Krise der Einkaufsstraßen:Boulevard banal

Früher hatten alle ihr eigenes Gesicht: Läden, die es nur hier gab; Kaufhäuser mit einem unverwechselbaren Charakter; dazwischen Galerien, Handwerker, kleine Restaurants. Doch inzwischen gleichen sich die Einkaufsboulevards der Welt immer mehr an. Überall finden sich die gleichen globalen Ketten. Die Stadt Paris stemmt sich gegen diese Monokultur des Shoppings und lässt H&M nicht auf die Champs-Elysées. Auch andere Metropolen sorgen sich um ihre großen Straßen.

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New York: Fifth Avenue

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New York: Fifth Avenue - Altern ist der Tod Von Jörg Häntzschel

Manhattans Straßenraster duldet keine Zentren. Doch wenn die Stadt etwas wie einen Mittelpunkt hat, liegt er auf der Fifth Avenue, zwischen dem Central Park und dem Rockefeller Center, auf einem der 15 Blocks, die vollständig dem Geldmachen und Geldausgeben gewidmet sind. An schlechten Tagen fühlt sich diese kurze Strecke an wie eine banale Vorstadt-Mall, an guten wie der Mittelpunkt der Welt.

Anfang des Jahrhunderts konnte man hier noch wohnen, doch dann sortierten sich die Verhältnisse: Die Reichen wanderten nach Norden, wo sie den Blick über den Park hatten; weiter südlich zogen die Kaufhäuser ein, bis es bald nichts anderes mehr gab. Der Umsatz mit dem guten Leben wird hier gemacht, wo die Touristen sich vor lauter Fülle kaum auf den Gehsteigen halten können. Jeder wartet hier mit einer anderen, unterhaltsamen Idee auf. Apple hat seinen Laden in den Untergrund verlegt und zieht mit einem riesigen, leeren Glaskubus nur umso mehr Leute an; Abercrombie&Fitch ist als Skihütte dekoriert; Louis Vuitton verbirgt sich hinter einer technoiden Glasfassade, und Tiffany's wird peinlich genau im aus dem Film bekannten Zustand erhalten. Trotz der Millionen Touristen, die auf der Suche nach dem Geist von Audrey Hepburn schon durch die Drehtür kamen, wird man noch immer filmreif bedient.

Das alles ist nichts gegen das Achtziger-Jahre-Monument des Trump-Tower, der mit seiner bronzefarbenen Glasfassade wirkt wie ein vertikaler Palast der Republik. Und erst recht nichts gegen das Rockefeller Center, diese kühne Synthese aus allen Monumentalstilen der Baugeschichte.

Es ist ein ständiges Kommen und Gehen, weil die Mieten so hoch sind, dass sich ein Laden nur bei optimaler Performance halten kann. Das erste Anzeichen des Alterns bedeutet den Tod. Wo jetzt Abercrombie ist, war kürzlich noch Fendi. Gucci, erst vor ein paar Jahren mit großem Bohei eröffnet, wandert ein paar Blocks weiter; Hugo Boss macht zu oder wird vielleicht auch nur umdekoriert. Fehler werden nicht geduldet, Schwächen sofort entlarvt. Hier hat sich das reiche, amerikanische Großbürgertum sein Taj Mahal, seine Kathedralen, seine Pyramiden erträumt. Doch beim Aufwachen stellte es fest: Es gibt bessere Einzelhandelsarchitektur.

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London: Oxford Street

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London: Oxford Street - Ramsch für die Masse Von Andreas Oldag

Eine Schönheit ist sie nicht. Doch nach wie vor zieht die Oxford Street täglich Zehntausende von Einkäufern an. Die meisten eilen aus der U-Bahn-Station Tottenham Court Road und drängeln sich dann auf dem schmalen Bürgersteig. Auf zweieinhalb Kilometern im Herzen Londons reiht sich Laden an Laden, insgesamt mehr als 300. Berühmte Kaufhausadressen haben hier ihr Domizil wie Selfridges, Marks & Spencer und John Lewis.

Die Straße folgt einem antiken Weg der Römer, die an der Themse ein großes Heerlager hatten. Doch erst im 18. Jahrhundert erlebte die Straße einen Boom. Der Earl von Oxford ließ seine angrenzenden Felder mit pompösen Mietshäusern bebauen. Es folgten Geschäfte, aber auch Vergnügungstempel wie ein Theater mit Tigern.

