Krise in Südkorea:Der Samsung-Prozess kann Südkorea an den Abgrund bringen

Krise in Südkorea: Das Netzwerk der Familienunternehmen ist groß in Südkorea. Bürger protestieren gegen die enge Verstrickung von Politik und Wirtschaft.

Das Netzwerk der Familienunternehmen ist groß in Südkorea. Bürger protestieren gegen die enge Verstrickung von Politik und Wirtschaft.

(Foto: Illustration Sead Mujic)
  • An diesem Donnerstag beginnt in Südkorea der Prozess gegen den inoffiziellen Samsung-Chef Lee Jae-yong. Ihm werden unter anderem Korruption und Bestechung vorgeworfen.
  • Für Freitag wird außerdem das Urteil im Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Park Geun-hye erwartet.
  • In Südkorea arbeiten große Konzerne und Politik schon lange eng zusammen. Nach dem Koreakrieg half das dabei, das Land wiederaufzubauen. Doch nun sorgen die Verstrickungen für eine bedrohliche Krise.

Von Christoph Neidhart

Wie ist das eigentlich, wenn ein Land im Besitz großer Familienkonzerne ist, wenn besonders ein Unternehmen fast schon ein Synonym ist für den Staat, in dem es zu Hause ist? Wenn Samsung Südkorea ist und Südkorea Samsung? Gut ist das nicht, fand eine aufstrebende Politikerin und versprach, "die Wirtschaft zu demokratisieren". Mit diesem Vorsatz, den sie nie präzisiert hat, zog Park Geun-hye 2013 ins Blaue Haus ein, den Sitz des südkoreanischen Präsidenten.

Viele Bürger hofften damals, die heute 65-Jährige werde die Privilegien der Chaebol kappen, der großen Familienkonzerne wie Samsung, Hyundai, Lotte oder Hanjin. Und den Filz zwischen den Chaebol einerseits und der Politik, Justiz und Verwaltung andererseits durchschneiden. Ihre Vorgänger waren alle in Korruptionsfälle verwickelt, sie wollte die erste saubere Präsidentin sein. Sie habe keine Kinder, also keinen Anlass, sich zu bereichern, sagte sie.

Im Dezember wurde Park wegen Korruption, Pflichtversäumnisses und Machtmissbrauchs vom Amt der Staatspräsidentin suspendiert. Heute weiß man, dass sie wohl nie die Absicht hatte, die Macht und den zuweilen rechtswidrigen Einfluss der Chaebol zu beschneiden. Im Gegenteil: Ihre Politik hat die Kluft zwischen den Chaebol, die Südkoreas Wirtschaft dominieren, und dem kriselnden mittelständischen Gewerbe sogar noch vertieft. Ihr Sturz jedoch, der auch ein Sturz bliebe, wenn das Verfassungsgericht die vom Parlament beschlossene Amtsenthebung nicht bestätigt, verschafft Südkorea eine Chance, seine Wirtschaft wirklich zu "demokratisieren", mithin die Chaebol dem Recht zu unterwerfen, das für alle anderen gilt. Die persönliche Blamage der Präsidentin könnte ihr Wahlkampfversprechen auf eine Art wahrmachen, wie sie sich das selbst niemals gedacht hatte.

Park Geun-hye ist die Tochter des Militärdiktators Park Chung-hee, dem Vater des "Wunders am Han-Fluss", wie Südkoreas Wirtschaftsaufschwung genannt wird. Die Tochter, die im Blauen Haus aufgewachsen ist und die es deshalb für ihr natürliches Recht hielt, als Präsidentin dorthin zurückzukehren, hat sich nur halbherzig von der Diktatur distanziert. Ihr Slogan "Demokratisierung der Wirtschaft" echote bloß die "Modernisierung" durch ihren Vater, den viele ältere Wähler im Rückblick verklären, weil es ihnen damals wirtschaftlich jedes Jahr besser ging.

In zwei Generationen vom Agrarland zur Hightech-Großmacht

Auf seine Demokratie, die die Studenten 1987 erkämpften, ist Südkorea heute zu Recht stolz. Dabei blieb allerdings der Filz zwischen Chaebol und Politik, den Vater Park geschaffen hat, unangetastet. "Demokratisierung der Wirtschaft" klang in Parks Wahlkampf deshalb wie ein natürlicher nächster Entwicklungsschritt, der Korea zu einem neuen Wohlstandsschub verhelfen würde.

