Arbeitsmarkt:Wie eine Ukrainerin geflüchteten Frauen hilft

Arbeitsmarkt: Eine Jobmesse für ukrainische Geflüchtete in Berlin.

Eine Jobmesse für ukrainische Geflüchtete in Berlin.

(Foto: Christoph Soeder/picture alliance/dpa)

Keine eigene Wohnung, keine Kinderbetreuung, aber den großen Wunsch zu arbeiten: Zhanneta Thoering berät ukrainische Frauen bei der Jobsuche. Keine leichte Aufgabe.

Von Sonja Salzburger

Seit Russland ihr Heimatland angegriffen hat, trägt Zhanneta Thoering ihr dunkles Haar kurz. Das Föhnen kostet zu viel Zeit, es muss jetzt jeden Morgen schnell gehen, denn sie hat viel zu tun. "Wir sind im Krieg", sagt die 36-jährige Ukrainerin, und mit dem "wir" meint sie auch sich selbst, obwohl sie etwa 1450 Kilometer Luftlinie entfernt von ihrer Heimatstadt Odessa in einem Seminarraum im Münchner Norden sitzt. Vor ihr stehen Gebäck, Plätzchen und Kaffee, doch Thoering wird während des eineinhalbstündigen Gespräches nichts davon anrühren.

In Gedanken ist sie ständig bei ihren Eltern. Ihre Eltern leben noch in Odessa, und sie wollen weder ausreisen, noch können sie, da der Vater noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet hat. Thoering ist von morgens bis abends im Einsatz, um Menschen zu helfen, die es aus der Ukraine nach Deutschland geschafft haben. Als freiwillige Flüchtlingshelferin arbeitet sie in Erding und als Business Coach beim Bildungsanbieter GFN in München, wo sie Frauen berät, die einen Job suchen. Im Auftrag von GFN ist sie für Geflüchtete außerdem über eine kostenlose Telefonhotline deutschlandweit erreichbar und beantwortet deren Fragen. Zum Beispiel: Wie funktioniert das bürokratische System in Deutschland überhaupt? Wie kann ich so schnell wie möglich die Sprache lernen? Wo finde ich eine Betreuung für mein Kind? "Anfangs sind alle überfordert", sagt Thoering. "Und froh, wenn sie mit jemandem in ihrer Muttersprache sprechen können."

Nach einer Auswertung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind hierzulande bis Ende Juni fast 900 000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine registriert worden. Wie viele Menschen in andere EU-Staaten weitergereist oder bereits in die Ukraine zurückgekehrt sind, ist unklar. Fest steht: Ein erheblicher Teil hält sich immer noch in Deutschland auf und rechnet nicht damit, allzu schnell in die Heimat zurückkehren zu können. Rund 38 Prozent aller Kriegsflüchtlinge sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, 77 Prozent der Erwachsenen sind Frauen. Wer mit Thoering spricht, bekommt ein Bild davon, was diese Frauen gerade am meisten umtreibt.

Thoering hatte selbst einen schweren Weg in Deutschland

Thoering selbst kam vor mehr als zehn Jahren der Liebe wegen nach München. Kennengelernt hat sie ihren Mann in der Ukraine. Um sich als Studentin etwas dazuzuverdienen, hat Thoering damals Touristen durch Odessa geführt, mit einem Reisenden aus Deutschland ist sie seit 2008 verheiratet. Auch ohne Krieg hat sie hier einen schweren Start gehabt: Fast fünf Jahre dauerte die Anerkennung ihres Diploms in Philologie, bis dahin arbeitete sie im Nachtdienst bei der Post, wo auch ihr Mann beschäftigt ist. Das Geld war immer knapp. Nach drei Stunden Schlaf ist sie vormittags oft eineinhalb Stunden nach Unterhaching gefahren, um für eine Aufwandsentschädigung von zehn Euro Kinder im Volleyball zu trainieren. Bis ihre professionelle Schiedsrichterausbildung in Deutschland anerkannt wurde, habe es fast zehn Jahre gedauert, erinnert sich Thoering. Sie sagt: "Ich wünsche den Leuten, die jetzt kommen, dass sie einen einfacheren Weg haben als ich."

Arbeitsmarkt: Anfangs sind alle überfordert", sagt Thoering. "Und froh, wenn sie mit jemandem in ihrer Muttersprache sprechen können."

Anfangs sind alle überfordert", sagt Thoering. "Und froh, wenn sie mit jemandem in ihrer Muttersprache sprechen können."

(Foto: Sonja Salzburger/SZ)

Mit einem Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein vom Jobcenter oder der Bundesagentur für Arbeit können Geflüchtete aus der Ukraine beim Bildungsanbieter GFN ein kostenloses Coaching bekommen. In 16 Einzelunterrichtseinheiten à 45 Minuten erklärt Thoering ihnen dann zum Beispiel, wie sie in Deutschland Bewerbungen schreiben sollten, was sie tun müssen, damit ihre Berufsabschlüsse hier anerkannt werden, oder welche Weiterbildungen für sie infrage kämen. "Fast alle wollen Deutsch lernen oder lernen es bereits", sagt Thoering. Viele, die noch keinen Sprachkursplatz bekommen hätten, würden sich bei ihr nach Lehrbüchern erkundigen und alleine üben. Und die meisten seien bereit, jede Arbeit anzunehmen, die ihnen angeboten wird, um für ihre Kinder sorgen zu können und daheim gebliebene Verwandte finanziell zu unterstützen. "Wie gesagt, es ist Kriegszustand", sagt Thoering. "Im Krieg macht man das, was notwendig ist. Punkt."