Ihren volkstümlichen Charakter hat die Straße bis heute erhalten. Feine Londoner rümpfen die Nase und kaufen lieber bei Harrods in Kensington ein. Die Oxford Street bedient den Massengeschmack. Entsprechend größer ist das unverfälschte London-Gefühl für Besucher aus dem Ausland: Man begegnet dem gepiercten Alt-Punk ebenso wie der indischen Großfamilie, die übers Wochenende nach London geflogen ist.

Dennoch streiten Stadtentwickler, Lokalpolitiker und Geschäftsinhaber über die Zukunft der Einkaufsmeile. Vor allem die traditionsreichen Kaufhäuser stoßen sich an dem Billig-Image der Straße. Kritik erregen Ramsch- und Andenken-Läden, aber auch die zahlreichen Hamburger-Bratereien und Pizza-Bäcker. ,,Wir verlieren Kunden, für die die Oxford Street nicht mehr ihre Straße ist'', meint ein Kaufhaus-Manager. Die Stadtverwaltung Westminster Council bemüht sich deshalb seit langem um ein besseres Image. Man wolle eine ,,gesunde Mischung'' der Läden unbedingt erhalten, heißt es in der Behörde. Doch das ist in der Praxis häufig nur schwer umzusetzen, weil die Mietverträge frei aushandelbar sind.

Langfristig versprechen sich die Stadtentwickler eine Aufwertung durch die neue Nahverkehrsbahn Crossrail, die quer durch die Londoner Innenstadt bis zum Flughafen Heathrow verlaufen soll. Sie wird auch an der U-Bahn-Station Tottenham Court Road halten. Dafür wird der Bahnhof gründlich modernisiert. Die ersten Züge sollen allerdings erst im Jahr 2017 fahren.

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Schanghai: Nanjing Lu

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Schanghai: Nanjing Lu - Im Gleichschritt Von Janis Vougioukas

Das Kaufhaus Nr. 1 befindet sich an einer Kreuzung am Volksplatz. Unter der Erde liegt der wichtigste U-Bahnhof der Stadt. Und oben verknoten sich Dutzende Straßen und Stadtautobahnen. Die Nanjing Lu ist immer voll. Wenn die Büros schließen, drängen sich die Fußgänger so dicht, dass es auch im Winter nie richtig kalt wird. Jeder freie Zentimeter wird ausgenutzt. Wenn einer das rechte Bein nach vorne schiebt, füllt der Hintermann sofort die Lücke.Das setzt sich so bis zur nächsten Kreuzung nach hinten fort, und alle gehen im Gleichschritt. In der Nanjing Lu bewegen sich die Fußgänger wie ein Tausendfüssler im Licht der Neonreklamen. Die Geschäfte haben Lautsprecher vor die Türen gestellt, auf der Straße vermischt sich die laute Discomusik.

Einkaufen ist die liebste Freizeitbeschäftigung der Chinesen. Es heißt, an guten Tagen kommen bis zu eine Million Kunden in das Kaufhaus Nr. 1. Die braune Fassade wirkt ausgeblichen, wie eine alte Fotografie. Doch die prächtigen Art-Déco-Balustraden von einst kann man immer noch erkennen. Das Kaufhaus wurde 1936 während der Kolonialzeit gebaut, als die Nanjing Lu noch Bubbling Well Road hieß. Damals hieß das Haus noch Sun Company, es war das größte Einkaufszentrum im Fernen Osten. Es gab hier traditionelle chinesische Medizin neben französischen Weinen und importierten Zigarren. Schanghai schwelgte im Konsum. 1949 rief Mao Zedong in Peking die Kommunistische Volksrepublik aus. Kurz danach wurde der Konsumtempel enteignet und in Kaufhaus Nr. 1 umbenannt. Trotzdem konnte es seinen guten Ruf bewahren, auch als die Warenversorgung fast völlig unterbrochen wurde. Besonders schlimm war die Zeit der Kulturrevolution. Als Schuhe knapp wurden, entschied die Kaufhausleitung, Schuhe einzeln zu verkaufen. Es hieß, die Kunden könnten kaputte Schuhe so ersetzen und müssten nicht ein neues Paar kaufen. Andere Produkte wurden nicht mehr verkauft - nur noch ausgeliehen.

Es gibt heute viel modernere Einkaufszentren in Schanghai als das Kaufhaus Nr. 1, wo die Gänge eng sind und die Decke so tief hängt, dass man den Kopf einzieht. Viele moderne Shopping Malls sind nur wenige hundert Meter entfernt. Doch die Schanghaier kommen immer noch gerne.