Als junger Mann war Parks Vater ein Untertan Japans, der Kolonialmacht. Er wurde Berufsoffizier in der kaiserlichen Armee und diente in der Mandschurei, Japans Marionettenstaat im Nordosten Chinas. Japan machte diese inoffizielle Kolonie zu einem Labor der radikalen Modernisierung einer Wirtschaft. Hier probierte es jene Grundregeln, die sich ein Teezeremonien-Meister in der Provinz Satsuma im 19. Jahrhundert zur Sanierung einer Volkswirtschaft ausgedacht hatte: die Substitution der Importe, die Reduktion der Kosten, Qualitätsverbesserungen und damit bessere Exportchancen und ein ausgeglichenes Budget. Südkorea und Taiwan ließen sich später davon leiten, um sich binnen zweier Generationen von Agrarländern in Hightech-Großmächte zu wandeln. Der frühere chinesische Ministerpräsident Zhu Rongji bekannte, auch China habe davon gelernt.

Kleine Unternehmer bauten das Land auf

Als General Park Chung-hee sich 1961 in Seoul an die Macht putschte, war das vom Krieg zerstörte Südkorea eines der ärmsten Länder. Das werde sich auch nicht ändern, sagten die Experten des Internationalen Währungsfonds (IWF) voraus. Korea hatte keine Rohstoffe und keine Infrastruktur. Mehr als die Hälfte seiner Staatseinnahmen kamen als Stützbeiträge aus Washington, die USA finanzierten seine Armee. Der einstige Industriegürtel lag nach der Teilung in Nordkorea.

Ganz Südkorea, damals ein Land von 24 Millionen Einwohnern, produziere weniger Strom als die Ford-Werke in Detroit, klagte Vater Park im Jahr 1961. Doch davon ließ er sich nicht beirren. Er hatte die Macht, die Armee, ein ausgehungertes ausgebombtes Volk und die Erfahrung aus der Mandschurei. Was ihm fehlte, waren Unternehmer. Auch dazu bot Japan mit den sogenannten Zaibatsu, seinen großen Mischkonzernen, das Vorbild: Sumitomo, Mitsui, Mitsubishi und Yasuda.

Park Chung-hee bestellte gewitzte Kleinunternehmer zu sich: Einer war Lee Byung-chul, ein Lebensmittelhändler und Nudelhersteller aus Daegu, seiner Heimatregion. Dessen Firma hieß Samsung Sanghoe, übersetzt: Drei-Sterne-Handelshaus. Ein anderer hieß Chung Ju-yung, der für die US-Armee mit seinen Brüdern Quartiere besorgte, Jeeps reparierte und Transporte erledigte. Er nannte seine Garage Hyundai, also: Moderne.

Der Präsident forderte die beiden und weitere Kleinpatriarchen auf, sie sollten in Wirtschaftszweige der Zukunft expandieren. Als der Staat, als den er sich selbst verstand, garantierte er ihnen den Binnenmarkt. Dazu sperrte er die Grenzen für Importe und duldete in jeder Branche nur zwei Anbieter. Wenn Samsung & Co. zögerten, investierte der Staat. Wenn sie die Gesetze umgingen, etwa beim Arbeiter- und später beim Umweltschutz, schaute er weg. Und auch, wenn sie sich maßlos bereicherten. Hauptsache war, dass sie Wachstum lieferten, dem ordnete sich der Staat unter. Park schickte die Chaebol-Bosse los, im Ausland Produktionsaufträge zu akquirieren. Und zwang die Koreaner, länger und fleißiger zu arbeiten als jedes andere Volk. In jener Zeit liefen Südkoreas Fließbänder 30 Prozent schneller als jene in den Vereinigten Staaten. US-Unternehmen, die damals in Korea produzierten, taten das für bloße vier Prozent der Kosten zu Hause.

Park lenkte Südkorea planwirtschaftlich, allerdings nur auf der Makroebene. An der Basis ließ er den Markt spielen. Zusammen mit den Chaebol-Bossen setzte er Fünfjahrpläne auf, nach denen Südkorea in immer neue Industriezweige einstieg: vom T-Shirt zum Auto und zur Schiffswerft. Und nach seinem Tod 1979 kam der Sprung vom Fernseher zum Computer. Dazu gründeten die Chaebol jeweils neue Tochterfirmen - Samsung Heavy, Samsung Engineering, Samsung Electronics -, die sie mit der eigenen Bank finanzierten, mit der eigenen Versicherung versicherten und für die ihre eigene Baufirma eine Fabriken baute.

