Die Ermittler glauben, dass sie es im Schatten der Peterskuppel nicht mehr mit klassischen Waschsalons für Drogengelder zu tun haben. Die Clans agierten inzwischen als Investoren für angeschlagene Betriebe. Sie verfügen über das, was dem Staat und den Firmen fehlt: Geld. Sie nutzen die Notlage vieler Erzeuger aus, denen die Banken im Zuge der Kreditklemme die Finanzierung verweigern. Neu ist die Verflechtung von Mafia und Wirtschaft nicht. Aus den Bossen sind kluge Unternehmer geworden, die gezielt in die legale Wirtschaft investieren.
Nun bereichern sie sich auch am weltweiten kulinarischen Erfolg Italiens. "Am großen Geschäft mit dem Essen nehmen neue Akteure teil", schreibt Coldiretti. Das organisierte Verbrechen sei in der Lage, Geschäftspläne aufzustellen, Beziehungen zum Banksystem und zum Großhandel zu knüpfen und sogar politische Entscheidungen und die Arbeit der Sicherheitskräfte zu beeinflussen.
Das jahrelange Bemühen um Transparenz und den Schutz der Qualität von Lebensmitteln sei gefährdet, fürchtet der Agrarverband. Die Folge: ein neuer Wirtschaftskrieg. Kriminelle gegen gewissenhafte Erzeuger, die sich der Herstellung unverfälschter Lebensmittel widmen. So muss der Orangenbauer, der sich nicht gefügig machen lässt, mancherorts das Zeug zum Helden haben. Der Wettbewerb bleibt auf der Strecke.
Um die gesamte Produktionskette vom Acker bis zum Supermarktregal in den Griff zu bekommen, setzt die Agro-Mafia zwei Methoden ein: Sie tritt als Schutz- und Erpressungsmacht auf, um die Kontrolle von Unternehmen an sich zu reißen. Zudem bringt sie sich als Scharnier zwischen den Erzeugern und den Verbrauchern in Stellung. Wie tief die Landwirtschaft bereits infiltriert wurde, offenbarte ein Schlag gegen die Gemüse-Mafia. 2010 ließen die italienischen Mafia-Jäger in Fondi ein Verbrecherkartell hochgehen, das den dortigen Großmarkt für Obst und Gemüse beherrschte. Der Umschlagplatz auf dem Weg von Rom nach Neapel gehört zu den wichtigsten in Europa. Über Fondi wird der Norden mit Früchten und Gemüse aus dem Süden versorgt. Zu der Großrazzia rückte die Polizei mit 70 Haftbefehlen aus.
In seltener Eintracht hatten kampanische Camorristi des Casalesi-Clans und sizilianische Mafiosi ein Handelsmonopol errichtet, das sich von den Großmärkten in Vittoria auf Sizilien über Fondi im Latium bis nach Mailand erstreckte. Erzeugerkooperativen, illegale Erntehelfer, Spediteure, Verpackungshersteller, Marktstände - das Kartell kontrollierte jede Stufe des Milliardengeschäfts. Erdbeeren wurden aus Vittoria Hunderte Kilometer nach Fondi gekarrt, verpackt und von dort zurück in den Süden oder nach Mailand geschickt. Den Preis diktierten die Bosse.
So ändern sich die Zeiten. Als Anfang der Achtzigerjahre FBI-Chef Louis Freeh und der palermitanische Staatsanwalt Giovanni Falcone nach einer legendären Ermittlungsarbeit die Pizza Connection hochgehen ließen, dienten die Pizzerien in New Jersey dem Ring von Heroinhändlern nur als Deckung. Das Erstarken der Agro-Mafia ist heute Beleg einer Mutation: Die bewaffneten Banden von gestern sind ziemlich geräuschlos in die Wirtschaft gekrochen. Als Italiens Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft das Parlament in Rom über das kriminelle Interesse an der Lebensmittelbranche informierte, hob sie die "erstaunliche Modernisierungskraft" der Clans hervor. Diese reagierten prompt auf wirtschaftliche Entwicklungen.
Zurück zu den Wurzeln
Wirklich neu ist die Landlust nicht. Vielmehr kehrt die Mafia zu ihren Wurzeln zurück. Sie hat ihre Ursprünge auf Siziliens Latifundien des 19. Jahrhunderts. Seit 200 Jahren erpressen die Mafiosi die Bauern, stehlen Vieh und zünden Felder an. Heute reicht die Macht der bösen Buben bis ins Ladenregal. Auf Sizilien könne keine Supermarktkette ohne die Unterstützung der Cosa Nostra entstehen, sagte der reuige Mafioso Nino Giuffrè aus. Große Sorge bereitet Italiens Bauernverband die Produktpiraterie. Auf sechs Milliarden Euro schätzt man den Gesamtwert gefälschter italienischer Lebensmittel. Oft verbergen sich hinter italienisch klingenden Namen Waren aus dem Ausland, die mit den italienischen Originalprodukten wenig gemein haben.
Besonders betroffen sind Olivenöl, Tomatenkonserven und Molkereierzeugnisse. Bei Neapel kamen Behörden skrupellosen Betrügern in der Mozzarella-Herstellung auf die Spur. Um die Brucellose-Erkrankung von Büffelkühen zu vertuschen, spritzten sie befallenen Tieren vor der Veterinärkontrolle starke Dosen eines Impfstoffs. Der ansteckende Brucellose-Erreger war so für einige Stunden nicht nachweisbar. "Sogar die Wissenschaft arbeitet heute für die Agro-Mafia", sagte der neapolitanische Staatsanwalt Donato Ceglie bei der Vorstellung des Coldiretti-Berichts.