Kostüme Deiters:König der Kostüme

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Jeder Jeck ist anders, heißt es im Kölner Karneval. Individuelle Kostüme schneidern heute aber nur noch wenige, die meisten kaufen sie. (Foto: Maja Hitij/dpa)
  • Der Karneval ist längst zu einer großen Kunsumveranstaltung geworden. Besonders profitiert der Kölner Kostümhersteller Deiters davon.
  • Das Unternehmen verkauft mittlerweile das ganze Jahr über Verkleidungen und will deutschlandweit expandieren.

Von Sebastian Fischer, Köln

An einem Freitagabend im Februar steht Sabine Herrmann in einer Kirche in der Kölner Südstadt und zieht einen Mundwinkel nach unten. Über Jeans und Pullover trägt sie Bademantel, auf dem Kopf eine Narrenkappe aus Frottee. In den Jahren zuvor, sagt sie, war hier auf dem Karnevals-Flohmarkt mehr los. Da gab es Kunden, die haben einen ihrer mit Rüschen verzierten, paillettenbestickten Bademäntel einfach mitgenommen ohne zu bezahlen, sie hat es nicht gemerkt. Heute aber schlendern nicht so viele Leute an den Ständen mit selbst genähten Kostümen vorbei. Ein paar Verkäufer packen ihre Jacken und Hüte, ihre Fliegen und Aufnäher wieder ein. Leise klingt ein Karnevalslied aus den Vierzigerjahren durch den Saal. "Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei."

Herrmann, 53, ist Versicherungsfachfrau, hat aber eigentlich Textildesign studiert. Seit Herbst hat sie in ihrer Freizeit kaum etwas anderes gemacht, als zu nähen, ähnlich wie die anderen 65 Hobby-Designer, die hier ihre Kostüme anbieten. Herrmann macht aus Bademänteln Fräcke, jeder ist ein Kunstwerk. Sie kauft sie auf Flohmärkten, am liebsten alt und gemustert, lagert sie in einer Ecke im Wohnzimmer. 75 Bademäntel hat Herrmann für diese Karnevalssession bearbeitet, jetzt kosten sie 125 Euro das Stück. Fünf davon hat sie an diesem Abend verkauft. Aus den Stoffresten macht sie Kappen wie sie selbst eine trägt, für 25 Euro.

Ein Mann kommt vorbei, wiegt eine der Kappen in den Händen, schaut fragend. Als er den Preis hört, winkt er ab. "Dann musst du zum Deiters gehen", raunt Herrmann ihm nach. Zu jenem Konkurrenten, der die Branche anführt.

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Verkleiden, das ist nicht mehr nur ein Hobby. Es ist ein Millionengeschäft. In der Saison 2015/2016 haben die Kostümhersteller laut Deutschem Verband der Spielwarenindustrie 288,9 Millionen Euro umgesetzt - 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Kölner Familienunternehmen Deiters macht allein mehr als 20 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Die größte von 23 Filialen ist laut Eigenwerbung "das größte Karnevalskaufhaus der Welt".

Sie steht nicht weit von der Kölner Südstadt, am Unternehmenssitz in einem Gewerbegebiet im Vorort Frechen. Dort sitzt Inhaber Herbert Geiss an seinem Schreibtisch im ersten Stock, schaut durch die Glasfront hinüber zu seinem Vorzeige-Laden mit 5000 Quadratmetern auf zwei Etagen, davor 700 Parkplätze. Und er sagt, dass er noch lange nicht am Ziel angekommen sei. Geiss, schwarzer Nadelstreifenanzug, lila Krawatte, silberglänzende Uhr, die Haare mit ziemlich viel Gel nach hinten gelegt, ist erst 34 Jahre alt, doch längst der König der Pappnasen. Er hat wenig gemein mit seinem Cousin Robert, der mit Bodybuilder-Klamotten Millionen gemacht hat und im Trash-TV auf RTL 2 berühmt wurde, die beiden haben keinen Kontakt. Herbert Geiss will nicht protzen. Aber stolz ist er schon.

