Krisenfall Zypern:Durch die Hölle

Das Land hat sich schnell aus der Rezession gekämpft. Das Euro-Mitglied stand 2013 vor dem Bankrott. Das EU-Hilfsprogramm läuft im März aus. Dann soll die Troika gehen. Man will allein weitermachen.

Von Markus Zydra, Nikosia

Man tut Harris Georgiades bestimmt nicht unrecht mit der Feststellung, dass er in seinem Job als Finanzminister Zyperns wenig zu lachen hat. Schließlich ist das Land im Jahr 2013 nur dank EU-Nothilfen der Staatspleite entronnen. Georgiades, 43, wirkt entsprechend ernst. Doch ein Blick auf die Anrichte in seinem Büro verrät, dass der Mann mit schwarzem Humor gesegnet ist. Dort steht ein Bild vom früheren britischen Premierminister Winston Churchill, garniert mit dem Bonmot, das den nun fast drei Jahre dauernden Überlebenskampf des südöstlichsten Euro-Mitgliedslandes treffend beschreibt: "If you're going through hell, keep going."

Georgiades geht durch die Hölle - und er bleibt nicht stehen. Zypern hat wie Portugal, Spanien, Irland und Griechenland von der EU Milliardenhilfen erhalten. Alle paar Wochen kommt die Troika zu Besuch. Das sind Fachleute der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Euro-Rettungsfonds ESM. An Zypern überwies man zehn Milliarden Euro. So konnten die Staats- und Bankenpleite abgewendet werden. Als Gegenleistung musste das Land viele Bedingungen erfüllen: Bürokratie abbauen, sparen, liberalisieren, privatisieren. Die Troika-Teams kontrollieren regelmäßig die Umsetzung der Maßnahmen.

Die Griechen haben die fremden Helfer als Besatzer verschmäht. Die Zyprer sehen sie gelassener

Die Griechen haben die Troika als Besatzer verschmäht. Die griechischen Zyprer reagierten abgewogener. "Die Troika ist kein Feind, doch ihre Präsenz ist belastend", sagt Georgiades. Im März 2016 läuft das Rettungsprogramm aus. "Wir machen allein weiter", sagt der Finanzminister. Der Ökonom mit den kurzen schwarzen Haaren schlägt eine Brücke. "Es ist bedauerlich, dass wir EU-Hilfe beantragen mussten. Doch die Bedingungen waren nichts, was uns Dritte aufgezwungen haben. Diese Reformen waren nötig."

Nikosia im Spätherbst. Nach Brüssel sind es Luftlinie 2900 Kilometer, in die libanesische Hauptstadt Beirut nur 240 Kilometer. Der Linksverkehr auf der Sonneninsel erzählt von der früheren britischen Herrschaft. Es gibt viele Gebäude aus der Kolonialzeit, einige sind nun Regierungssitz. Ein Muezzin ruft zum Gebet auf der anderen Seite. Die Insel und auch die zyprische Hauptstadt sind seit 1974 geteilt. Damals marschierten türkische Truppen ein. Völkerrechtlich ist ganz Zypern Mitglied der EU. Den türkischen Teil Zyperns hat außer der Türkei niemand anerkannt. Doch die Spaltung bleibt. In der von UN-Soldaten kontrollierten Pufferzone der Altstadt steht das Ledra Palace Hotel. Vor dem Krieg übernachteten dort Schauspieler wie Richard Burton und Elizabeth Taylor. Jetzt ist die UN-Truppe im Hotel untergebracht. Direkt gegenüber liegt ein Restaurant. In den letzten Monaten haben sich dort immer wieder Unterhändler getroffen. Beide Seiten wollen die Wiedervereinigung. Die Versöhnung ist möglich. Den Seelen der geplagten Menschen würde das gut tun. Der Wirtschaft auch.

Children play in a park next to a fence marking the United Nations buffer zone in a partially restricted area in the Turkish Cypriot controlled area of central Nicosia

Geteilte Stadt: Kinder spielen am Grenzzaun in Nikosia.

(Foto: Neil Hall/Reuters)

Phidias Pilides, 62, hat den Krieg erlebt. Der Chef der zyprischen Handelskammer sitzt im sechsten Stock eines Bürohauses und erzählt von einem kleinen Wunder. Zyperns Wirtschaft wächst nach Jahren der Rezession. "Die Leute kaufen wieder Häuser, ausländische Touristen, die sonst nach Ägypten oder in die Türkei fuhren, kommen nach Zypern", sagt Pilides. Er trägt einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und einen dezenten Schnauzbart. "Alle Experten haben gesagt, Zypern schaffe es nicht so schnell." In seinen Worten schwingt Genugtuung mit. Den Rettern aus Europa hat man nicht verziehen, dass sie den Sparern Zyperns eine Mithaftung für die Bankschulden aufgezwungen haben. "Niemand war auf dieses Bail-in vorbereitet. Das war unfair", sagt Pilides. Viele kleine Betriebe gingen deshalb pleite. Dennoch ist Zypern - anders als Griechenland - auf gutem Wege. Die Mentalität spielt eine Rolle. Auf der Insel wurde weniger gejammert über die Finanzkrise, denn die Menschen haben Schlimmeres erlebt:

Den Krieg, der ab 1974 alles veränderte.

