Süddeutsche Zeitung

Kritik an Arbeitslosenstatistik:Agentur für Arbeit steht zu ihren Zahlen

Die Bundesagentur für Arbeit hat einem Zeitungsartikel widersprochen, wonach sie ihre eigene Arbeitslosenstatistik anzweifelt. Die in dem Artikel vorgebrachten Argumente seien allerdings nachvollziehbar, sagte ein Experte zu sueddeutsche.de

Die Financial Times Deutschland hatte am Mittwoch unter Berufung auf fehlerhafte und unplausible Angaben in Bewerberunterlagen berichtet, die Zahl der Arbeitslosen sei um rund ein Fünftel überzeichnet. "Diese Schlussfolgerung ist definitiv falsch", betonte eine Sprecherin der Bundesagentur am Mittwoch in Nürnberg.

Bei den Stichproben der Bewerberprofile sei es ausschließlich um die Qualität der maschinell erfassten Bewerberangaben gegangen. 20 Prozent hätten zumindest in Teilen nicht den Anforderungen entsprochen, räumte die BA ein.

Daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, dass eben diese 20 Prozent auch zu Unrecht als Arbeitslose registriert seien und die Zahl der Arbeitslosen insgesamt deutlich nach unten korrigiert werden müsse.

Die FTD hatte am Mittwoch gemeldet, dass Stichproben der Bundesagentur bei örtlichen Arbeitsagenturen ergeben hätten, dass etliche Personen als arbeitslos registriert wurden, die dem Arbeitsmarkt tatsächlich nicht zur Verfügung stehen.

BA-Mitarbeiter hätten in den Stichproben die Bewerberprofile der Personen überprüft, die in den Computersystemen der BA als arbeitslos geführt würden. Dabei sei festgestellt worden, "dass es viele unplausible oder fehlerhafte Angaben gibt".

Klärungsbedarf

Als Beispiel habe ein BA-Sprecher eine Mutter genannt, die täglich drei kleine Kinder betreuen muss, dem Arbeitsmarkt laut Angaben aber gleichzeitig voll zur Verfügung stehe. Hier bestehe Klärungsbedarf, da die Mutter eigentlich nicht als arbeitslos mitgezählt werden dürfe, so der Sprecher zur FTD.

Die Stichproben hätten eine Fehlerquote von 22 Prozent ergeben. "In dieser Größenordnung" sei die Zahl der Arbeitslosen "überzeichnet", schreibt die Zeitung weiter unter Berufung auf Kreise des Bundeswirtschaftsministeriums. Nach der Klärung unplausibler Fälle dürfte die Quote allerdings geringer sein, habe der BA-Sprecher der FTD gesagt.

Arbeitsmarkt-Experte hält Argumentation für berechtigt

Der Arbeitsmarkt-Experte Viktor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hält den in der FTD vorgetragenen Sachverhalt allerdings für nachvollziehbar: "Ich gehe ebenfalls davon aus, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland als überschätzt betrachtet werden können. Meine Analysen des EU-Mikrozensus bestätigen die Größenordnung von zwanzig Prozent", sagte Steiner zu sueddeutsche.de. Allerdings sei dies eine Frage des verwendeten Konzepts. Der Sachverhalt sei zudem bereits seit längerem bekannt.

Das Konzept der Bundesagentur zur Erfassung von Arbeitslosen sei weitgehender als im internationalen Vergleich üblich, so Steiner weiter. Nach dem System der International Labour Organization (ILO) in Genf, das in der überwiegenden Zahl der EU-Länder verwendet werde, würden nur jene Menschen geführt, die in den letzten zwei Wochen nach Arbeit gesucht hätten. "Die berühmte Mutter mit drei Kindern in Bayern ohne ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten ist da natürlich nicht mehr dabei", sagte Steiner.

Logik des BA-Konzepts

Allerdings müsse die Diskussion über die Arbeitslosenzahlen in einen breiteren Kontext eingebettet werden. So gebe es durchaus auch handfeste Gründe für das Konzept der Bundesagentur. Denn würden besagter Mutter ausreichend Kinderbetreuungsmöglichkeiten eingeräumt werden, dann sei ihre Berücksichtigung in der Arbeitslosenstatistik ja womöglich vollkommen gerechtfertigt. Zudem sei in Deutschland der Bezug von Sozialleistungen bis zum Arbeitslosengeld II an die Meldung als Arbeitssuchender geknüpft. "Diese Systematik wird bei dem ILO-System durchbrochen", so Steiner.

Wirtschaftsminister Clement habe daher angeregt, neben den offiziellen BA-Zahlen auch Daten nach der ILO-Systematik für Deutschland zu erheben. "Ich würde diese Vorgehensweise für sinnvoll halten", so Steiner.

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