Süddeutsche Zeitung

Kraftwerksreserve:Hosenträger zum Gürtel

Wirtschaftsministerium nennt Details der Kraftwerksreserve. Betreiber sollen am Tag vor einem erwarteten Engpass zusätzliche Leistung für die Erzeugung von Strom bestellen. Sie müssen Angebot und Nachfrage stets ausgleichen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Was die Sicherheit der Stromversorgung angeht, gibt sich das Bundeswirtschaftsministerium demonstrativ gelassen. Zuletzt hatten Gutachter überprüft, ob es bis 2025 Engpässe geben könnte, Ergebnis: keine Gefahr. Schon durch grenzüberschreitende Stromflüsse werde es hierzulande keine Probleme geben, den Strombedarf zu decken. Rein rechnerisch.

Das wiederum kommt Minister Sigmar Gabriel (SPD) ganz gelegen, denn von weitreichenden Eingriffen in den Strommarkt hält er wenig, schon gar nicht von einer Stütze für unrentable Kraftwerke. Der Strommarkt allein soll es richten: Ist Strom knapp, steigen dort die Preise, mithin lässt sich mit Elektrizität dann gutes Geld verdienen. Nur vorsichtshalber soll es eine "Kapazitätsreserve" geben. Als "Hosenträger zum Gürtel", wie das Ministerium vorige Woche in ein Eckpunktepapier zum Strommarkt dichtete. Und nun gibt es zu diesem Hosenträger auch erste Details.

Einem Papier zufolge, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, plant das Ministerium mit einer Reserve von vier Gigawatt. Das wäre die Leistung von fünf großen Kraftwerken und entspräche rund fünf Prozent des maximalen Strombedarfs in Deutschland. Betreiber dieser Reservekraftwerke wären weiter die jeweiligen Stromkonzerne, doch über ihren Einsatz sollen allein die Betreiber der Hochspannungsnetze entscheiden. "Sie können schnell und zielgerichtet reagieren und die Signale für den Einsatz geben, wenn ein Engpass droht", heißt es in dem Papier.

Schwerfällige ältere Anlagen brauchen einen Tag Vorlauf

Danach sollen die Netzbetreiber "in dem unwahrscheinlichen Fall, dass trotz freier Preisbildung an der Strombörse kein ausreichendes Angebot existieren sollte" die Bereitschaft der Kraftwerke anfordern können - und zwar schon am Vortag. Vor allem schwerfällige ältere Anlagen brauchen diesen Vorlauf. Ziel sei es, mit der Reserve "die letzte noch verbleibende Nachfrage zu decken". Sollte der Engpass dann doch nicht auftreten, werden die Kraftwerke wieder heruntergefahren.

Dieser Mechanismus wäre neu. Bisher gibt es zwar schon eine "Winterreserve", die dient aber vor allem der Überbrückung von Netzengpässen zwischen Nord und Süd. Deshalb befinden sich diese Kraftwerke allesamt im Süden Deutschlands oder dort angrenzenden Nachbarländern. Die neue Reserve kann dagegen überall im Land sein - und soll deutschlandweit ausgeschrieben werden. Anders als die Winterreserve sollen auch nicht die Stromkunden den Einsatz der Kraftwerke finanzieren, sondern Stromlieferanten: Künftig sollen sie verpflichtet sein, Angebot und Nachfrage stets auszugleichen. Gelingt ihnen das nicht, muss der Hosenträger ran, auf ihre Kosten. Die Bundesnetzagentur soll regelmäßig prüfen, ob die Reserve reicht.

Ohnehin ist die Reserve derzeit heiß umstritten. Der Industrieverband BDI etwa ist mit Gabriels Vorschlag ganz zufrieden, die Stromlobby nicht: Sie wünscht sich eine Reform des Strommarktes, mit der künftig auch die Leistung von Kraftwerken entlohnt werden könnte - egal, ob diese Leistung abgerufen wird oder nicht. Auch bei den Grünen finden sich Anhänger einer solchen Lösung, sofern so nur klimafreundliche Kraftwerke einen Zusatzlohn einstreichen können. "Statt ein Konzept für einen zukunftsfähigen Strommarkt vorzulegen, beschert die Bundesregierung der Energiewirtschaft durch die Kapazitätsreserve ein goldenes Ende für klimaschädliche Kohlekraftwerke", warnt Grünen-Energiepolitiker Oliver Krischer. Tatsächlich wirbt auch Gabriels Eckpunktepapier damit, Reservekraftwerke könnten "zumindest einen Teil ihrer Arbeitsplätze erhalten" - nachdem die Meiler ihrer Emissionen wegen vom Netz mussten.

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SZ vom 24.03.2015
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