Süddeutsche Zeitung

Kreuzfahrt nach den Costa-Unglücken:Eine Branche havariert

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Die Kreuzfahrt-Industrie war seit Jahren Erfolg und Wachstum gewöhnt. Dann kenterte die "Costa Concordia" und die "Costa Allegra" brannte. Auf der Touristikmesse ITB in Berlin herrscht nun Ungewissheit: Urlauber fragen häufiger nach Sicherheitsstandards und den Deutschkenntnissen der Besatzung. Und die Costa-Reederei denkt über einen Namenswechsel nach.

Michael Kuntz und Christoph Giesen

Die Reederei Costa ist nur sehr unauffällig präsent in Berlin auf der Touristikmesse ITB. Sie betreibt eine Lounge am Gemeinschaftsstand der Hafenstadt Hamburg - und keinen großen Messestand, wie er kürzlich in Stuttgart bei einer Veranstaltung kurz nach der Concordia-Havarie über Nacht wieder abgebaut wurde. "Die Costa-Leute wären ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie jetzt hier groß auftreten würden", sagt eine Ausstellerin in Berlin.

Die Halle 25 der Touristik-Messe mit den Anbietern von Kreuzfahrten sieht so ähnlich aus wie im vorigen Jahr, die Botschaft lautet: Alles ganz normal. Doch nach dem Kentern der Costa Concordia am 13. Januar und dem Brand auf der Costa Allegra kaum sechs Wochen später muss die jahrelang erfolgsverwöhnte Kreuzfahrt-Industrie beim weltweit größten Branchentreffen erstmals mit der Ungewissheit leben: Gehen die Buchungen in dem erfolgreichen Segment nur kurzfristig zurück? Gehen die überwiegend älteren Kreuzfahrer wieder sorglos an Bord immer größerer Schiffe? So wird es kommen, sagen viele Fachleute. Doch sicher ist das keineswegs. Ende März erscheinen die neuen Kataloge, dann wird sich zeigen, wie groß die Lust auf Kreuzfahrten noch ist.

Bis dahin macht sich die Branche Mut. Mitte Februar sagte Tui-Chef Michael Frenzel auf der Hauptversammlung in Hannover, er sehe "aktuell keine Anhaltspunkte für Auswirkungen auf unsere Buchungseingänge". Und auch Torsten Schäfer, der Sprecher des Deutschen Reiseverbandes gibt sich zuversichtlich. Natürlich, sagt er, werden die Deutschen weiter mit dem Kreuzfahrtschiff in Urlaub fahren. "Kurz nach dem Unglück gab es eine kleine Delle bei den Buchungen, aber inzwischen ist alles wieder beim Alten." Das Kreuzfahrtsegment werde im kommenden Jahr wachsen, prognostiziert Schäfer. "Die Frage ist nur, ob wir wie in den vergangenen Jahren zweistellig zulegen oder in diesem Jahr ein Wachstum im einstelligen Bereich haben werden."

Auch die Manager der führenden Reedereien bemühen sich, den Schaden zu begrenzen. Gleich nach der Havarie der Costa Concordia hatten Vertreter der Kreuzfahrtbranche bei einer Pressekonferenz in London auf ausgereifte Sicherheitsregeln hingewiesen, die zudem ständig aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Ähnlich klingen die meisten der Aussagen auf der ITB.

In der Branche setzt man darauf, dass die Kunden die Bilder von den beiden verunglückten Vergnügungsschiffen rasch verdrängen, die in den vergangenen Monaten rund um die Welt zu sehen waren. Sollte es nicht so kommen, wäre das ziemlich ungünstig für eine Industrie, die bis zu einer Milliarde Euro für ein Schiff investiert, auf dem bis zu 8500 Menschen Platz finden, die Passagiere und die Besatzung zusammengerechnet.

Im Kreuzfahrtgeschäft geht es um sehr viel Geld. Das komfortable Reisen in schwimmenden Hotelzimmern ist der am stärksten wachsende Bereich von allen Urlaubsarten. In den vergangenen fünf Jahren hat die Kreuzfahrt-Branche um mehr als ein Drittel zugelegt. Deutlich mehr als eine Million Deutsche machen pro Jahr eine Schiffsreise. Sie sind rechnerisch neun Tage unterwegs und geben dafür durchschnittlich 1700 Euro aus, das ist weit mehr als für einen Badeurlaub am Mittelmeer.

