Krisenpolitik:Bekommt Südeuropa mit noch mehr Schulden sein Happy End?

Krisenpolitik: Die Tristesse verarmter Athener Stadtviertel ist nur das plastischste Beispiel für die Krise Südeuropas. Über deren Ende streiten die Gelehrten noch.

Die Tristesse verarmter Athener Stadtviertel ist nur das plastischste Beispiel für die Krise Südeuropas. Über deren Ende streiten die Gelehrten noch.

(Foto: Daniel Ochoa de Olza/AP)
  • Viele Regierungen in Südeuropa wollen zusätzliches Geld ausgeben, um die Krise zu überwinden - ganz nach keynesianischem Prinzip.
  • Kritiker glauben, dass Keynesianismus dem Süden in der derzeitigen Lage eher schaden würde. Die Länder müssten stattdessen schnellstens ihre Schulden reduzieren.

Von Alexander Hagelüken und Aloysius Widmann

Wer bei Youtube "Fight of the century" eingibt, wird überrascht: Das Videoportal spuckt nicht nur Prügeleien aus Kinoklassikern aus oder den legendären Knock-Out von George Foreman durch Muhammad Ali. Es zeigt auch zwei berühmte Ökonomen im Faustkampf um die Wirtschaftspolitik: Soll der Staat nun in einer Krise Nachfrage auf Pump erzeugen, um Arbeitsplätze zu schaffen, wie John Maynard Keynes vorschlägt? Oder soll er, nach Friedrich A. Hayek, vor allem gute Angebotsbedingungen schaffen, um die Wirtschaft boomen zu lassen?

Im Ring ist jedes Argument ein Volltreffer. In der Realität wird der Kampf gerade in Südeuropa neu aufgelegt. Von Portugal über Spanien bis Italien fordern Politiker nach harten Krisenjahren mehr Keynes. Und fordern damit Angela Merkel und andere bisher dominante Regierungschefs heraus, die im Süden strukturelle Reformen à la Hayek wie nachhaltige Renten oder weniger Bürokratie forcieren.

Matteo Renzi findet Austerität "dumm"

In Portugal amtiert nun aber eine linke Minderheitsregierung, die sofort Sparmaßnahmen zurücknahm, den Mindestlohn erhöhte und Staatsdiener besser bezahlte. Dadurch sollen der Inlandskonsum und die staatlichen Einnahmen steigen, rechnet die Regierung im Etat 2016 keynesianisch vor. Italiens Premier Matteo Renzi will gleich die Euro-Defizitgrenze lockern. Länder wie Großbritannien und Spanien, die zuletzt gewachsen seien, hätten dies durch Etatlücken von mehr als fünf Prozent erreicht. "Austerität ist dumm", sagte Renzi kürzlich in Brüssel.

Die Keynesianer können sich freuen, sie verzeichnen erste Erfolge: Die EU-Kommission stellte zwar fest, dass Portugal womöglich den Stabilitätspakt mit der Defizitgrenze von drei Prozent verletzen wird. Sie genehmigte den Etat aber nach ein paar Nachbesserungen. Premier Renzi verlangt nun wegen der Flüchtlinge mehr Spielraum für Schulden - was das Ziel ausgeglichener Haushalte in weite Ferne rückt.

Aber ist der Keynesianismus nicht eigentlich lange tot? Die Lehre galt als Erfolgsmodell, nachdem die USA die Depression der Dreißigerjahre auch durch Ausgaben zur Stimulierung der Nachfrage bannte. Doch in den Siebzigern pervertierten die Regierungen das Konzept durch immer höhere Schulden. Anders als vom Lehrmeister vorgesehen reduzierten sie die Verbindlichkeiten in guten Jahren nicht und erzeugten so kein Wachstum mehr, sondern nur Stagnation.

In neoklassischen Modellen war die Finanzkrise nicht vorgesehen

"Das hat dem Keynesianismus schwer geschadet", räumt Gustav A. Horn ein, prominenter Vertreter der Lehre. "Vor 10 bis 15 Jahren konnte man nichts zur Nachfrage sagen, ohne belächelt zu werden", sagt der Direktor des gewerkschaftsnahen Forschungsinstituts IMK. Dann brach 2008 die Finanzkrise aus, die in den neoklassischen Modellen nicht vorgesehen war. Die USA und Europa stemmten sich mit Investitionsprogrammen und Abwrackprämien gegen den Konjunktur-GAU. Für Horn die Wiedergeburt der Theorie.