Auch wenn die Frauen, die Thoering coacht, bei der Jobsuche keine hohen Ansprüche stellen, die meisten bereits eine Arbeitserlaubnis haben und damit schon einen großen Schritt weiter sind als bei ihrer Ankunft, können viele nicht einfach loslegen mit dem Geldverdienen. Plätze in Sprachkursen sind rar, aber das größte Problem seien nicht die fehlenden Deutschkenntnisse, sondern die Kinderbetreuung.

"Ich kenne bislang noch kein ukrainisches Kind, das einen Kindergartenplatz bekommen hat."

Beraten, das heißt manchmal auch: Erwartungen dämpfen. Thoering hat selbst erfahren, wie kompliziert die Kitaplatzsuche in München ist. Obwohl sie in München-Neuhausen wohnt, fährt sie mit ihrer zweijährigen Tochter jeden Morgen nach Erding, weil sie nur dort einen Betreuungsplatz gefunden hat. Schulkinder seien mittlerweile fast alle in sogenannten Willkommensklassen untergebracht, erzählt Thoering. "Aber ich kenne bislang noch kein ukrainisches Kind, das einen Kindergartenplatz bekommen hat."

Auch bei der Suche nach einer eigenen Wohnung kann sie den meisten nur wenig Hoffnung machen, vor allem, wenn sie in Großstädten leben. "Das ist fast unmöglich", sagt sie. "Das verstehen die Frauen auch." Sie selbst wohnt mit ihrem Mann und ihrem Kind in einem 1,5-Zimmer-Appartment und sucht seit Monaten erfolglos nach einer größeren Wohnung für ihre Familie. Die Geflüchteten, die sie berät, erzählt Thoering, müssten entweder in Lagern leben, sich eine Drei-Zimmer-Wohnung mit drei Familien teilen oder sie kommen bei Gastfamilien unter. Für die meisten Ukrainer sei letzteres die beste Option, ist Thoering überzeugt. Zu sehen, wie andere Menschen ihrem normalen Alltag nachgehen und nicht ständig aufschrecken, weil sie per Handy über den nächsten Bombenangriff in der Heimat alarmiert werden, tue ihnen gut. Aber Konflikte gebe es natürlich auch hier.

Vergangenes Wochenende sei sie mit ihrer Tochter auf einem Spielplatz in der Nähe ihrer Wohnung gewesen und habe dort eine andere ukrainische Mutter getroffen, deren Kinder waren zwei und vier Jahre alt, erzählt Thoering. Am Abend wollte sie nach Hause gehen, um ihre Tochter um acht ins Bett bringen zu können. "Da habe ich mich gewundert, warum die andere Mutter mit ihren Kindern nicht auch aufgebrochen ist und nachgefragt", erinnert sie sich. Die andere habe ihr daraufhin erzählt, dass sie bei einem älteren Ehepaar untergebracht sei, das nicht gewusst habe, wie laut es mit zwei Kleinkindern werden könne. Abends würden die beiden Senioren ihre Ruhe brauchen. Sie sei ihnen sehr dankbar für das Dach über dem Kopf. Aber jetzt harre sie eben täglich bis 22 Uhr auf dem Spielplatz aus, um ihre Gastgeber nicht zu stören. "Als sie mir das erzählt hat, hätte ich am liebsten losgeheult", sagt Thoering. "Sie sucht eine eigene Wohnung in München - aber sie hat keine Chance."

Wie aussichtslos die Wohnungssuche für viele Geflüchtete ist und wie lange der Krieg andauern wird, haben auch viele Deutsche unterschätzt, die als Gastfamilie Flüchtlinge bei sich aufgenommen haben. Jetzt trete eine komplizierte Phase ein, erklärt Thoering. "In der ersten Welle des Krieges war es ein Schock für alle, da haben viele Deutsche ihre Türen geöffnet", sagt sie. Doch langsam würden sich viele von ihnen danach sehnen, ihre Wohnungen und Häuser wieder für sich allein zu haben - eine schwierige Situation für die Geflüchteten, die spüren, dass sie ihre Gastgeber belasten. Thoering versteht auch die Deutschen. Irgendwann wollen die Familien halt zu ihrem Alltag zurückkehren, nicht täglich mit dem Krieg konfrontiert werden, sagt sie. "Aber der Krieg ist immer noch da."

Manchmal gibt es aber auch kleine Erfolgsgeschichten, die Thoering richtig glücklich machen. Neulich, erzählt sie, hatte sie einen Ukrainer am Telefon, der sich nach Deutschkursen erkundigt hat. Er und seine Frau seien schon über 70 und damit eigentlich zu alt für den deutschen Arbeitsmarkt. "Aber der ältere Mann hat am Telefon gesagt, er will trotzdem die Sprache lernen, damit er etwas Nützliches tun kann für dieses Land", sagt Thoering. Sie wurden von einem jungen deutschen Paar aufgenommen, das gerade ein Baby bekommen hat. "Die haben jetzt Ersatzgroßeltern."

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