Kreditklemme und Schweinegrippe:Pure Panikmache

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Die Angst vor einer Kreditklemme ist genauso übertrieben wie die Angst vor der Schweinegrippe. Doch bei beiden geht es um viel Geld - um das der Steuerzahler.

H. Klodt

Im Nachhinein kann man sich doch ein wenig ärgern, wie sehr man sich von der Schweinegrippe hat nervös machen lassen. Eigentlich wussten wir ja, dass das H1N1-Virus nicht sonderlich gefährlich ist, sondern im Gegenteil zu den besonders harmlosen Grippe-Erregern zählt. Dass es gefährlich werden kann, wenn es in eine ungünstige Richtung mutiert, gilt schließlich für jedes andere Virus auch.

Die Pharmaindustrie brachte die Regierungen, Milliarden für überflüssige Impfdosen auszugeben. Auch auf den Kreditmärkten geht es um das Geld der Steuerzahler: für Bürgschaften und Haftungsfreistellungen, mit denen Banken die Kreditrisiken abgenommen werden. (Foto: Foto: ddp)

Wir hatte ja außerdem davon gehört, dass Argentinien - wo das Virus im dortigen Winter- und unserem Sommerhalbjahr umging - recht glimpflich davongekommen war. Dabei stand dort noch gar kein Impfstoff zur Verfügung. Viele Menschen plagt deshalb inzwischen das recht ungute Gefühl, auf eine gezielte Panikmache der Pharmaindustrie hereingefallen zu sein.

Was der Pharmaindustrie recht ist, sollte der Finanzwirtschaft billig sein. Niemand weiß so recht, ob wir eine Kreditklemme haben - und falls wir eine haben, wäre es schlimm. Deshalb sollte man, so heißt es, vorsorglich schon einmal einige Steuermilliarden bereitstellen, um die Kreditvergabe notfalls ankurbeln zu können.

Krankheitswelle der ganzen Wirtschaft

Vor allem aber, so heißt es weiter, dürfe man den Banken (denen es an den Boni gemessen schon wieder recht gut zu gehen scheint) keine restriktiven Regulierungen auferlegen. Denn das könne sie so schwächen, dass sie vielleicht gar keine Kredite mehr vergeben könnten. Die ganze Wirtschaft könne dann von einer Krankheitswelle erfasst werden, gegen die alle Schweinegrippen dieser Welt nur ein laues Lüftchen wären.

Zugegeben: Die Diagnose zum Zustand der Kreditmärkte ist nicht viel leichter, als sie es bei der Schweinegrippe war. Die Kreditkonditionen haben sich ohne Zweifel verschärft, und die Kreditvergabe insgesamt ist rückläufig. Die Schwierigkeit der Diagnose liegt darin, dass eine gewisse Verschlechterung der Konditionen und eine sinkende Kreditnachfrage durchaus übliche Begleiterscheinungen rezessiver Konjunkturphasen sind. Wenn sich im Zuge der allgemeinen Wirtschaftskrise die Absatz- und Gewinnaussichten eintrüben, dann werden zwangsläufig die Risikoaufschläge in den Kreditzinsen steigen und die Bonitätsprüfungen strenger.

Die maßgebliche Frage lautet aber, ob sich die Konditionen für die Kreditvergabe stärker verschlechtert haben, als allein aufgrund des Konjunktureinbruchs erklärbar wäre. Ist die Eigenkapitalbasis der Banken infolge der Finanzkrise so stark zusammengeschmolzen, dass sie derzeit auch solche Kredite verweigern müssen, die in "normalen" Rezessionsphasen problemlos ausgegeben worden wären?

Eindeutige Beweise für oder gegen eine solche These werden sich nie finden lassen. Aber es gibt einige Indizien. Eines der wichtigsten Anzeichen sind die Antworten deutscher Unternehmen auf die Frage, ob sie die Kreditvergabe als restriktiv empfinden. Nach Aussage des Ifo-Instituts in München antworten derzeit etwa 45 Prozent aller Unternehmen auf diese Frage mit Ja, während es zu Beginn des Jahres 2007 nur etwa 25 Prozent gewesen waren.

Der damalige Wert lag allerdings außergewöhnlich niedrig und der jetzige Wert von 45 Prozent entspricht ungefähr dem langjährigen Durchschnitt. Doch im Sommer 2003, als das Wort Kreditklemme in Deutschland noch weitgehend ein Fremdwort war, lag der Anteil der Ja-Antworten sogar bei 65 Prozent. Die Diagnose, dass es derzeit keine Kreditklemme in Deutschland gibt, wird auch von der Bundesbank geteilt. Anderer Ansicht sind dagegen Banken- und Wirtschaftsverbände.

Weltumspannende Medien-Pandemie

Ebenso wie bei der Schweinegrippe geht es um viel Geld. So wie die Pharmaindustrie in einer weltumspannenden Medien-Pandemie die Regierungen dieser Welt zur milliardenschweren Beschaffung von überflüssigen Impfdosen gebracht hat, so geht es auch diesmal wieder um das Geld der Steuerzahler.

Die Rede ist von Bürgschaften und Haftungsfreistellungen, mit denen Banken die Kreditrisiken abgenommen werden. Es geht auch um großzügig aufgestockte staatliche Exportversicherungen, um staatliche Betriebsmittel- und Bilanzkredite für Großunternehmen und um vieles mehr. Aus Sicht der Wirtschaft ist all dies natürlich hochwillkommen. Die Steuerzahler allerdings sollten sich fragen, ob es tatsächlich ihre Aufgabe ist, die Unternehmen von konjunkturell bedingten Verschlechterungen der Kreditkonditionen freizuhalten.

Mindestens so fragwürdig ist das Argument der Kreditklemme bei den Diskussionen um die Neuordnung der Finanzmärkte. Es muss derzeit vor allem zur Begründung dafür herhalten, weshalb man mit der Umsetzung der prinzipiell als notwendig erachteten verschärften Regulierungen noch warten sollte.

Soll das bedeuten, die neuen Regulierungen seien nur für wirtschaftlich günstige Zeiten tauglich, nicht aber für Krisenzeiten? Müssen künftig auch andere Finanzmarktregulierungen ausgesetzt werden, wenn die Wirtschaft in eine Rezession gerät und sich die Kreditkonditionen verschlechtern? Natürlich ist es nachvollziehbar, die Eigenkapitalanforderungen an die Banken nicht gerade jetzt pauschal heraufzusetzen, wo Engpässe in diesem Bereich besonders ausgeprägt sind.

Auch die Klagen über die prozyklischen Effekte von Basel II sind nachvollziehbar. Aber sollte man deshalb die gesamte Neuordnung der Finanzmärkte auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben? Könnte man nicht zumindest schon einmal mit einer besseren Regulierung der "Kreditersatzgeschäfte" beginnen? Eine Reduzierung der Anreize, sich auf diesen Feldern zu betätigen, könnte die Banken ja vielleicht sogar dazu veranlassen, sich stärker auf ihr eigentliches Kerngeschäft der Kreditversorgung zurückzubesinnen.

Wenn selbst das nicht gelingen sollte, dann hätte die Medien-Pandemie um die Kreditklemme dafür gesorgt, dass aus der jüngsten Finanzkrise letztlich gar keine Lehren gezogen würden - der Weg in die nächste Finanzkrise wäre vorgezeichnet. Hoffen wir, dass zumindest die Gesundheitsminister ihre Lektion gelernt haben und künftig nicht wieder so leicht auf die Panikmache von Interessengruppen hereinfallen.

© SZ vom 12.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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