Süddeutsche Zeitung

Krieg um Patente für Smartphones:Wer hat's erfunden?

Nicht nur der Preis entscheidet darüber, welche Produkte es zum Kunden schaffen: Im Geschäft mit modernen Smartphones und Tablet-Computern herrscht ein milliardenschwerer Krieg um Patente. Google, Apple und zahllose Wettbewerber zerren sich wechselseitig vor Gericht - und klagen sich ihre Marktmacht herbei.

Katharina Heckendorf

Mit solchen Summen hatte keiner gerechnet: 12,5 Milliarden Dollar bietet Google für Motorolas Handysparte und deren 17.000 Patente. 4,5 Milliarden Dollar zahlte kurz zuvor bereits ein Konsortium um Microsoft und Apple für Patente des gescheiterten Netzwerkkonzerns Nortel. Und auch diese Nachricht passt ins Bild: der Elektronikhersteller Samsung darf seinen Tablet-Computer in Deutschland nicht verkaufen, weil er Apples iPad zu ähnlich sieht.

Im Geschäft mit Mobilgeräten herrscht Krieg um Patente und Geschmacksmuster. Apple gegen Samsung, Microsoft gegen Motorola, Google gegen Oracle. Praktisch alle Beteiligten überziehen sich gegenseitig mit Klagen, wie diese Grafik zeigt.

Allein in Deutschland ist jedes dritte verkaufte Handy mittlerweile ein Smartphone, auch das Geschäft mit Tablet-Computern wächst. Im Kampf um Marktanteile sind Patente für die Hersteller zu einer strategischen Waffe geworden. In einem Smartphone stecken schätzungsweise 250.000 Patente. Jedes neue Produkt bietet damit eine riesige Angriffsfläche für Juristen.

"Gekämpft wird um einen Markt im dreistelligen Milliardenbereich, der aus dem immer stärkeren Zusammenwachsen von drei früher unabhängigen Branchen hervorgeht: Mobilfunkgeräte, Computerhardware und -software", sagt der Patentexperte Florian Müller. Einige wenige Konzerne bündeln mittlerweile alle drei Geschäfte bei sich - und damit auch die Hoheit über wichtige Patente.

Ihren Wettbewerb tragen sie vielfach nicht mehr über den Preis aus: stattdessen nutzen sie Patente und Geschmacksmuster, um sich gegenseitig zu blockieren. "Je mehr Smartphonenutzer es gibt, desto wichtiger werden die Patente", sagt der britsche Analyst Ronan Derenesse vom Marktforschungsunternehmen Screen Digest. Auf juristischem Wege kann ein Unternehmen so seinen Konkurrenten im Extremfall die Nutzung einer Idee oder Technologie verbieten.

Weist ein Unternehmen einem Wettbewerber nach, dass er Patente verletzt, kann es Lizenzgebühren verlangen. In machen Fällen ist das schon allein aufgrund der so zu erwartenden Einnahmen attraktiv: So muss etwa HTC für jedes verkaufte Handy mit dem Google-Betriebssystem Android Lizenzgebühren an den Rivalen Microsoft zahlen. "Sollte sich der Trend fortsetzen, könnte Microsoft bald mit Lizenzgebühren mehr verdienen als mit dem eigenen Handy-Betriebssystem Windows Phone 7", sagt Analyst Derenesse. Zugleich greift der Patent-Eigner bei seinen Wettbewerbern so direkt in die Preisgestaltung ein. Vor allem Produzenten aus dem Niedrigpreis-Segment leiden darunter, denn bei ihnen fallen die Gebühren umso stärker ins Gewicht.

Neben Patenten auf technische Features der Geräte haben Unternehmen häufig noch einen weiteren Angriffpunkt: das - in Deutschland als Geschmacksmuster geschützte - Design. Obwohl im Englischen Design-Patents genannt, sind Geschmacksmuster im deutschen Recht nur gewerbliche Schutzrechte. Sie verbieten es, Produkte herzustellen, die ähnliche Formen, Farben oder Designs wie Konkurrenzprodukte aufweisen - kurzum also genauso aussehen.