Der Ökonom schlägt für Südeuropa genau so einen keynesianischen Impuls vor: In allen Ländern habe es strukturelle Reformen gegeben, aber die Wirtschaft komme nicht in Schwung, weil es an Nachfrage mangle. Den Bürgern fehle das Geld. "Da ist es am besten, mit Investitionen gegenzusteuern." Horn stellt sich für Griechenland, Portugal und Italien ein staatliches Ausgabenpaket von ein bis zwei Prozent der Wirtschaftsleistung vor. "Das muss man sich wie eine Lawine vorstellen: Der Staat gibt Geld aus, Unternehmen stellen Leute an, die fragen bei anderen Firmen Produkte nach und so weiter. Mit jedem Euro, den Sie reinpumpen, kriegen Sie bis zu zwei Euro wieder rein."

Kann der Keynesianismus in Südeuropa überhaupt funktionieren?

Verheißt das ein Happy End für den angeschlagenen Süden, in dem alle Regierungen abgewählt wurden, die nach Maßgabe von Angela Merkel reformierten?

Auf keinen Fall, widerspricht Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums beim Kieler Institut für Weltwirtschaft. Keynesianismus funktioniere nur, wenn die Produktionsstrukturen unterausgelastet, aber marktfähig seien - so wie in Deutschland in der Finanzkrise. "Der Bausektor in Spanien ist aber nicht unterausgelastet, sondern in der Größe obsolet. Das letzte, was die Spanier brauchen, sind noch mehr Geisterstädte". Kooths fürchtet, Ausgabenprogramme würden falsche Strukturen zementieren. In der Spitze sei jeder vierte spanische Mann in der Bauwirtschaft tätig gewesen.

Keynesianismus würde demnach die Schulden erhöhen, nach ein, zwei Jahren künstlichen Booms aber kämen die alten Probleme wieder ans Licht. Das sei verantwortungslos gegenüber den Schwächsten, die am meisten unter der Krise gelitten hätten, sagt Kooths. Stattdessen helfe nur der Aufbau neuer Produktionskapazitäten für die Konsumenten oder den Export, für die es eine echte Nachfrage gebe. Dabei weiß Kooths, dass er den Menschen wenig Hoffnung macht: Die gröbsten Folgen der Krise dürften seiner Meinung nach erst im Jahr 2020 überwunden sein.

Ein Ausgabenprogramm als Initialzündung

Der Keynesianer Horn dagegen verspricht schnellere Abhilfe. Ein Ausgabenprogramm wirke ein, zwei Jahre und könne eine Initialzündung sein. Er würde auch weit von sich weisen, dass er einfach neue Geisterstädte in Spanien propagiert. Er stellt sich viel mehr Investitionen in Infrastruktur, Energieeffizienz oder Beschäftigungsprogramme für die vielen arbeitslosen Jugendlichen vor.

Und die Gefahren einer neuer Schuldenpolitik? Horn sieht sie durchaus. Er schlägt vor, Keynes über den Investitionsplan von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zu realisieren - und auf den Süden Europas zu konzentrieren. Falls das scheitert, etwa weil die Bundesregierung den Juncker-Plan skeptisch beäugt, könnte Horn auch mit Defiziten von mehr als drei Prozent leben - falls eine dauerhafte Schuldenpolitik durch institutionelle Reformen verhindert wird.

Die Schulden müssen sich sich schnellstens reduzieren

Stefan Kooths dagegen sieht große Gefahren. "Wann, wenn nicht jetzt, sollen diese Länder von ihren hohen Schulden herunterkommen?" Wenn die derzeitigen Nullzinsen sich wieder normalisierten, kämen die Südstaaten unter Wasser, wenn sie bis dann die Schulden nicht reduziert hätten.

Keynes gegen Hayek - der Ringkampf geht weiter. Am Ende des YouTube-Videos landet Hayek übrigens einen Volltreffer, sein britischer Kontrahent geht in die Knie. Der Schiedsrichter erklärt dennoch Keynes zum Sieger. Die ganze Sache bleibt umstritten.

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