Das Dokument des Scheiterns trägt fast jeder Deutsche in seinem Portemonnaie. Es ist die neue Gesundheitskarte, mit einem Foto darauf und mit einem Computerchip - den man aber wohl noch für eine Weile nicht richtig nutzen kann. Eigentlich sollen spätestens am 1. Juli 2018 alle Arztpraxen ein Lesegerät für die Karten angeschafft haben. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat diese Frist ins Gesetz geschrieben.
Doch nun haben die Spitzenverbände der Ärzte, der Krankenkassen, Kliniken und Apotheker in einem Beschluss festgestellt, dass die verbleibende Zeit von einem Jahr "nicht ausreichen wird", um alle Praxen mit einem Kartenleser zu versorgen. Das Papier liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Wenn die Frist verstreicht, wird den Ärzten ihre Vergütung gekürzt. Gröhes Haus werde nun "sorgfältig prüfen", ob der Termin verschoben werden muss, sagt ein Ministeriumssprecher.
Ärztetag:Menschlichkeit in der Ferndiagnose
Als ein Hackerangriff britische Kliniken lahmlegte, mögen sich Technikskeptiker bestätigt gesehen haben. Doch die wahre Herausforderung der Digitalisierung in der Medizin ist eine ganz andere.
Der Grund für die weitere Verzögerung des langjährigen Projekts Gesundheitskarte sind zur Zeit Lieferschwierigkeiten der Industrie. Die eigens gegründete Gesellschaft Gematik, die im Auftrag der Bundesregierung sowie der Ärzte und Kassen die Einführung der neuen Technik organisiert, hatte zwei Unternehmen beauftragt, neue Lesegeräte zu entwickeln. Sowohl die Koblenzer Compugroup als auch die Telekom-Tochterfirma T-Systems forschen an Geräten, die hohe Sicherheitsstandards erfüllen müssen. Eines Tages sollen auf den Karten schließlich sensible Patientendaten gespeichert sein. Ärzte und Krankenkassen können dann Informationen austauschen, und die Bürger können möglicherweise Daten aus ihren Fitness-Apps einspeisen. Doch während die Compugroup im vergangenen November eine offizielle Zulassung für ihr Lesegerät bekam, hinkt T-Systems hinterher. Die Gematik hat der Telekom-Tochter nun den Feldtest in den Arztpraxen abgesagt. Derzeit ist die Compugroup deshalb die einzige Firma, bei der die Ärzte die Pflicht-Geräte kaufen können. Sie kann nun den Preis diktieren. Das kann für die Arztpraxen teuer werden.
Von Juli an wollen die Krankenkassen den Ärzten 3055 Euro erstatten, wenn sie sich ein Lesegerät kaufen. Über die nächsten Monate soll diese Summe aber kleiner werden. Denn die Kassen haben bereits jetzt eingerechnet, dass es in Zukunft unterschiedliche Anbieter geben könnte und dass die Gerätepreise deshalb sinken. Bloß ist dies bislang noch keine Realität. Tatsache ist: Bisher hat die Compugroup ein Monopol auf die staatlich verordneten Lesegeräte.
Die Gesellschaft Gematik hat im Mai nun zusätzlich die österreichische Firma Research Industrial Systems Engineering (Rise) beauftragt, ein weiteres Lesegerät zu bauen. Ziel sei es, dass sie ihr Produkt im Frühling 2018 liefern kann, heißt es in einer Antwort der Staatssekretärin Ingrid Fischbach auf eine Frage der Grünen. Dieser Auftrag "zielt auf eine künftige Marktvielfalt ab", erklärt das Bundesgesundheitsministerium.
Für Gesundheitsminister Gröhe kommt die Nachricht zur Unzeit
Ob Rise tatsächlich bis zum kommenden Jahr liefert, ist allerdings auch noch ungewiss. Die Lesegeräte müssen neben der Datensicherheit auch garantieren, dass alle Gesundheitskarten, die die Krankenkassen ausgeben, auch wirklich funktionieren. Gerade bei den älteren Modellen gab es bei den Tests Probleme. So wird die lange Geschichte der Gesundheitskarte, die von vielen Streitigkeiten und Kosten von mehr als einer Milliarde Euro handelt, um ein weiteres Kapitel ergänzt. Die Nachricht kommt für Gesundheitsminister Gröhe zu einem schlechten Zeitpunkt. Schließlich hatte er sich noch am Montag auf dem Digitalgipfel für sein Karten-Gesetz auf die Schulter geklopft. Gemeinsam mit Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) sagte er, man habe "Schwung" in die Digitalisierung des Gesundheitswesens gebracht.
Als Nächstes wollen die beiden Minister nun "die Einführung von elektronischen Patientenakten vorantreiben". Zusätzliche Mittel sollen dafür aber nicht fließen, heißt es aus Gröhes Ministerium. Die Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink (Grüne) befürchtet, dass es bei der elektronischen Akte zu ähnlichen Schwierigkeiten kommen könnte wie bei der Karte. Die Regierung überlasse das Projekt wieder allein den Ärzten, den Kassen und der Industrie.