Das Beispiel Samsung zeigt: Im Extremfall können solche Produkte ganz vom Markt verbannt werden. Für die Kunden heißt das: Die Gerätehersteller verteidigen die hohen Preise. Und manche Produkte, wie im Falle des Galaxy Tabs, kommen erst gar nicht erst in den Verkauf. Apple wirft Samsung vor, mit dem Galaxy Tab 10.1 den Kultstatus des iPads auszunutzen.

Die Wahrscheinlichkeit, eine Patentklage erfolgreich durchzusetzen ist hoch. Nach Ansicht von Derenesse werden viele Patente zu leichtfertig vergeben. Allein das Patent- und Markenamt in München muss jährlich 60.000 Anträge prüfen - und dabei kontrollieren, ob eine Erfindung tatsächlich neu ist und gewerblich genutzt wird, wie es das Gesetz fordert. Dazu reicht es nicht, alte Anträge zu durchforsten - die Recherche muss tiefer gehen. "Da gibt es keine Datenbank, mit der sich das leicht prüfen lässt", sagt Patentexperte Müller. "Die Ämter haben schlichtweg zu wenig Zeit und sind überfordert." Erst vor Gericht würden die Patente dann genauer untersucht.

Diesen Patentzirkus und die damit verbundenen Kosten nehmen die großen Konzerne im Mobilgeschäft auf sich, weil diese Märkte enorm wachsen: Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Smartphone-Absatz weltweit um 73 Prozent, so die Ergebnisse des Markforschungsunternehmens Canalys. Allein im zweiten Quartal 2011 wurden 107,7 Millionen Stück ausgeliefert. Der Absatz von Smartphones in Deutschland hat um 36 Prozent auf 10,1 Millionen Stück zugelegt, wie der Telekomunikationsverband Bitkom veröffentlichte.

Weltweit laufen rund 43 Prozent der Smartphones mit Googles Android, im selben Quartal 2010 waren es noch 17 Prozent. Nokias System Symbian ist rückläufig und hat noch 22 Prozent Marktanteil. Apples iOS hat einen Anteil von etwa 18 Prozent, wie aus einer Untersuchung von Gartner hervorgeht.

Er wolle das "Ökosystem Android" vor den Konkurrenten Apple, Microsoft und Oracle schützen, begründete auch Google-Chef Larry Page die 12,5 Milliarden Dollar schweren Übernahmepläne für Motorolas Handysparte. Zuvor hatte Google schon versucht, Patente von Nortel zu kaufen, sich aber mit dem Gebot von 900 Millionen Dollar nicht gegen ein Konsortium durchsetzen können, das aus sechs Unternehmen um Apple, Microsoft und Sony besteht - und 4,5 Milliarden Dollar zu zahlen bereit war.

Für diesen Deal könnte es aber auch noch eine andere Erklärung geben: Florian Müller, der auf seinem Blog ausführlich über die gerichtlichen Auseinandersetzungen berichtet, hat da seine ganz eigene Interpretation: "Dieser Kauf dient Google als angenehmer Vorwand, von seiner eigentlichen Strategie abzulenken."

Mit Motorola an seiner Seite habe Google die Möglichkeit, künftig Handys zum Selbstkostenpreis zu verkaufen. Die Handyherstellung müsse keine Gewinne abwerfen, da der Onlinekonzern sein Geld mit Werbung verdiene. Müller ist der Meinung, das Patentportfolio des Handyherstellers sei wenig attraktiv. Schließlich stehen auch Motorolas Patente längst juristisch unter Feuer: Apple und Microsoft haben den neuen Google-Partner vergangenen Herbst vor Gericht geschleift. In beiden Verfahren gibt es noch kein Ergebnis. Rivale Samsung, dessen Handys ebenfalls mit Android laufen, kündigte nach Googles Kaufankündigung an, das eigene Betriebssystem Bada, das vor allem im asiatischen Raum vertrieben wird, weiter auszubauen.

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