Süddeutsche Zeitung

Kriminalität:Der Zoll, das Virus - und die Millionenfrage

Im Corona-Jahr 2020 hat der Zoll deutlicher weniger Steuerschäden ermittelt. Ob das in Zusammenhang mit der Pandemie steht, weiß die Behörde aber nicht.

Von Katharina Kutsche, Hannover

Der deutsche Zoll hat im vergangenen Jahr deutlich geringere Steuerschäden ermittelt. 45,5 Millionen Euro setzten die Zollbeamten 2020 fest, die Kriminelle an Zöllen und Einfuhrumsatzsteuern hinterziehen wollten. Das sind 70 Prozent weniger als 2019 und knapp die Hälfte der Schäden aus 2018. Und trotz weniger Ermittlungsverfahren erhob die Zollverwaltung im Vergleich höhere Bußgelder. Wie hängt das alles zusammen? Die Antwort ist: vermutlich gar nicht.

In einer parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung wollte der FDP-Bundestagsabgeordnete Markus Herbrand wissen, inwieweit die Pandemie und die damit einhergehenden Veränderungen im Handel Einfluss auf den Kampf des Zolls gegen Steuerhinterziehung hatten. Das Bundesfinanzministerium (BMF) antwortete mit mehreren Tabellen, nannte Zahlen zu Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeiten-Verfahren und ermittelten Schäden bei der Hinterziehung von Tabak-, Energie- und anderen Verbrauchsteuern. Doch konnte das BMF das alles nicht in einen Zusammenhang zur Frage stellen.

Es ist ein neuer Aufhänger für ein leider altes Problem. Der Zoll ist in Deutschland für sehr verschiedene Aufgaben zuständig. Zum einen erhebt er Verbrauchsteuern, etwa für Tabak, Alkohol, Strom und Energie. In dieser extrem wichtigen Funktion nimmt er pro Jahr rund die Hälfte aller dem Bund zufließenden Steuern ein - 128,5 Milliarden Euro allein im Jahr 2020.

Der Zoll versteht sich nicht als Polizei

Zum anderen ist der Zoll im Kampf gegen Geldwäsche, Schmuggel, Produkt- und Markenpiraterie und eben Steuerhinterziehung aktiv. Und in diesem Bereich sei die Zollverwaltung sehr schlecht aufgestellt, kritisiert Frank Buckenhofer von der Bezirksgruppe Zoll in der Gewerkschaft der Polizei. "Der Zoll begreift seine Kriminalitätsbekämpfung nicht als Polizeiaufgabe, sondern formuliert es als Annex zur Steuererhebung." Die Zöllnerinnen und Zöllner hätten im Alltag mit unzureichenden Datenzugängen und einer miserablen Datenlage zu kämpfen, sagt der Gewerkschafter. "Die Bundesregierung kann ja nicht mal sagen, aus welchen Ermittlungsverfahren heraus die Schäden entstehen."

Dabei gab es im ersten Corona-Jahr Entwicklungen, die auch zollrechtlich relevant sein könnten. Menschen konnten einerseits kaum reisen, führten also kaum Waren ein; andererseits bestellten sie deutlich mehr im Internet und damit auch im Ausland. In der Antwort nimmt das BMF auf diese Umstände aber keinen Bezug, sondern erklärt lediglich, dass eine statistische Erfassung von Abgabenhinterziehung im Zusammenhang mit der Pandemie nicht erfolge. Die Generalzolldirektion ergänzt auf Anfrage: "Insofern wäre eine Bewertung der aus den Tabellen ersichtlichen Schwankungen statistischer Werte nicht seriös durchführbar."

Allgemein sind Schwankungen in Kriminalitätsstatistiken auf Bundes- und Länderebene normal. Wenn in einer Behörde ein riesiger Ermittlungskomplex mit vielen Beschuldigten und Einzeltaten bearbeitet und erfasst wurde, zeigt die Statistik für das Jahr einen Ausreißer nach oben. Daher erstellen das Bundeskriminalamt und seine Länder-Pendants zu bestimmten Kriminalitätsformen Lagebilder. Fallzahlen werden in Zeitreihen betrachtet, Ermittlungskomplexe berücksichtigt, Tendenzen, wenn möglich, benannt. Frank Buckenhofer sagt dagegen, "der Zoll sammelt zwar viele Daten, schafft damit aber bisher kein taugliches Kriminalitätslagebild". Es gebe allein vier Datenbanken, in denen die Kontrollbeamten und Fahnder Straftäter erfassen - die Systeme seien aber nicht vernetzt.

"Armutszeugnis für die Regierung"

In der Konsequenz kann das BMF die eigentlich gestellte Frage nicht beantworten. Markus Herbrand, Obmann im Finanzausschuss, sieht darin ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Steuerhinterziehung sei eine Straftat auf Kosten des Gemeinwohls, der Kampf der Zollbeamten dagegen mühsam, die Organisationsstruktur im Zoll ineffizient und überlastet. "Hieran wird deutlich, dass der Zoll das ungeliebte Stiefkind der Politik ist, bei dem es sich doppelt lohnen würde, mehr Unterstützung zu zeigen: für die Arbeitsbedingungen der Zöllnerinnen und Zöllner, wie für den Staatshaushalt", sagt Herbrand.

Dabei wäre es interessant gewesen zu wissen, ob die pandemiebedingten Einschränkungen Steuerstraftaten begünstigten oder ihre Bekämpfung erschwerten. Denn Probleme gab es für viele Ermittler, etwa die Steuerfahnder der Finanzbehörden. Durchsuchungen wurden zum Beispiel wegen fehlender Schutzkleidung auf Anordnung der Amtsleitung verschoben oder vorübergehend ganz ausgesetzt. Und auf relevante Daten konnten die Beamten aus dem Home-Office nicht zugreifen, weil die IT-Infrastruktur dafür nicht sicher genug war.

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