Kredite:Im Kartenhaus

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Das Kreditkartengeschäft war in den USA ein Grund für die Eskalation der Krise. Deutsche Banken sehen es jedoch zunehmend als lukrative Einnahmequelle.

Marco Völklein

Was Udo Reifner von einer seiner jüngsten USA-Reisen zu berichten hat, lässt manchen schaudern. Für ein paar Tage schaute der Direktor des verbrauchernahen Instituts für Finanzdienstleistungen den Mitarbeitern einer Schuldnerberatungsstelle in New York über die Schultern. Da stehen dann, so berichtet Reifner, Menschen mit bis zu 16 verschiedenen Kreditkarten vor den Beratern. Sie sind völlig überschuldet, haben komplett den Überblick über ihre Finanzen verloren.

Deutsche Banken sehen das Geschäft mit Kreditkarten als lukrative Einnahmequelle. (Foto: Foto: ddp)

Die Erfahrungen der Schuldnerberater zeigen: Der Kreditkrise am US-Immobilienmarkt wird nun eine Kreditkrise am US-Kartenmarkt folgen. Zunächst konnten Millionen Amerikaner ihre Hypotheken nicht mehr bedienen. Nun können sie die Kreditkartenschulden nicht mehr begleichen.

US-Präsident Obama sieht sich nun gezwungen, den Verbrauchern beizustehen. Per Gesetz will er den Kartenanbietern untersagen, Zinsaufschläge willkürlich festzusetzen, unfaire Gebühren zu verlangen oder Minderjährigen Kreditkarten anzupreisen. Das Gesetz wird in den USA heftig diskutiert - nicht zuletzt deshalb, weil viele Amerikaner befürchten, schärfere Regeln könnten dazu führen, dass die Banken ihnen den Geldhahn zudrehen. Doch genau darum geht es. Das Leben auf Pump, es ist vorbei.

Teure Freiheit

Nun muss man wissen: Wer in den USA von Kreditkarten redet, der meint nicht genau das, was die Deutschen auf den Tisch legen, wenn sie zum Beispiel einen Mietwagen buchen. Die meisten in Deutschland benutzten Karten sind "unechte Kreditkarten". Sie erfüllen eine reine Zahlungsfunktion; mehr aber auch nicht. Die Bank zieht in der Regel nach vier Wochen den mit der Karte bezahlten Betrag übers Girokonto ein. Fertig. Damit entsteht nur in seltenen Fällen ein langfristiges Kreditproblem.

In den USA ist das anders: Dort nutzen die Menschen "echte Kreditkarten", bei denen die Darlehen über Monate, wenn nicht gar Jahre laufen. US-Bürger kaufen schon mal ein Haus für 600.000 Dollar und knallen die Karte auf den Tisch - "die Freiheit nehm' ich mir", so wie im TV-Spot eines Anbieters gezeigt.

Die Freiheit wird allerdings teuer: Bis zu 30 Prozent kostet ein Darlehen auf einer US-Kreditkarte. Das kann nicht jeder schultern. Ist die eine Karte am Limit, besorgt sich der Kunde die nächste, geht mit dieser Einkaufen, begleicht damit vielleicht eine Teilschuld der ersten Karte - und verliert so den Überblick. Die fatale Entwicklung bemerkten zuerst die Schuldnerberater.

US-Banken: Ausfälle von bis zu 60 Milliarden

Und nun die Institute selbst: Die US-Regierung hat errechnet, dass allein den 19 größten US-Banken bis Ende 2010 Ausfälle von bis zu 60 Milliarden Euro drohen könnten. Im Extremfall müssten Anbieter wie American Express, Bank of America und J.P. Morgan damit rechnen, dass bis zu 20 Prozent der Kartenkredite faul sind.

Umso schlimmer ist es, dass amerikanische Verhältnisse auch bald in Deutschland drohen könnten. Immer mehr Banken entdecken hierzulande die "echte Kreditkarte" als lukrative Einnahmequelle. Bei den Karten gleicht der Kunde jeden Monat nur einen Teil des geschuldeten Betrages übers Girokonto aus; der Rest bleibt stehen. Der kostet allerdings hohe Zinsen: Zum Teil kassieren die Banken 20 Prozent und mehr. Das sind fast schon amerikanische Dimensionen.

Schlimmer noch: Die Bundesregierung ist gerade dabei, eine EU-Norm umzusetzen und künftig nicht nur Banken die Herausgabe von solchen Karten zu gestatten, sondern auch Zahlungsdienstleister. Das würde bedeuten, dass den Bundesbürgern möglicherweise eine ganze Flut dieser neuartigen Karten angeboten wird. Verbraucherschützer fordern deshalb, die Anbieter zu stoppen und die neuen Regeln möglichst eng zu fassen. So könnte der Gesetzgeber beispielsweise vorschreiben, dass Kartenkredite spätestens binnen drei Monaten zurückgezahlt werden müssen.

Bislang will die Regierung davon nichts wissen: Der Gesetzentwurf sieht eine Frist von einem Jahr vor. Die Politik sollte aber auf die Bedenken Rücksicht nehmen. Ein kurzer Besuch bei den Schuldnerberatern in New York wäre womöglich lehrreich.

© SZ vom 12.05.2009/kaf/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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