüro mitbesitzt, ist einer der Anführer der Kammerrebellen. Sein Bundesverband, in dem sich 1300 meist kleine Unternehmen zusammengetan haben, will mit einer Petition ans Europäische Parlament dafür sorgen, dass die per Gesetz verordnete IHK-Mitgliedschaft für unrechtmäßig erklärt wird. Sie wollen nicht mehr zahlen, weil sie sich in den Kammergremien nicht richtig vertreten fühlen und nicht wissen, wofür ihre Beiträge überhaupt gut sein sollen.

Auf der Homepage des Rebellen-Dachverbands läuft seit drei Jahren eine "Rückstellungsuhr". Sie zeigt an, wie viel Geld die Kammern gehortet haben, unter anderem um die Pensionen für ihre Mitarbeiter zu finanzieren. Am Sonntag waren es bereits gut 1,8 Milliarden Euro. Boeddinghaus fordert, die Geldspeicher zu öffnen und die Betriebe bei den Beiträgen zu entlasten. Er spricht von einer "Selbstbedienungsmentalität, für die es keine richtige demokratische Kontrolle gibt". Schweitzer hält von solchen Pauschalvorwürfen gar nichts. Der ehrenamtliche Präsident führt an, dass in seiner Amtszeit die Kosten für die IHK wie auch Mitgliedsbeiträge und Ausbildungsgebühren gesenkt wurden.

Den Kritikern geht es aber nicht nur ums Geld. Sie wollen die Kammern demokratisieren. "Für eine per Gesetz legitimierte Organisation müssen die gleichen Maßstäbe gelten wie für jedes andere Parlament in Deutschland", sagt Nöll. Doch genau das vermisst er in der Hauptstadt.

Im Mai 2012 waren 270 000 Mitglieder der IHK Berlin aufgerufen, ihre Stimme für ihr Unternehmer-Parlament abzugehen. Tatsächlich erreicht wurden nur knapp 200 000, weil die Adressdaten der Gewerbeämter nicht aktuell waren - und von denen wählten nur knapp sechs Prozent. Wer von den Kandidaten für die Vollversammlung wie viele Stimmen erhielt, ist allerdings bis heute ein Geheimnis. Die kompletten Ergebnisse erfahren nicht einmal die Kandidaten selbst. Nur die Namen der Gewählten wurden veröffentlicht - "eine absurde Regelung, die völlig intransparent ist", findet Nöll.

Die IHK wolle damit Kandidaten mit schlechten Ergebnissen schützen, widerspricht Schweitzer. Das Verfahren habe die Vollversammlung so mit großer Mehrheit beschlossen. Er könnte aber auch damit leben, die Ergebnisse komplett zu publizieren. Bei anderen Kammern ist dies zum Teil längst der Fall. Die IHK in Aachen rückte damit heraus, nachdem Oberrebell Boeddinghaus Auskunft aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes verlangte - in Berlin stößt er damit bislang auf Granit.

Heftig umstritten: die Gehälter der IHK-Geschäftsführer

Ein anderes Ärgernis für die Kritiker ist die Personalpolitik. Wer Mitglied im Präsidium werden, wer in welchen Ausschüssen sitzen soll, wird häufig vorab ausgekungelt. "Die Vollversammlungen sind oft nichts anderes als Abnickvereine", sagt Boeddinghaus. Das gelte auch für das sogenannte Kooptationsverfahren. Dabei kann die Vollversammlung zusätzlich Mitglieder berufen, ohne dass sie gewählt wurden. Dies soll dazu beitragen, dass Unternehmen im Parlament eine Stimme bekommen, die für die Region wichtig, aber nicht vertreten sind. Wer dazu auserkoren ist, legt meist das Präsidium fest. Ein undemokratisches Verfahren, meinen die Kammer-Kritiker, wenn wie in Berlin mit der Einladung zur ersten Sitzung der neu gewählten Vollversammlung die Namen der vorgeschlagenen zwölf kooptierten Mitglieder bereits mitgeschickt werden. "Das führt dazu, dass Personen aus dem Netzwerk des Präsidenten im Block gewählt werden", sagt der Bauunternehmer und Pro-KMU-Mann Oliver Scharfenberg.

Bundesweit umstritten sind auch die Gehälter der IHK-Geschäftsführer. Bei diesem Thema hüllten sich die 80 Kammern lange in Schweigen, bis der Bayerische Rechnungshof sich das Recht erstritt, die IHK Schwaben zu prüfen. Es folgte eine scharfe Rüge: Das Vergütungsniveau der Kammerchefs sei erheblich höher als im öffentlichen Dienst üblich. Das dürften sie aber nicht, weil die Kammern keinem Wettbewerb unterlägen und kein unternehmerisches Risiko hätten, kritisierten die Prüfer. Bayerische Kammern setzen daher jetzt auf mehr Offenheit. Die IHK München und Oberbayern beziffert das Einkommen ihres Führungstrios auf insgesamt 621 000 Euro im Jahr. Bei der IHK Schwaben kassieren die drei Chefs gut 400 000 Euro. Andere Kammern wollen nachziehen, auch die in Berlin, wenn der DIHK dafür ein bundesweit einheitliches Verfahren entwickelt hat. Schweitzer sagt: "Wir wollen nichts verschweigen." Das Offenlegen von Gehältern sei aber auch eine Frage des Datenschutzes. Die Kritiker halten entgegen: Die meisten Krankenkassen und Rundfunkanstalten veröffentlichen längst die Saläre ihrer Chefs - sogar individualisiert.

Widerstand gegen das Kammer-Gebaren regt sich inzwischen in vielen Bezirken. Wo Wahlen zur Vollversammlung anstehen, treten verstärkt Kritiker der Zwangsmitgliedschaft auf. In Berlin haben es von der Initiative Pro KMU 14 Leute in die 98 plus zwölf Personen starke Vollversammlung geschafft. Einer von ihnen werde sich auch als Gegenkandidat zu Schweitzer aufstellen lassen, kündigt Pro-KMU-Sprecher Scharfenberg an. "Wir werden nicht gewinnen, aber dann sind die Wahlen zum Präsidenten wenigstens geheim", sagt er.

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