Das wird deutlich, wenn man in der Altstadt Nikosias den Spuren der Demarkationslinie folgt. Die Straßen sind sehr eng. Zwei bepackte Esel kommen aneinander vorbei. Mit Autos wird es schwieriger. Es war ein britischer Offizier, der die Demarkationslinie 1964 mit einem alles andere als geraden grünen Strich auf eine Karte gezogen hat. Damals schon gab es Streit zwischen griechischen und türkischen Zyprern, der schließlich bis zum Militärkonflikt eskalierte. Ein Altstadt-Café direkt an der Mauer heißt "Berlin". Am Übergang liest man in drei Sprachen: "Die letzte geteilte Hauptstadt". Immer wieder fällt der Blick auf Sandsäcke, Stacheldraht und zerbombte Häuser, von denen nur noch die Fassaden stehen. Zwei Straßenköter tollen dort rum. Ein junger griechisch-zyprischer Grenzsoldat schaut gelangweilt zu. Die Türken haben 40 000 Soldaten auf der Insel stationiert. Rund 10 000 sind es auf der anderen Seite. Die türkische Fahne besteht aus Metall. Sie hängt niemals schlaff. Die Leute im griechisch-zyprischen Teil der Stadt mokieren sich darüber. Sie haben nicht vergessen.

"Im Krieg 1974 haben wir alles verloren und dann alles wieder aufgebaut", sagt Handelskammerchef Pilides. Die brutale Vertreibung durch türkische Soldaten prägte zwei Generationen. "Die Finanzkrise war nicht das schlimmste Erlebnis in der Erinnerung vieler Zyprer", sagt Pilides. Das machte manches leichter ab 2013. Die Familien haben zusammengehalten, ihr Geld und Essen geteilt in der schlimmsten Phase der Finanzkrise. Kirchen und Wohlfahrtsverbände öffneten Suppenküchen. Die Kinder aus armen Familien erhielten in der Schule kostenlos Essen. Man gab ihnen Coupons zum Bezahlen. Dann fiel es nicht so auf, dass sie Almosen empfingen. Sie bewahrten ihre Würde.

Es war der Finanzsektor, der Zypern ab 2011 an den Rand der Staatspleite führte. Die Banken hatten sich übernommen und bedenkenlos Kredit vergeben. Viele Institute gingen Bankrott. Nur die Hellenic Bank überstand die Krise ohne Staatshilfe. Im siebten Stock der Konzernzentrale blickt Vorstandschef Bert Pijls von seinem Büro aus auf die Berge. Es herrscht blauer Himmel und 23 Grad. "Man kann hier auch Ski fahren." Ihm gefällt es auf Zypern. Pijls, 49, hat schon in sieben Ländern gearbeitet. Die neue Aufgabe ist knifflig, obwohl seine Bank endlich Profit macht. "Nirgendwo auf diesem Planten gibt es einen Finanzsektor, der auf so vielen faulen Krediten sitzt wie dieser hier", sagt Pijls. Der Abbau werde viele Jahre dauern.

Turkish Cypriot leader Mustafa Akinci and Greek Cypriot leader, Cypriot President Nicos Anastasiades, chat during a bicommunal event in Nicosia

Politiker aus dem türkischen wie dem griechischen Teil Zyperns plaudern auf einer Veranstaltung in Nikosia.

(Foto: Yiannis Kourtoglou/Reuters)

Zypern fasst nur langsam Vertrauen in die eigenen Banken. Es war ein Schock, als die Institute im März 2013 für einige Zeit geschlossen wurden. Es war eine Katastrophe, als dann noch Teile des Sparvermögens konfisziert wurden. Menschen bunkerten ihr Geld in Öfen, Matratzen, Schränken oder im Garten. Yiangos Demetriou konnte diese Ereignisse verfolgen. Er ist als Direktor der Zentralbank Zyperns für die Aufsicht der Kreditinstitute verantwortlich. "Die Zyprer haben sich in der Boomzeit für die täglichen Ausgaben Geld geliehen. Gleichzeitig haben sie Teile ihres Einkommens gespart", erzählt der Bankenkontrolleur. "In der Krise nutzten sie das Ersparte. Dadurch blieb der Konsum konstant. Das hat die Konjunktur gestützt."

Die Arbeitslosigkeit liegt auf der Mittelmeerinsel immer noch viel höher als vor der Krise

Demetriou muss sich um die faulen Kredite kümmern, die den Bankensektor belasten. "Viele Leute haben 2013 einfach die Ratenzahlungen eingestellt, obwohl sie genügend Geld hatten", erzählt er und spricht von "strategischen Zahlungsausfällen". Die Regierung hat die Gesetze verschärft. Banken können bei diesen Fällen jetzt mit Zwangsvollstreckungen drohen. "Aber nur den Leuten, die Geld haben. Es geht nicht darum, arme Familien aus ihren Häusern zu werfen."

Die Arbeitslosenrate auf Zypern liegt mit 15 Prozent noch viermal so hoch wie vor der Krise. "Wir sind kein Niedriglohnland, wir müssen innovativ sein", fordert Handelskammerchef Pilides. Man setzt auf Öl- und Gasbohrungen und die Schifffahrt. Der größte Steuerzahler des Landes ist Wargaming, eine Softwarefirma. Aber vor allem hofft Pilides auf die Wiedervereinigung. Zum Abschied zeigt der 62-Jährige sein Handy. "Im besetzten Gebiet jenseits der Demarkationslinie habe ich keinen Empfang." Warum? "Die Türkei hat die zyprische Landesvorwahl nicht ins Telefonnetz eingespeist."

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