Ein Dutzend Clans sicherte sich die Macht über die südkoreanische Wirtschaft

Bis heute kann man in Südkorea bei Samsung arbeiten, in einer Samsung-Wohnung wohnen, mit Samsung kochen, Lift fahren, fernsehen, telefonieren, Urlaub machen, bei Samsung versichert sein und sich im Samsung-Krankenhaus behandeln lassen. Samsung, der größte der Chaebol, generiert 20 Prozent der Wirtschaftsleistung Südkoreas.

Mit der Demokratisierung öffnete Südkorea nach 1987 auch seine Wirtschaft. Und schuf einen Finanzmarkt. Die Besitzerfamilien der Chaebol brachten ihre Unternehmen an die Börse und scheffelten Milliarden. Doch sie dachten nicht daran, auch die Kontrolle über ihre Konglomerate abzugeben. Im Gegenteil: Über Vorzugsaktien und Überkreuzbeteiligungen sicherte sich etwa ein Dutzend Clans die Macht über die Hälfte der südkoreanischen Wirtschaft, obwohl ihnen doch nur noch wenige Prozent gehören. Einige Chaebol sind in der Asienkrise 1997 an solchen Konstruktionen zerbrochen. Die andern haben dazugelernt und sich mit der Demokratie arrangiert. Zum Beispiel mit Samsung-"Stipendien", offiziellen und inoffiziellen. Naturgemäß fördert das Unternehmen Wissenschaftler. Aber "Samsung-Stipendium" kann auch Schmiergeld bedeuten. Samsung-Boss Lee Kun-hee, der seit drei Jahren im Koma liegt, richtete für die Bestechung von Staatsanwälten und Richtern eigens eine schwarze Kasse ein.

Manche Konzerne sind zerbrochen, andere haben sich arrangiert

In der Diktatur waren die Chaebol und Park Chung-hee voneinander abhängig: Der Diktator brauchte die Industrie, die Chaebol-Bosse waren ihm ausgeliefert. Dieses Gleichgewicht hat sich im Rechtsstaat zugunsten der Chaebol verschoben. Kein Präsident hat es gewagt, die Hennen zu maßregeln, die Südkorea die goldenen Eier legen. Die Chaebol-Clans sagen sich deshalb: Die Politiker kommen und gehen, wir bleiben.

Viele Koreaner verabscheuen die Chaebol, möchten aber zugleich für eines von ihnen arbeiten. Eine Stelle bei Samsung oder Hyundai bedeutet Prestige, Privileg und ein gutes Auskommen. Man gehört zu einer Oberschicht. Millionen Koreaner gehen gegen die Präsidentin und die korrupten Chaebol auf die Straße und zweifeln an der Kompetenz ihrer dritten Führungsgeneration. Aber ein Korea ohne die wirtschaftliche Supermacht Samsung können sie sich nicht vorstellen.

Die Bestechung, derer Samsungs Kronprinz Lee Jae-yong, der Sohn von Lee Kun-hee, nun angeklagt wurde, belegt diese Arroganz. An diesem Donnerstag beginnt der Prozess, Lee Jae-yong streitet alle Vorwürfe ab. Auch die selbstverständliche Dreistigkeit, mit der sich die Präsidentin wie einst ihr Vater über das Recht hinweggesetzt hat oder haben soll, ist beachtlich; noch gibt es kein Urteil.

Samsung ist freilich nicht der einzige Chaebol, der Politiker bestochen hat. Gemessen an den Deliktsummen früherer Präsidenten verblasst der Händel zwischen Park und Lee. Die beiden waren bloß naiv genug, sich ertappen zu lassen. Genauer: sich von der Eitelkeit von Parks Freundin, der Schamanin Choi Soon-sil, und ihrer Tochter verraten zu lassen.

Park Geun-hye und Lee Jae-yong haben, selbst wenn sie freigesprochen werden sollten, die Korruption zwischen Chaebol und Politik entblößt, die Parks Vater duldete, und die sich bis heute erhalten hat. Das kann Südkorea nicht länger ignorieren. Künftig muss der Rechtsstaat auch für die Chaebol gelten, selbst wenn das Koreas Wirtschaft vorübergehend bremsen sollte. Auf Dauer wird es die Wirtschaft sogar beleben, wenn die Chaebol der Kontrolle ihrer Besitzerfamilien entgleiten und womöglich auseinanderbrechen.

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