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München: Maximilianstraße - Großes Theater

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München: Maximilianstraße - Großes Theater Von Christian Mayer

Es war ein König, der die Maximilianstraße erfand, und deshalb dürfen sich die Kunden auf Münchens teuerstem Boulevard auch wie die Könige fühlen - wenn sie sich den Spaß denn leisten können. Schon als Kronprinz wollte der Wittelsbacher Max II. seinem Vater Ludwig I. mit einem eigenen Straßenzug Konkurrenz machen, und so versammelte er Mitte des 19. Jahrhunderts bedeutende Baumeister um sich. Das Ergebnis: Musterfassaden im "Maximiliansstil" beherrschen das Bild, eine Mischung aus Neugotik und italienischer Spätrenaissance. Aber was wäre die Maximilianstraße ohne großes Theater, ohne die Bayerische Staatsoper und die Münchner Kammerspiele, zwei Institutionen der Hochkultur, die sich in der schönen Warenwelt zu behaupten wissen?

Hinter den Fassaden sitzen heute die internationalen Designer. Längst fühlen sich auf der Maximilianstraße vor allem arabische Sommergäste und russische Tagestouristen wohl. Im Zeitalter der globalen Konsumgesellschaft hat die Straße an Originalität eingebüßt. Das hat nicht nur mit dem Mord an Rudolph Moshammer zu tun, der lange als skurrile Sehenswürdigkeit galt - unter dem Vorwand, eine seiner quietschbunten Krawatten kaufen zu wollen, ließen sich Besucher gerne vom Meister selbst durch seine Boutique führen. Prada, Louis Vuitton, Boss und Dior geben inzwischen den Ton an, italienische Markengeschäfte protzen mit glänzenden Einkaufsbühnen, Uhrenfirmen und Produzenten von Luxustaschen sind mit Filialen präsent. Viele Münchner wenden sich dagegen enttäuscht ab: zu teuer, zu exklusiv, zu abgehoben sei der Boulevard der Besserverdiener, lautet der Vorwurf. Die Maximilianstraße gehöre längst den vom Geld Erfrorenen, hat der Münchner Künstler Herbert Achternbusch einmal abfällig geäußert. Gerade erst hat mit dem "Café Roma" ein Lokal zugemacht, das auch bei der einheimischen Halbprominenz beliebt war. Ein neuer Mieter steht schon bereit - Gucci.

Trotz aller Kritik: Die Maximilianstraße zählt weiter zu den schönsten Straßen der Welt. Man muss ja nicht immer die goldene Kreditkarte zücken. Es reicht, einen Cappuccino im Theaterrestaurant "Kulisse" zu bestellen und das Publikum zu beobachten. Großes Theater, auch das.

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Berlin: Friedrichstraße - Hüte und Huren

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Berlin: Friedrichstraße - Hüte und Huren Von Juan Moreno

Es gibt eine nette Geschichte, wie die Friedrichstraße in Berlin zu ihrem Namen kam. Ende des 17. Jahrhunderts hieß sie noch Querstraße, denn sie verlief quer zur wichtigsten Berliner Straße, dem Boulevard Unter den Linden. Berliner waren seit jeher praktisch denkende Menschen und nannten das Offenkundige beim Namen - Querstraße. Friedrich III., damals Kurfürst und Herzog von Brandenburg-Preußen, gefiel das nicht. Als Herrscher nicht brillant, als Egomane kaum zu überbieten, sprach er folgende Sätze: ,,Was heißt hier Querstraße? Ein anständiger Name muss es sein - der Meinige''.

Um ehrlich zu sein, Friedrich III. hätte es bei Querstraße belassen sollen. Der Name würde heute sehr gut passen. Irgendwie ist diese sehr gerade Straße zwischen Mehringdamm im Süden und dem Oranienburger Tor im Norden ein bisschen quer. Das geht beim Einkaufen los. Man kann auf der Friedrichstraße wirklich fast alles kaufen: Döner für 2,50 Euro, Hermès-Krawatten für ein Vermögen, neue Zähne in einer Privatklinik, Rolls-Royce Cabriolets, Jagdhüte, Politikberatung und sogar Liebe, wenn die Nutten an der Oranienburger Straße ein Stück zu weit Richtung Westen gelaufen sind. Es gibt alles, aber wenn man einen Berliner fragt, ob die Friedrichstraße eine Einkaufsstraße ist, sagt er vermutlich: "Nee, dat is der Ku'damm." Ein Ostberliner wird widersprechen, und sagen: "Nee, der Alexanderplatz, da jibbet allet."

