Krim-Krise und Marktwirtschaft:Schluss mit dem Rückzug aus der Wirtschaft

Botschaft der Russischen Föderation in Berlin

Das Gebäude der Botschaft der Russischen Föderation spiegelt sich in einer Berliner Pfütze.

(Foto: dpa)

Die Bundesregierung straft Russland als Reaktion auf die Krim-Krise mit Sanktionen. Doch die beeindrucken in der globalisierten Welt niemanden, weil sich der Staat in vielen Bereichen längst aus der Wirtschaft verabschiedet hat. Das rächt sich nun.

Ein Kommentar von Michael Kuntz

Die Krim-Krise zeigt es. Eine Drohung mit wirtschaftlichen Sanktionen beeindruckt in einer globalisierten Welt niemanden mehr sonderlich. Klugerweise bleibt die Kanzlerin in dieser Frage sehr allgemein. Ja, der Staat kann verhindern, dass der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall ein Ausbildungs-Camp an die russische Armee liefert, ausgerechnet jetzt. Keine Waffen, das geht gerade noch. Doch aus anderen Bereichen der Wirtschaft hat sich der Staat längst verabschiedet. Mit der Folge, dass die Regierung Anordnungen besser gleich bleiben lässt. Das Bundeskabinett ist nicht weisungsbefugt gegenüber privaten Unternehmen. Manager hören auf Kunden und Investoren, nicht auf Minister.

Rächt sich jetzt der Rückzug des Staates aus der Rolle des Unternehmers in der Wirtschaft? Ist zu viel privatisiert worden? Kann der Staat noch die gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen seiner Bürger wirkungsvoll vertreten? Wissen Wähler noch, was Gemeinwohl ist?

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es wirtschaftspolitischer Konsens, die für jedermann wichtige Energieversorgung durch staatliche Unternehmen sichern zu lassen. Gelegentlich einstürzende Kohlestollen an der Ruhr und riesige Badeseen in Braunkohlerevieren zeugen davon. Vielleicht gab es das deutsche Wirtschaftswunder nicht nur wegen des Volkswagens, sondern auch weil Verlass darauf war, dass sich der Staat um eine vielleicht nicht immer billige, aber stets zuverlässige Energieversorgung kümmerte. RWE mit seinen vielen kommunalen Aktionären ist ein Relikt aus dieser Zeit.

Das freie Spiel der freien Märkte funktioniert eben nicht überall

Das ging drei Jahrzehnte so, und zwar ganz gut, Deutschland wurde Exportweltmeister. Dann führte in den Achtzigerjahren der neoliberale Glaube an funktionierende Märkte zur Neubestimmung staatlicher Aufgaben. Unternehmerisches Handeln des Staates gehörte dazu jedenfalls nicht mehr. Was ging, wurde privatisiert.

Wettbewerbsordnungen für die liberalisierten Wirtschaftszweige sollten verhindern, dass an die Stelle staatlicher Unternehmen private Oligopole traten. Auch bei der Privatisierung und Liberalisierung brachten es die Deutschen zu einer Art Weltmeisterschaft. Die Franzosen etwa denken bis heute keineswegs daran, etwas politisch so Wichtiges wie die Energieversorgung zu privatisieren.

Das freie Spiel der freien Märkte funktioniert eben nicht überall. Im Gegenteil: Es gibt immer mehr Ausnahmen. Sonst dürfte es nämlich auch in der Europäischen Union keine Agrarsubventionen mehr geben. Sonst hätten die USA ihre Autoindustrie nicht retten dürfen. Das alles gipfelt in der kommunistischen Planwirtschaft von China. Die deutschen Marktliberalen begegnen nun auch in Russland einem zwar formal veränderten Wirtschaftssystem mit dem Kreml als weiterhin entscheidendem Gesprächspartner. Es ist fast wie früher.

Es sind Fragen von neuer Aktualität

Zentralverwaltungswirtschaften auf der einen, international agierende Großunternehmen auf der anderen Seite - da bleibt wenig Einfluss für die demokratisch gewählten nationalen Regierungen der westlichen Industriestaaten.

Deren gegenwärtige Agonie wirft alte Fragen auf. Nehmen wir zu viel Rücksicht auf privatwirtschaftliche Belange? Brauchen wir auch in der deutschen Wirtschaft wieder mehr Staat? Es sind Fragen von neuer Aktualität, und sie gehen nicht nur an sozialdemokratische Politiker.

Bereits die globale Finanzkrise 2008 hat hinsichtlich der Rolle des Staates in der Wirtschaft eine Trendwende markiert. Der Staat durfte zahlen, hatte zunächst wenig zu sagen. Heute scheint im Energiebereich beim Thema Wasserversorgung eine Grenze erreicht zu sein, wo von den gewählten Politikern mehr erwartet wird als das Verfüllen von Finanzlücken in öffentlichen Etats mithilfe von Erlösen aus dem Verkauf einer von der Bürgerschaft finanzierten Infrastruktur.

Zu viel Staatsdirigismus bringt allerdings auch nichts

Zu viel Staatsdirigismus bringt allerdings auch nichts. Das zeigt die Krim-Krise ebenfalls. Frankreichs Präsident Hollande hatte Putin gewarnt vor einer unnützen und gefährlichen Eskalation. Die Annexion der Krim durch Russland kam Tage später trotzdem. Alleingänge bringen nicht mehr viel in einer Wirtschaftswelt, in der alles verflochten ist. In der russische Unternehmen deutsche Gasspeicher kaufen und deutsche Anteile an sibirischen Gasfeldern.

Wohin übertriebenes Streben nach wirtschaftlicher Autarkie führen kann, zeigt das Beispiel Argentinien. Wer sich ausklinkt und ausländische Investoren nachhaltig verschreckt, muss mit den Folgen leben: Das Land verfügt zwar über Bodenschätze, muss jedoch Energie teuer einführen. Sich einfach mal so aus der globalisierten Wirtschaft zu verabschieden, es ist nicht mehr möglich.

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