In den Tagen vor dem Jahreswechsel werden etwa 54 Millionen Bundesbürger Post bekommen. Fast jedes Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse erhält einen Brief, und dieser Brief wiederum wird keine guten Nachrichten enthalten. Bis auf eine Handvoll werden alle Kassen im kommenden Jahr ihre Beiträge anheben. Die allermeisten Versicherten wird das je nach Einkommen 8,50 Euro oder weniger im Monat kosten. Andere müssen mit bis zu 25 Euro rechnen.
Die Kassen reagieren damit auf die steigenden Ausgaben im System. In diesem Jahr waren es vor allem die Aufwendungen für Medikamente, Kliniken und Krankengeld, die die Kosten nach oben trieben. 2016 und in den folgenden Jahren greifen Reformen der großen Koalition, die zu höheren Ausgaben führen. Die Kassen rufen deshalb nach Spargesetzen, die Parteien legen sich das Thema für den Bundestagswahlkampf 2017 zurecht. So wird in der SPD der Ruf lauter, die Vereinbarung mit der Union zu brechen und die Arbeitgeber an der Hälfte der Zusatzbeiträge zu beteiligen. Die werden derzeit alleine vom Bruttolohn der Arbeitnehmer abgezogen.
Konkret werden die beiden größten Kassen im Markt, die Techniker Krankenkasse (TK) und die Barmer/GEK, ihre Zusatzbeiträge 2016 um 0,2 Punkte anheben. Die beiden Branchenriesen peilen damit den Wert an, den der Schätzerkreis als Durchschnitt errechnet hatte. Die TK bleibt aber mit 15,6 Prozent billiger als die Barmer, die 15,7 Prozent fordern wird.
Die Wirkung des Zusatzbeitrags wurde entschärft
Doch es gibt auch Kassen, die deutlich mehr Geld verlangen müssen. Die Mitglieder der DAK beispielsweise dürften sich über den Brief ihrer Kasse definitiv nicht freuen. Sie hebt ihren Zusatzbeitrag um 0,6 Prozentpunkte an und nimmt dann 16,1 Prozent. Die DAK gehört damit in der Gruppe der Kassen, die im ganzen Bundesgebiet tätig sind, zu den teuersten. Angespannt beobachtet die Branche, wie viele Versicherte sich jetzt entschließen werden, die ohnehin angeschlagene DAK zu verlassen. Als grobe Faustformel gilt: Für jeden Zehntelpunkt höhere Beiträge gehen bis zu 1,5 Prozent der Versicherten.
Ob es auch diesmal so kommen wird, ist nicht ausgemacht. Einerseits hat die Politik die Wirkung des Zusatzbeitrags entschärft, weil er jetzt gleich vom Lohn abgebucht wird. Andererseits weicht der Beitrag der DAK deutlich vom Durchschnitt ab. Sie muss zudem wie alle Kassen, die um mehr als 0,2 Punkte anheben, ihre Mitglieder darauf hinweisen, dass es günstigere Kassen gibt und Beispiele nennen. Die Kasse zu wechseln ist einfach. Jedes Mitglied hat bei einer Beitragserhöhung ein Sonderkündigungsrecht und kann sich problemlos anderswo versichern.
Auch 2017 dürften die Beiträge kräftig steigen
Alternativen gibt es reichlich. Eine der günstigsten der im ganzen Bundesgebiet tätigen Kassen ist die HKK. Auch sie hebt ihren Zusatzbeitrag um 0,19 Punkte an, kommt damit aber lediglich auf 15,19 Prozent. Zu den billigsten Kassen gehören außerdem zwei Allgemeine Ortskrankenkassen - und zwar die AOK Plus (für Sachsen und Thüringen) und die AOK Sachsen-Anhalt. Beide bleiben bei 14,9 Prozent. Die AOK in Bayern will 15,7 nehmen. Die Ortskrankenkassen dürfen aber keine Versicherten aufnehmen, die außerhalb ihrer Bundesländer wohnen. Gleiches gilt auch für die baden-württembergische Metzinger BKK, die ganz ohne Zusatzbeitrag auskommt und 14,6 Prozent verlangt.
Die Entwicklung der Beiträge sind für die Branche ein Menetekel. War es in den vergangenen Jahren unter finanziellen Aspekten fast schon egal, wo man versichert war, spaltet sich das Feld wieder deutlich auf. Das ist erst der Anfang. Auch im Wahljahr 2017 dürften die Beiträge noch einmal kräftig steigen und die Schere zwischen armen und wohlhabenden Kassen deutlich auseinandergehen.
Die Regierung rechnet nicht mit einem Aufstand der Versicherten
Getrieben wird die Entwicklung von der Koalition. "Durch die teuren Reformen kommen bis 2020 Kostensteigerungen in Höhe von 16 Milliarden Euro auf die Kassen zu", warnt die Chefin des Verbandes der Ersatzkassen, Ulrike Elsner. Die Beiträge würden jährlich um 0,2 bis 0,3 Punkte steigen.
Der neue Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, glaubt zudem, dass die Ausgaben vor allem den Akteuren im Gesundheitssystem nutzen. "Es kann nicht sein, dass die Kassen 2016 elf Milliarden Euro mehr ausgeben müssen, ohne dass die Versicherten besser versorgt werden." Der Chef des BKK-Dachverbandes, Franz Knieps, fordert eine Reform der Finanzverteilung unter den Kassen, weil diese zu ungerechten Resultaten führe.
Die Experten der Koalition geben sich derweil gelassen. Sie befürchten weder Proteste der Kassen noch einen Aufstand der Versicherten, auch nicht im Wahljahr. Im kleinen Kreis wird darauf verwiesen, dass im Gesundheitsfonds mit 9,5 Milliarden Euro genügend Mittel geparkt seien, um beides zu schaffen, den Kassen Geld zuzuschießen und die gesetzliche Mindestreserve im Fonds einzuhalten.