Die Friedrichstraße ist wie Berlin Mitte, ein Teil der Stadt, der noch nicht weiß, ob er West oder Ost ist. Neue Mitte haben die Zeitungen das eine Weile genannt. Die Friedrichstraße hat sich noch nicht gefunden. In der Mitte, so zwischen Bahnhof Friedrichstraße und Leipziger Straße, macht sie ein bisschen auf Düsseldorfer Kö oder Münchner Maximilianstraße. Teure Boutiquen, die immer mehr leer sind, wenn die Russen sich nicht gerade in der Privatklinik die Zähne machen lassen, ein paar teuere Hotels und das Kaufhaus Lafayette, das so richtig gute Geschäfte vermutlich auch nicht macht. An den Enden fasert die Straße aus. Da sind unrenovierte Altbauten, heruntergekommene Irish Pubs, Pizza-Straßenverkäufer und türkische Gemüsehändler. Dazwischen verirrte Touristen, die immer wieder fragen: "Und das ist jetzt die berühmte Friedrichstraße, ja?"

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Stockholm: Drottninggatan - Ein Anzug für Lenin Von Gunnar Herrmann

Greta Garbo hat hier als Verkäuferin gearbeitet, als sie noch Gustafsson hieß und unbekannt war. Lenin kaufte sich hier kurz vor der Revolution einen neuen Anzug. Das Kaufhaus PUB an der Drottninggatan (zu deutsch: Königinnenstraße) ist eine der traditionsreichsten Modeadressen der schwedischen Hauptstadt. Seit einigen Monaten herrscht Aufbruchstimmung. "Wir wollen wieder zu den zehn besten Kaufhäusern Europas gehören", sagt Geschäftsführer Tommy Johansson. Die beiden oberen Stockwerke hat PUB kurz vor Weihnachten renoviert, sie sollen mit Designermode nun junge Käufer anlocken.

Der Umbau war notwendig, weil der frühere Glanz des Kaufhauses in den vergangenen Jahren verblasst war. Es gab lieblos zusammengewürfelte Dutzendware. "Uns fehlte ein Profil", sagt Johansson. Einen ähnlichen Niedergang hatte das gesamte Einkaufsviertel in der Innenstadt erlebt. Aber seit einigen Jahren ist die Drottninggatan wieder beliebt. Der Aufschwung begann mit der Renovierung des Kaufhauses Ahléns und der Eröffnung einiger Flagship-Stores von international bekannten Marken; natürlich gibt es auch ein großes Geschäft der schwedischen Modekette H&M.

"Diese Akteure sind wichtig für alle, denn sie locken die Massen an", sagt Johansson.

Täglich laufen nun etwa 100 000 Menschen durch die Drottninggatan. Die Straße ist damit wieder zentraler Punkt für alle, die in der Stockholmer City einkaufen wollen. Sie ist lang, die Kaufhäuser und großen Ladenketten liegen in der Fußgängerzone in der Mitte. An den Rändern bietet die Drottninggatan auch Platz für kleine Restaurants, Cafés, Antiquariate, Plattenläden, Hutmacher oder Tuchhändler.

Die wichtigste Konkurrenz für die Drottninggatan sind die Shopping-Paläste mit den riesigen Parkplätzen, die auch rund um Stockholm gebaut werden. "Einen H&M finden Sie heute in jedem größeren Vorort-Einkaufszentrum", sagt Johansson, "aber Kaufhäuser wie unseres gibt es nur in der City." Deshalb sei beides wichtig: die bekannten Ladenketten für die Masse, die alten Kaufhäuser für das Flair. An diesem Flair wird Johansson 2008 noch arbeiten müssen, denn die unteren Stockwerke im PUB warten noch auf ihre Renovierung.

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Tokio: Ginza - Bier und Kimonos

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Tokio: Ginza - Bier und Kimonos Von Christoph Neidhart

Die Ginza hat zwei Gesichter, ein internationales und eines, das sie nicht zeigt. Ihre gleißenden Fassaden gehören Cartier, Tiffany, Bulgari, Brooks Brothers, Apple und Japans großen Warenhausketten. Bei Prada macht ein zuckerfreundlicher Türsteher Gesichtskontrolle. In den dunklen Seitengassen dagegen finden sich verschwiegene kleine Sake-Kneipen, Jazz-Bars, Geisha-Clubs und Handwerksbetriebe.

