Süddeutsche Zeitung

Kreditgeschäft:Angst vor dem Umschwung

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Firmen nutzen die noch gute Finanzierungslage, um vorzusorgen. Denn viele befürchten einen Konjunktureinbruch.

Von Christiane Kaiser-Neubauer

Die Unternehmen blicken noch verhalten positiv in die Zukunft, doch erste Vorboten des Umschwungs lassen sich am Finanzierungsmarkt erkennen. So verzeichnen 50 Prozent der Betriebe einen schlechteren Zugang zu Krediten als noch vor zwölf Monaten. Zu dem Ergebnis kommt der "Finanzierungsmonitor 2019" von TU Darmstadt und Creditshelf, eine Web-Plattform für Firmenkredite. Die Befragung wurde Ende 2018 bei 200 Finanzentscheidern aus mittelständischen Betrieben vorgenommen.

"Der Punkt, den die Öffentlichkeit nicht wahrnimmt und Privatanleger nicht spüren, ist, dass sich die Konditionen bei langfristigen Firmenkrediten bereits verteuert haben. Gerade Unternehmen mit schlechterer Bonität haben eine deutlich höhere Verzinsung zu tragen", sagt Studienautor Dirk Schiereck, Leiter des Fachgebiets Unternehmensfinanzierung an der TU Darmstadt. Der Anstieg liege bei mehr als einem halben Prozentpunkt. Nicht alle Branchen sind gleichermaßen betroffen. Das Dienstleistungsgewerbe stöhnt deutlich mehr als die produzierende Industrie. Hier verlangen Banken mehr Sicherheiten.

Anzeichen einer Veränderung sind auch bei großen Unternehmen mit guter Bonität zu beobachten. "Seit dem vierten Quartal 2018 ist deutlich spürbar, dass die großen Konzerne tendenziell ihre Zahlungsziele verlängern. Sie bauen Liquiditätspolster auf, um sich für schlechte Zeiten zu wappnen", sagt Michael Ritter, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Factoring für den Mittelstand (BFM). Dies habe wiederum Auswirkungen auf Zehntausende Zulieferer, die durch steigenden Liquiditätsdruck belastet sind. Die Nachfrage nach Alternativen zum klassischen Bankkredit wie Online-Kredite und Factoring, der Verkauf von Forderungen, steige gerade in dieser Zielgruppe. Laut einer BFM-Befragung kleiner und mittlerer Unternehmen in Deutschland ist jeder zweite Entscheider aktuell für sein Unternehmen an dieser Finanzierung interessiert.

Fest steht, einen Finanzierungsengpass gibt es für Unternehmen in Deutschland nicht. "Wir sehen keine Unterversorgung im Firmenkreditgeschäft, ganz im Gegenteil. Alle Banken engagieren sich derzeit sehr stark im Mittelstand", sagt Schiereck. Angeheizt wird der Wettbewerb unter den heimischen Banken, Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken zusätzlich durch ausländische Anbieter wie BNP Paribas, die in den Firmenkundenmarkt drängen. Ein Angebot, das auf starke Nachfrage trifft, wie die Zahlen der Förderbank KfW zum Kreditneugeschäft belegen. Konkret stiegen Firmenkredite an Unternehmen im dritten Quartal 2018 besonders stark um 9,6 Prozent im Vorjahresvergleich. Unternehmen nutzen die Gelegenheit, um sich Zwischenfinanzierungen und finanzielle Reserven zu den unverändert günstigen Bedingungen zu sichern. Da laut KfW die Investitionen nicht gleichermaßen mit dem Kreditgeschäft steigen, stärken die Unternehmen in Erwartung einer Zinswende ihrer Unabhängigkeit durch den Aufbau von Liquidität.

Die Unsicherheit durch geopolitische Risiken ist groß

Derzeit steigt auch die Unsicherheit bei Unternehmen und Finanzierern durch geopolitische Risiken. "Die gesamtwirtschaftliche Gemengelage, konkret die US-Strafzölle, der Brexit und die unsichere Situation in Italien, belasten die Wirtschaft", sagt Schiereck. Vor allem die Banken seien deswegen besorgt. Das kann gerade Exporteuren neue Finanzierungshürden bringen. Im Finanzierungsmonitor 2019 beklagen 47 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland, dass ihr Geschäft von den aktuellen globalen Handelsstreitigkeiten stark beeinflusst wird. Laut Factoring-Verband befürchten Unternehmen künftig auf offenen Rechnungen sitzen zu bleiben und so in finanzielle Schieflage zu geraten. "Seit der letzten Krise 2008/09 war ein Forderungsausfall für viele Firmen überhaupt kein Thema. Das hat sich nun gedreht. Welche Auswirkungen ein Handelskrieg mit den USA oder ein verlangsamtes Wachstum in China auf mich als Mittelständler hat, können viele nicht einschätzen", sagt Ritter. 39 Prozent der Befragten seien hinsichtlich eines großen Forderungsausfalls besorgt.

Generell betonen die Experten die Wichtigkeit einer strategischen Ausrichtung der Unternehmensfinanzierung im aktuellen Umfeld, gerade für mittelständische Betriebe ohne spezialisierte Finanzabteilung im Haus. "Besonders kleine Unternehmen agieren bei Finanzierungen oft anlassbezogen, was eine Umsatz- und Ergebnissteigerung belasten und im schlimmsten Fall hemmen kann", sagt Ritter. Laut BFM- Studie rechnen rund 70 Prozent der Entscheider fortan mit einer Zunahme der strategischen Bedeutung der Unternehmensfinanzierung. "Die Finanzierung muss so gestrickt sein, dass ein Unternehmen auch in einer Phase der konjunkturellen Eintrübung noch gut aufgestellt ist", sagt Schiereck. Er rät, sich gegenwärtig nicht zu sehr auf kurzfristige Kredite zu beschränken, sondern langfristig zu agieren und auf möglichst viele Säulen zu bauen.

Das schließe neben dem klassischen Bankkredit alternative Finanzierungspartner und -arten wie Factoring, Leasing und Fintechs ein. Optionen, die laut BFM-Studie im Mittelstand stark genutzt werden. 55 Prozent der Befragten zählen neben Eigen- und Fremdkapital auch Beteiligungen, Factoring und Leasing zur ausgewogenen Finanzierung. Gerade die gesetzlichen Vorgaben der Banken erweisen sich für viele kleine und mittelständische Betriebe als Hürde. "Wir haben einen aktuellen Fall, bei dem die Bank keine Finanzierung vergeben kann, weil die Bilanz 2017 noch nicht vorliegt. Wir können das, weil nicht das Unternehmen, sondern seine Debitoren unsere Kreditnehmer sind", sagt Ritter.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2019
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