Süddeutsche Zeitung

Kriminalität in der Lebensmittelbranche:Mozzarella von der Mafia

Mit der Krise in Italien wächst auch die Wirtschaftskriminalität. Das Geschäft der Mafia mit Lebensmitteln und Landwirtschaft blüht. Aus den Paten sind kluge Unternehmer geworden.

Von Ulrike Sauer, Rom

"Wer sich gegen uns stellt, bekommt ein paar Probleme. In Marsala entscheiden wir, zu welchem Preis die Melonen verkauft werden." Hinter den Melonen, von denen der belauschte Unternehmer spricht, verbergen sich weder Drogen noch Waffen. Massimo Sfraga brüstete sich am Telefon, das von den sizilianischen Staatsanwälten abgehört wurde, tatsächlich seiner Macht im Handel mit den süßen Feldfrüchten. Ob die Bauern ihre Ernte für zehn Cent oder einen Euro loswerden, entscheide er. "Wir können sie zu jedem Preis verkaufen. Von 1000 Melonen-Reihen in Marsala gehören 800 uns", prahlte Sfraga, der Verbindungen zur Familie des inhaftierten Mafia-Bosses Toto Riina verdächtig ist. Die kleinen Erzeuger müssen ihre Melonen zu dem Preis verkaufen, den die Gebrüder Sfraga festlegen. Konkurrenz? Gibt es nicht.

Das Melonen-Kartell von Marsala ist kein Einzelfall. Italien steckt in der Krise, mafiöse Verbindungen haben leichtes Spiel. Alarmiert stellte die Justiz "eine durchdringende Infiltration der Mafia in das lokale Wirtschaftsgewebe" fest. Infolge ihrer Ermittlungen wurden in den vergangenen Jahren 90 Nahrungsmittelhersteller und 2500 Ländereien beschlagnahmt. Sogar die gefürchtetsten Bosse haben im Essen einen interessanten Geschäftszweig entdeckt.

Bei Matteo Messina Denaro, dem seit 20 Jahren flüchtigen obersten Paten der sizilianischen Cosa Nostra, den das amerikanische FBI als einen der gefährlichsten Rauschgifthändler der Welt sucht, legten die Anti-Mafia-Jäger landwirtschaftliche Firmen, bäuerliche Urlauberherbergen und Supermärkte lahm. Der berüchtigte Camorra-Clan Casalesi, dessen wirtschaftskriminelle Machenschaften von dem Schriftsteller Roberto Saviano im Bestseller "Gomorrha" enthüllt wurden, ist in seinen Hochburgen nördlich von Neapel im Geschäft mit Büffelmozzarella besonders aktiv. In Kalabrien beschlagnahmte die Polizei Anlagen der 'Ndrangheta zur grünen Stromerzeugung.

Und so ist es kein Zufall, dass die Justizbehörden das größte und wertvollste Landgut nicht im mafiaverseuchten Süditalien fanden, sondern in der Toskana. Nahe der wohlhabenden Hügelstadt Siena investierte die Familie Graviano, die ihr Schreckensregime über das Viertel Brancaccio in Palermo führt, Einnahmen aus der Schutzgelderpressung und dem Drogenhandel in das Gut Suvignano in Monteroni d'Arbia. Es umfasst 713 Hektar Land für Korn- und Gerstenanbau, Olivenhaine, Wälder, 13 Gutshäuser, eine herrschaftliche Villa, ein Jagdrevier, 200 Schweine und 2000 Schafe. Suvignano belegt: Die Mafia leitet ihr unerschöpfliches Kapital zur Geldwäsche auch in die Landwirtschaft im Norden.

14 Milliarden Umsatz aus der Landwirtschaft

Die Folge: Der Umsatz der Agro-Mafia ist in den vergangenen beiden Jahren um zwölf Prozent auf 14 Milliarden Euro gestiegen. Diese Bilanz zog ein 215 Seiten umfassender Bericht, den der Bauernverband Coldiretti in Zusammenarbeit mit dem römischen Forschungsinstitut Eurispes erstellt hat. "Die Nahrungsbranche ist zur neuen Quelle mafiöser Bereicherung geworden", stellen die Forscher in der ersten Studie über Lebensmittel-Kriminalität fest.

Sie stützen sich auf Ermittlungsergebnisse der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, Carabinieri, Finanzpolizei, Zoll und Gesundheitsbehörden. Ihre Erkenntnis: Trotz der notorischen Ertragsschwäche der Nahrungsbranche regt das Agrargeschäft verstärkt den Appetit der Mafiosi an. Auch in der Gastronomie verschärft die Mafia ihre Kontrolle. Am Mittwoch hob die römische Polizei einen Ring der Camorra-Familie Contini aus, der in der Altstadt zwischen Piazza Navona, Pantheon und der Spanischen Treppe 22 Pizzerien, Restaurants und Bars betrieb. Bei der Razzia wurden 22 Verdächtige verhaftet und 100 Millionen Euro Vermögen beschlagnahmt.

Die Ermittler glauben, dass sie es im Schatten der Peterskuppel nicht mehr mit klassischen Waschsalons für Drogengelder zu tun haben. Die Clans agierten inzwischen als Investoren für angeschlagene Betriebe. Sie verfügen über das, was dem Staat und den Firmen fehlt: Geld. Sie nutzen die Notlage vieler Erzeuger aus, denen die Banken im Zuge der Kreditklemme die Finanzierung verweigern. Neu ist die Verflechtung von Mafia und Wirtschaft nicht. Aus den Bossen sind kluge Unternehmer geworden, die gezielt in die legale Wirtschaft investieren.

