Krisen-Suizide in Italien:"Ich bin pleite, deshalb mache ich Schluss"

35 Menschen haben sich in Italien seit Jahresbeginn aus wirtschaftlichen Gründen das Leben genommen. Witwen demonstrieren, Gewerkschafter schlagen Alarm: Sie geben der Regierung von Mario Monti eine Mitschuld an den tragischen Ereignissen.

Andrea Bachstein, Rom

"Ich bitte alle um Verzeihung. Ich bin pleite, deshalb mache ich Schluss." Generoso A. hat diese Zeilen hinterlassen, ehe er sich im süditalienischen Salerno erhängte. Seit einem Jahr hatte er keine Arbeit mehr. Er verlor seine Stelle in einem Discountmarkt, nachdem der Besitzer gewechselt hatte. Im Juni hätte der 48-Jährige auch noch seine Wohnung aufgeben müssen, in der er zuletzt ohne Strom gelebt hat, wie seine Schwester Zeitungen berichtete.

Zwei weitere Selbsttötungen sind in der vergangenen Woche bekanntgeworden: Ebenfalls in Salerno erschoss sich ein arbeitsloser Bauarbeiter, der keine Chance mehr auf Arbeit sah. Und ein 60 Jahre alter Unternehmer erhängte sich in einem Wald in der Nähe von Mailand, weil seine Druckerei nicht mehr genügend Aufträge bekam und er seine Schulden nicht zahlen konnte. Es sind nur die jüngsten Verzweiflungstaten in einer beklemmenden Serie.

Mindestens 35 Menschen in Italien sollen in diesem Jahr aus wirtschaftlichen Gründen in den Tod gegangen sein. Die Fälle reichen von der Rentnerin in Sizilien, die sich aus Angst vor der neuen Immobiliensteuer vom Balkon stürzte, bis zum kleinen Unternehmer in Bologna, der sich vor dem Finanzamt in seinem Auto selbst in Flammen setzte. Ein Bauunternehmer schied aus dem Leben, weil er die Familienfirma schließen und seine beiden Söhne entlassen musste. Manchmal geht es nur um lächerliche Summen - und doch packt immer mehr Italiener ein Gefühl der Ohnmacht, von Rentnern und Arbeitslosen bis hin zu Mittelständlern aus allen Branchen.

In den Medien heißen solche Taten "Krisen-Suizide", es wird von den "Opfern der Rezession" gesprochen. Natürlich gibt es auch Schuldzuweisungen. In Bologna demonstrierten Witwen von in den Tod gegangenen Kleinunternehmern vor dem Finanzamt. In Rom haben Gewerkschafter, Unternehmer und Landwirte einen stillen Fackelmarsch veranstaltet, bei dem sie die steigende Zahl von Unternehmenspleiten als Ursache der Verzweiflungstaten nannten.

Kritiker der Regierung von Mario Monti geben deren Sparkurs eine Mitschuld an den tragischen Ereignissen.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbstmorde zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

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