Die Chefs von Praktiker könnten auch einfach Klartext sprechen: keine Kohle mehr. Stattdessen schwurbeln sie in der Ad-hoc-Mitteilung vom Mittwochabend: "Vorstand der Praktiker AG verneint positive Fortführungsprognose." Übersetzt bedeutet das: Die Baumarktkette steht vor der Insolvenz. Einen Tag später herrscht Klarheit, Praktiker beantragt ein Insolvenzverfahren. 5399 Angestellte könnten ihren Job verlieren - so viele arbeiten laut jüngstem Quartalsbericht für Praktiker Deutschland ( PDF). Der Aktienkurs brach um 70 Prozent auf 0,11 Euro ein - zum Börsengang 2005 hatte er 14,50 Euro betragen. Mit seinen aggressiven Werbestrategien und Preisen ("20 Prozent auf alles - außer Tiernahrung" oder "Hier spricht der Preis") schien Praktiker ins Zeitalter des geizigen Konsumenten zu passen. Jetzt steht das Unternehmen vor dem Aus. Vier Gründe, warum es bald heißen könnte: 20 Prozent auf gar nichts mehr.
Satter Markt
Es ist eine alte, düstere Prophezeiung, die jetzt für Praktiker wahr wird. Schon 2005 warnten die Unternehmensberater von Ernst & Young (EY), auf dem Markt sei einfach zu wenig Platz. Bis 2015, so die Vorhersage, werde es nur noch drei der damals 15 Baumarkt-Ketten geben. Seitdem war den Managern der Branche bewusst, dass sie es möglicherweise nicht alle schaffen würden. Nur glaubte keiner, dass es ihn selbst erwischen würde.
R.I.P. Schlecker, Kodak, Neckermann und Co.:Es war einmal eine Marke
Schwedische Autos, Billig-Drogerien, und Foto-Pioniere: Unternehmen, die einen festen Platz in der Gesellschaft hatten, machten pleite, ob wegen Managementfehlern, technischem Wandel oder der Krise. Welche Marken 2012 verschwunden sind.
EY-Partner Peter Schommer sagte damals: "Bereits heute ist Deutschland mit Baumärkten übersättigt." Die Ladenflächen müssten um 30 Prozent reduziert werden. Sie nahmen im vergangenen Jahrzehnt aber immer weiter zu, sagt Thomas Harms heute, bei EY zuständig für Einzelhandel: "Wir haben doppelt so viel Quadratmeter pro Einwohner wie in Großbritannien oder Frankreich." Vor allem in Ostdeutschland gab es zu viel Angebot für zu wenige Heimwerker: "Die Expansion in Ostdeutschland war eine Möglichkeit für die Ketten, viel Geld zu verbrennen. Das haben die auch alle gut gemacht."
Grundsätzlich gehen die Deutschen weiter gern in Baumärkte, auch online kaufen sie vor allem bei den bekannten Ketten. Die Umsätze der Branche stiegen in den vergangenen Jahren leicht aber konstant an. Doch um die stritten sich zu viele Ketten - und das Wachstum musste mit immer krasseren Rabatten erkämpft werden.
Billige Strategie
Praktiker war als ganz normaler Baumarkt gestartet. Nach der Übernahme der - bis heute gut laufenden - Premium-Märkte von Max Bahr 2007 konzentrierte das Management die Marke Praktiker auf Discount. Mit den offensiven Slogans, im Radio teils von Bruce-Willis-Synchronsprecher Manfred Lehmann gesprochen, setzte Praktiker radikal auf niedrige Preise, ignorierte dafür aber die Wünsche der Kunden an das Sortiment. Mit Notrabatten von bis zu 40 Prozent versuchte die Firma im Frühjahr Kunden zum Kaufen zu bewegen. Rabatt-Gutscheine, Bonusschecks, Sonderaktionen sollten Schnäppchenjäger anlocken. Der 20-Prozent-Slogan beschäftigte sogar die Gerichte.