Viele Reisebüros haben sich daher auf dieses Segment spezialisiert. Es gilt als lukrativ auch für die Vermittler. Denn statt einer Seereise müssten sie sonst mehrere normale Pauschalreisen verkaufen. Für die Verkäufer von Kreuzfahrten fiel der Untergang der Costa Concordia genau in die Jahreszeit, in der sie normalerweise die meisten Reisen verkaufen.

Jetzt aber verlaufen viele Beratungsgespräche komplizierter, sagen Insider. Kunden fragen verstärkt nach den Sicherheitsstandards. "Das gab es so bisher nicht", sagt die Vertreterin einer Reederei, die selbst nur ein einziges kleines Hochseeschiff betreibt und nach den Unglücken nur ein paar Tage lang weniger Buchungen registrierte.

Viele Menschen fühlten sich jetzt auf kleineren Kreuzfahrtschiffen sicher, sagt sie, obwohl Fachleute keinen Zusammenhang zwischen Größe und Sicherheit eines Schiffes sehen. Etwas anderes kommt hinzu: Noch mehr als bisher legen die zu einem großen Teil über sechzig Jahre alten Kreuzfahrt-Gäste Wert auf Deutsch als Bordsprache, die auch in schwierigen Situationen problemlos funktioniert. Die Schiffsbetreiber reagieren durchaus auf das Unglück vor der toskanischen Küste. Mehrere Reedereien führen die vorgeschriebene Rettungsübung nicht mehr am ersten Tag auf See durch, sondern bereits vor der Abfahrt im Hafen.

Die Kreuzfahrtindustrie ist bemüht, den Schaden auf der Costa begrenzt zu halten. Als börsennotiertes Unternehmen muss die Muttergesellschaft Carnival Corporation nach dem Schiffsunglück die wirtschaftlichen Folgen abschätzen: Allein der Ausfall von Einnahmen könnte im Geschäftsjahr, das bis Ende November geht, etwa 75 Millionen Euro betragen. Die Buchungen seien um 15 Prozent rückläufig. Costa Crociere, die Reederei der Unfallschiffe, räumte einen Rückgang der Buchungen von 35 Prozent ein. Carnival ist der Branchenführer weltweit. Zu dem Konzern gehören die Marken Costa Crociere, Aida Kreuzfahrten und Iberocruceros. Costa Crociere ist die größte Kreuzfahrt-Reederei in Europa. Sie kam 2010 auf einen Umsatz von knapp drei Milliarden Euro und beförderte über zwei Millionen Passagiere. Costa-Chef Pier Luigi Foschi denkt bereits öffentlich über eine Änderung des Namens seiner Firma nach. Die Marke sei zerstört.

Zieht Costa jetzt die ganze Branche in einen Abwärtsstrudel? Geht der jahrelange Boom zu Ende? Der Kieler Tourismus-Wissenschaftler Martin Lohmann glaubt eher an technische Grenzen, die den Markt behindern könnten, beispielsweise überfüllte Häfen. Eine sinkende Nachfrage nach Schiffsreisen sieht er eher nicht. Der Wunsch, einmal eine Kreuzfahrt zu unternehmen, haben sehr viele Menschen: So planen dem auf der ITB vorgestellten ADAC-Reise-Monitor zufolge 4,6 Prozent der Deutschen in diesem Jahr eine längere Urlaubsreise an Bord eines Kreuzfahrtschiffes.

Das Risiko dabei ist statistisch gesehen gering. Von den hundert Millionen Menschen, die weltweit in den Jahren zwischen 2005 und 2010 an einer Kreuzfahrt teilgenommen haben, seien 16 Passagiere bei Unfällen ums Leben gekommen, teilte der Deutsche Reiseverband (DRV) mit. Das größte Unfallrisiko berge die Autofahrt zum Hafen - statistisch gesehen.

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Quelle:
SZ vom 08.03.2012
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