Nun bereichern sie sich auch am weltweiten kulinarischen Erfolg Italiens. "Am großen Geschäft mit dem Essen nehmen neue Akteure teil", schreibt Coldiretti. Das organisierte Verbrechen sei in der Lage, Geschäftspläne aufzustellen, Beziehungen zum Banksystem und zum Großhandel zu knüpfen und sogar politische Entscheidungen und die Arbeit der Sicherheitskräfte zu beeinflussen.

Das jahrelange Bemühen um Transparenz und den Schutz der Qualität von Lebensmitteln sei gefährdet, fürchtet der Agrarverband. Die Folge: ein neuer Wirtschaftskrieg. Kriminelle gegen gewissenhafte Erzeuger, die sich der Herstellung unverfälschter Lebensmittel widmen. So muss der Orangenbauer, der sich nicht gefügig machen lässt, mancherorts das Zeug zum Helden haben. Der Wettbewerb bleibt auf der Strecke.

Um die gesamte Produktionskette vom Acker bis zum Supermarktregal in den Griff zu bekommen, setzt die Agro-Mafia zwei Methoden ein: Sie tritt als Schutz- und Erpressungsmacht auf, um die Kontrolle von Unternehmen an sich zu reißen. Zudem bringt sie sich als Scharnier zwischen den Erzeugern und den Verbrauchern in Stellung. Wie tief die Landwirtschaft bereits infiltriert wurde, offenbarte ein Schlag gegen die Gemüse-Mafia. 2010 ließen die italienischen Mafia-Jäger in Fondi ein Verbrecherkartell hochgehen, das den dortigen Großmarkt für Obst und Gemüse beherrschte. Der Umschlagplatz auf dem Weg von Rom nach Neapel gehört zu den wichtigsten in Europa. Über Fondi wird der Norden mit Früchten und Gemüse aus dem Süden versorgt. Zu der Großrazzia rückte die Polizei mit 70 Haftbefehlen aus.

In seltener Eintracht hatten kampanische Camorristi des Casalesi-Clans und sizilianische Mafiosi ein Handelsmonopol errichtet, das sich von den Großmärkten in Vittoria auf Sizilien über Fondi im Latium bis nach Mailand erstreckte. Erzeugerkooperativen, illegale Erntehelfer, Spediteure, Verpackungshersteller, Marktstände - das Kartell kontrollierte jede Stufe des Milliardengeschäfts. Erdbeeren wurden aus Vittoria Hunderte Kilometer nach Fondi gekarrt, verpackt und von dort zurück in den Süden oder nach Mailand geschickt. Den Preis diktierten die Bosse.

So ändern sich die Zeiten. Als Anfang der Achtzigerjahre FBI-Chef Louis Freeh und der palermitanische Staatsanwalt Giovanni Falcone nach einer legendären Ermittlungsarbeit die Pizza Connection hochgehen ließen, dienten die Pizzerien in New Jersey dem Ring von Heroinhändlern nur als Deckung. Das Erstarken der Agro-Mafia ist heute Beleg einer Mutation: Die bewaffneten Banden von gestern sind ziemlich geräuschlos in die Wirtschaft gekrochen. Als Italiens Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft das Parlament in Rom über das kriminelle Interesse an der Lebensmittelbranche informierte, hob sie die "erstaunliche Modernisierungskraft" der Clans hervor. Diese reagierten prompt auf wirtschaftliche Entwicklungen.

Zurück zu den Wurzeln

Wirklich neu ist die Landlust nicht. Vielmehr kehrt die Mafia zu ihren Wurzeln zurück. Sie hat ihre Ursprünge auf Siziliens Latifundien des 19. Jahrhunderts. Seit 200 Jahren erpressen die Mafiosi die Bauern, stehlen Vieh und zünden Felder an. Heute reicht die Macht der bösen Buben bis ins Ladenregal. Auf Sizilien könne keine Supermarktkette ohne die Unterstützung der Cosa Nostra entstehen, sagte der reuige Mafioso Nino Giuffrè aus. Große Sorge bereitet Italiens Bauernverband die Produktpiraterie. Auf sechs Milliarden Euro schätzt man den Gesamtwert gefälschter italienischer Lebensmittel. Oft verbergen sich hinter italienisch klingenden Namen Waren aus dem Ausland, die mit den italienischen Originalprodukten wenig gemein haben.

Besonders betroffen sind Olivenöl, Tomatenkonserven und Molkereierzeugnisse. Bei Neapel kamen Behörden skrupellosen Betrügern in der Mozzarella-Herstellung auf die Spur. Um die Brucellose-Erkrankung von Büffelkühen zu vertuschen, spritzten sie befallenen Tieren vor der Veterinärkontrolle starke Dosen eines Impfstoffs. Der ansteckende Brucellose-Erreger war so für einige Stunden nicht nachweisbar. "Sogar die Wissenschaft arbeitet heute für die Agro-Mafia", sagte der neapolitanische Staatsanwalt Donato Ceglie bei der Vorstellung des Coldiretti-Berichts.

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SZ vom 25.01.2014
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