Mit der Billigpreis-Strategie hat das Unternehmen sein eigenes Image beschädigt. Im aktuellen Brand-Index der Marktforscher von Yougov liegt Praktiker auf dem letzten Platz unter den Baumärkten und zählt damit zu den Unternehmen, die im Jahr 2012 die miesesten Image-Werte erreicht haben.
Die Niedrigpreispolitik funktionierte in den ersten Jahren. Doch wer immer hohe Rabatte gibt, erzieht die Kunden: Sie sind bald nicht mehr bereit, höhere Preise zu zahlen, wenn beispielsweise Einkaufs- und Produktionskosten steigen. Ketten wie Obi und Hornbach setzen auf Kundenbindung durch Eigenmarken und erweiterten früh das Sortiment, zum Beispiel mit Garten-Centern. Die passten zum Heimgärtner-Trend und wurden zum Erfolg. Die Kette Bauhaus verdrängte Praktiker mit den Jahren vom zweiten Platz in der Liste der größten Baumärkte.
Chaos an der Spitze
In turbulenten Zeiten ist es in der Regel hilfreich, wenn wenigstens in der Führungsetage Stabilität herrscht. Das war bei Praktiker in den vergangenen zwei Jahren nicht so. Im Gegenteil: Die Chefs wechselten häufiger als das Sortiment. Der langjährige Vorstandsvorsitzende Wolfgang Werner wurde im Herbst 2011 durch Thomas Fox ersetzt. Der ehemalige Karstadt-Boss kam als Sanierungsexperte. Seine Idee: Praktiker solle sich als günstiger und einfacher Baumarkt zurückkämpfen. Sein Problem: Die Großaktionäre wollten das nicht. Die Österreicherin Isabella de Krassny führte die Anteilseigner um den zyprischen Fonds Maseltov und die Wiener Privatbank Semper Constantia an. Fox' Umbauprogramm war ihnen zu teuer, er konnte kaum etwas umsetzen - und wurde nach nur wenigen Monaten durch Kay Hafner ersetzt, der aus dem Aufsichtsrat an die Unternehmensspitze rückte.
Doch auch der ehemalige Hertie-Chef hatte keine Chance, eine langfristige Strategie zu entwickeln. Er war von Anfang an als Interimslösung abgestempelt, schnell gab es Spekulationen über mögliche Nachfolger. Vergangenen Herbst kam dann Ex-Aldi-Manager Armin Burger. Und Isabella de Krassny sicherte sich noch mehr Einfluss: Ihr Mann Alain stieg über seine Beteiligungsgesellschaft Donau Invest bei Praktiker ein. Ohne die Österreicher soll gar nichts mehr bei der Baumarktkette gehen. Burger, der Wunschkandidat der Großaktionäre, versprach noch im Januar die Kehrtwende. Daraus wurde nichts.
Kundenzufriedenheit
Wie lange müssen Kunden auf einen Mitarbeiter warten, wie kompetent sind diese, wie vielfältig ist das Angebot? In diesen Kategorien schnitt Praktiker nach Meinung der Kunden zuletzt schlecht ab. Das Deutsche Institut für Service-Qualität (DISQ) untersuchte im Frühjahr 2013 neun deutsche Baumärkte. Mehr als hundert Mal besuchten verdeckte Tester die Konkurrenten. Die Prüfer attestierten Praktiker in Sachen Beratungskompetenz nur die Note "ausreichend", die Marke landete abgeschlagen auf dem letzten Platz. Besser sah es beim Angebot aus, hier belegte Praktiker Rang sieben, immerhin gab es dafür ein "sehr gut".
Die Premium-Schwestermarke Max Bahr ist deutlich beliebter. Dank hilfsbereiten Mitarbeitern und zusätzlichem Service wie individuellem Holzzuschnitt landete sie auf Platz zwei. In einer letzten Rettungsaktion hatte die Unternehmensspitze in den vergangenen Monaten viele Praktiker- zu Max-Bahr-Filialen umgewandelt. Es hat offenbar nichts geholfen. Allerdings sollen die Märkte von Max Bahr und das Auslandsgeschäft nicht Teil der Insolvenz werden.