Als Japan sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts öffnete, wurde die Ginza zum Straßenzug der importierten Moderne. Hier entstanden die ersten Backsteinhäuser und 1878 das zentrale Postamt. Zu dessen Eröffnung pilgerten die Leute, um die erste Glühbirne Tokios zu sehen. Sie verglühte nach 15 Minuten. Bis heute ist die Ginza der Ort, wo Tokio seine Weltläufigkeit inszeniert - nicht nur mit Taschen von Louis Vuitton, sondern auch mit Essen und Trinken. Die Sapporo-Bierhalle "Lion" sieht aus, wie Japaner sich eine Münchner Bierhalle vorstellen, mit Pseudogotik in dunkel lackiertem Holz und Japanern, die in Trachten und Lederhosen alpenländische Volksmusik spielen. Das Café Mozart hält ein Österreich der 50-erJahre am Leben. In den enormen Lebensmittelabteilungen der Warenhäuser gibt es Münchner Weißwürste und westfälischen Katenrauchschinken. Bei Matsuya heißt eine französische Confiserie "Lettre d'Amour". Mitsukoshi verkauft "Satie", die beste Schokolade der Welt. In den Boomjahren, als Geld keine Rolle spielte, standen hier Schokolade-Girls, die Kostproben verteilten. Es störte sie nicht, wenn man drei- oder viermal an ihnen vorbeiging und sich jedesmal bediente. Einst konnte man sich in den Delikatessabteilungen mit Kostproben fast ernähren, sofern der Magen den Mix verkraftete.

Es findet sich auch Japanisches auf der Ginza: Juweliere, Mikimoto-Perlen, die Warenhäuser verkaufen unendlich viele japanische Delikatessen. Und irgendwo in den Obergeschossen auch Kimonos. Aber das Japanische drängt sich auf der Ginza nicht auf. Im großen Schreibwarenladen Ito-ya, der Papier, Stifte, Pinsel, Staffeleien, Kalender, elektronische Agendas und bis heute Siegel und Siegellack verkauft, verschmelzen West und Ost - wie in der japanischen Wirklichkeit eigentlich stets.

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Moskau: Twerskaja - Stalins Werk Von Daniel Brössler

Gelegentlich erlauben sich auch Moskauer einen Anflug von Nostalgie. Kaviar gibt es natürlich überall in der russischen Hauptstadt zu kaufen. Und auch um teuren Wodka oder edlen Champagner zu kaufen, muss eigentlich niemand den Weg in die Twerskaja-Straße auf sich nehmen, wo Parkplätze noch knapper sind als anderswo. Und doch ist der Feinkostladen Jelissejew gut besucht. Hier stapeln sich die Delikatessen zwischen prächtigen Säulen, unter Jugendstil-Gemälden reiht sich teurer Alkohol. Im Feinkostladen Jelissejew schimmert, neu aufpoliert, der alte Glanz.

Er stammt aus jener Zeit, als die Twerskaja wirklich noch eine Prachtstraße war. Über sie führte immer schon der direkte Weg zum Kreml, was sie im 19. Jahrhundert zur natürlichen Adresse für repräsentative Häuser und elegante Geschäfte machte. Für die Bolschewisten sollte sich dieser Weg als zu eng erweisen. Nach der Oktober-Revolution machten sie sich zielstrebig an die Zerstörung der alten, ihnen allzu bourgeois erscheinenden Prachtstraße. Das Werk vollendete Josef Stalin, indem er viele Häuser abreißen und die in Gorki-Straße unbenannte Twerskaja von 15 auf 40 Meter verbreitern ließ. So wurde sie zu einer Aufmarschstraße nach sowjetischem Geschmack. Ihre Bedeutung als Einkaufsmeile verlor sie aber nicht. Was der Sozialismus bereithielt, war hier zu bekommen. Berühmt wurde die immer noch existierende Buchhandlung Moskwa.

Erst mit der Rückkehr des Kapitalismus nach Russland hat die Twerskaja ihren alten Namen zurückerhalten und wieder einmal ihr Gesicht verändert - dank viel Farbe und noch mehr großflächiger Reklame. In Moskaus Haupt-Einkaufsstraße mieteten sich in den neunziger Jahren teure Boutiquen und schicke Restaurants ein. Und mit dem Hotel Ritz-Carlton residiert auch das erste Haus am Platze wieder in der Twerskaja. Viele der eleganten Läden sind aber bereits weitergezogen, in ruhige Seitenstraßen der Twerskaja oder näher zu den Wohngebieten der Superreichen.

Viele Moskauer sind ihrer Twerskaja dennoch treu geblieben. Schön ist sie zwar nicht und mit zehn Fahrspuren auch kein perfekter Ort zum Bummeln. Aber Nostalgie ist ja auch in der russischen Hauptstadt erlaubt.

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