Krankentourismus:Schweiz schickt Kranke nach Deutschland

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Die Schweizer Kassen wollen Kosten senken und lassen Patienten deshalb jenseits der Grenze behandeln. Deutsche Kliniken sind dafür sehr offen.

Judith Raupp

Die Schweizer Krankenkassen wollen Patienten in deutschen Kliniken behandeln lassen, weil die Kosten dort deutlich geringer sind. Erste Verträge mit deutschen Spitälern sind geschlossen. Nun drängen die Kassen auf eine Gesetzesänderung, die den Krankentourismus im großen Stil erleichtern soll.

Ärztin mit Stethoskop. Schweizer Patienten kommen zunehmend in deutsche Kliniken. (Foto: Foto: dpa)

Die beiden größten Schweizer Krankenkassen Helsana und CSS haben ausgerechnet, dass sie die Ausgaben für einzelne Behandlungen beträchtlich senken können, wenn sie Patienten nach Deutschland schicken. So koste eine Hüftoperation in der Schweiz durchschnittlich 26.000 Franken (16.900 Euro), in Deutschland 17.000 Franken, sagt ein CSS-Sprecher. Bei einer Fußoperation betrage das Sparpotenzial sogar 63 Prozent.

Löhne und Kosten in Deutschland günstiger

"Die Löhne und die Kosten für die Infrastruktur und das Material sind in Deutschland günstiger." Außerdem seien deutsche Kliniken oft nicht ausgelastet und machten gute Angebote.

Die Krankenkasse hat vor kurzem Verträge mit dem Herzzentrum in Bad Krozingen und mit der Helios Rosmann Klinik in Breisach geschlossen. Bad Krozingen liegt 50 Kilometer nördlich von der Schweizer Grenzstadt Basel, Breisach etwa 60 Kilometer entfernt.

Damit die Patienten fernab der Heimat in die Klinik gehen, will die CSS eine Prämienrückerstattung von 300 bis 500 Franken oder den Aufenthalt eines Verwandten für drei bis fünf Tage in Deutschland bezahlen.

Die Helsana verhandelt ebenfalls mit deutschen Kliniken in der Akutmedizin. In der Rehabilitation kooperiert sie bereits mit süddeutschen Zentren. Beide Kassen versichern etwa drei Millionen der 7,2 Millionen Schweizer.

"Wir könnten zudem schnell aufstocken"

Karin Gräppi, Geschäftsführerin der Helios Kliniken Breisgau Hochschwarzwald, sagt: "Uns wäre ein Patient aus der Schweiz lieb, aber auch 100". Mit bestehender Kapazität könne ihr Haus bis zu 80 zusätzliche Kranke aufnehmen. "Wir könnten zudem schnell aufstocken."

Helios hat in Breisach 130 Betten. Das Krankenhaus gehört zur bundesweit tätigen Helios-Gruppe mit 24 Kliniken und 9300 Betten. Sie verzeichnete 2004 einen Umsatz von 1,2 Milliarden Euro bei einem Gewinn von 71 Millionen Euro. Gräppi bestreitet, dass das Krankenhaus in Breisach nicht ausgelastet ist und den Schweizern deshalb Sonderpreise anbietet. "Wir verdienen an der Sache."

Auch Dieter Ahlbrecht, Geschäftsführer der Kliniken des Landkreises Lörrach, hofft auf ein Zusatzgeschäft. Lörrach grenzt an die Schweiz und nimmt an einem Pilotprojekt der Kantone Basel-Stadt und Basel-Land teil.

Von Mitte 2006 an sollen alle Patienten grenzüberschreitend behandelt werden können. Bisher dürfen offiziell nur Schweizer in deutsche Kliniken gehen, wenn sie einen so genannten Halbprivat- oder Privatvertrag mit der Kasse abgeschlossen haben. Die meisten Schweizer haben aber nur eine Grundversicherung, die per Gesetz die Behandlung im Ausland verbietet.

Zustimmung signalisiert

Dieses Territorialprinzip soll zunächst in dem deutsch-schweizerischen Pilotprojekt für drei Jahre aufgehoben werden. Das Gesundheitsministerium in Bern hat bereits Zustimmung signalisiert.

Im Alltag brechen die Krankenkassen das Gesetz schon, weil sie immer öfter auch Grundversicherten die Behandlung in Deutschland vorschlagen. Ein Sprecher des Ministeriums in Bern: "Solange wir offiziell keinen solchen Fall gemeldet bekommen, können wir nichts machen." Die maximale Strafe für eine illegale Behandlung in Deutschland betrage 5000 Franken.

Territorialprinzip steht in Frage

Gesundheitsminister Pascal Couchepin hat aber durchblicken lassen, dass er das Territorialprinzip abschaffen will, wenn so die Gesundheitskosten gesenkt würden. Peter Zweifel, Gesundheitsökonom an der Universität Zürich, hält das Territorialprinzip sogar für einen Verstoß gegen die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU. Die Konkurrenz aus Deutschland könne zudem dazu beitragen, den Anstieg der Schweizer Kassenprämien zu bremsen.

Ein Sprecher des Spitalverbandes H+ sagt, die Preisvergleiche mit Deutschland seien schwierig, weil die Gesundheitssysteme in den beiden Ländern unterschiedlich seien. Und wenn die Grenzen geöffnet würden, müsse dies auch für Vorleistungen wie Laborarbeiten gelten. Diese dürften Schweizer Kliniken bisher nicht kostengünstig in Deutschland einkaufen.

Ein Sprecher der Vereinigung für Reha-Kliniken Swiss Reha erklärt, es müsse gewährleistet sein, dass die Patienten in Deutschland mit gleicher Qualität behandelt würden: "Hier melden wir bei allem Respekt vor den Leistungen unserer deutschen Kollegen Zweifel an."

Krankentourismus nicht nur in eine Richtung

Der Krankentourismus soll übrigens nicht nur in eine Richtung funktionieren. Das deutsch-schweizerische Pilotprojekt sieht auch vor, dass deutsche Patienten ohne die bisher nötige Zusatzversicherung nach Basel in die Uniklinik können. Das geschieht freilich allerdings aus geografischen Gründen: Die Uniklinik Basel ist von Lörrach zehn Kilometer entfernt, die nächste deutsche Uniklinik in Freiburg 65 Kilometer.

© SZ vom 29.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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