Er hatte eine mutige Idee, als er mit gerade mal 20 Jahren als Groß- und Außenhandelskaufmann in der Ausbildung den Familienbetrieb von seinem Onkel übernahm: Das Karnevalsgeschäft sollte nicht mehr am Aschermittwoch zu Ende sein. Deiters produzierte damals Spielwaren für Schausteller, Kostüme waren ein Nebenverdienst. Geiss veranlasste, fortan nur noch Verkleidungen zu verkaufen, an 365 Tagen im Jahr, keine halben Sachen mehr. Die Leute sollten bei ihm auch Trachten fürs Oktoberfest kaufen, Gruselmasken für Halloween, das Kleid für die Mottoparty. Seine Mitarbeiter hielten ihn für übergeschnappt.

Das Verkleiden hat im Kölner Karneval eine ehrbare Tradition. Es war ein Symbol der Freiheit und des Widerstands gegen französische Besatzungstruppen, die Jecken veräppelten die Soldaten. Auf dem Markt in der Südstadt erzählen die Menschen noch davon, in Gesprächen, die nach Rotwein riechen. Heute sind die Motive andere. "Wenn sich die Menschen verkleiden, kommen Wünsche hoch, die man sich im normalen Leben nicht auszusprechen traut", sagt Soziologe Heiko Kosow, der selbst mal Karnevalsprinz war.

Wenn Deiters-Chef Geiss übers Verkleiden redet, wird er auch ein wenig zum Soziologen. Die Menschen, sagt er dann, hätten viel zu wenig Spaß. "Uns fehlt der Antrieb ins Positive." Die Leute würden sich aus dem Weg gehen, das Kennenlernen werde immer schwieriger. "Aber als Cowboy und Indianer ist man schnell beim Du, man lacht ein bisschen. Das schaffen wir."

Die billigste Cowboyweste gibt es in seinem Laden für 14,95 Euro, das Modell aus Leder kostet 79,96 Euro. Zwischen 2000 Kostümen können die Kunden in Frechen wählen, dazu kommen 20 000 Accessoires: die Charakternase "Bayer" aus Latex oder das schiefe Gebiss, Modell "Reporter", "täuschend echt" und "mehrfach verwendbar". Fast 80 Prozent der Waren werden in China gefertigt, dreimal im Jahr schaut sich Geiss die Produktion an. "China ist nicht schlecht", sagt er. "Und am Schluss wollen wir eben Geld verdienen." Kinderarbeit? "Blödsinn."

Geiss führt durch den Laden, vorbei an Spielzeugpistolen und Schottenröcken. Aus den Lautsprechern dröhnt ein Schlager. Die Frisur von Donald Trump, erzählt er, die war in dieser Session besonders beliebt. Geiss hat sie noch mal nachfertigen lassen, aber Trump ist schon wieder ausverkauft. Eine Frau erzählt, dass sie mit ihrem Mann schon zum zweiten Mal in dieser Woche da sei, um das perfekte Piratenkostüm zu finden. "Pirat", sagt Geiss, "dat is' so'n Klassiker".

Ein Vorteil der Kostümbranche ist, dass sie nur wenig von Trends abhängig ist. Die Klassiker gehen immer. Umso mehr Spielraum gibt es für Experimente: Geiss veranstaltet einmal im Jahr in der Kölner Arena eine Halloween-Party, natürlich die größte Deutschlands, engagiert teure DJs und verbucht die sechsstelligen Verluste als Werbekosten. Er hat im hinteren Teil des Ladens eine eigene Oktoberfest-Abteilung eingerichtet mit billigen Lederhosen und Dirndln. Das Karnevalsgeschäft, sagt er stolz, mache inzwischen nur noch rund zwei Drittel des gesamten Umsatzes aus.

Das Unternehmen will deutschlandweit expandieren

Als Geiss merkte, dass er die Kölner dazu bringen kann, sich auch zu Halloween als Dracula in die U-Bahn zu setzen, dachte er weiter: Dann könnte er auch die Berliner dazu bekommen, sich eine Pappnase aufzusetzen. Deiters-Läden gibt es inzwischen auch in Frankfurt, Stuttgart und in der Hauptstadt. Auf dem Ku'damm veranstaltet Geiss an diesem Sonntag zum zweiten Mal einen Berliner Karnevalszug. Mindestens zwei neue Filialen will er 2017 noch eröffnen, in München sucht er nach dem geeigneten Ort. Demnächst sollen sich auch Österreicher und Holländer mit seinen Kostümen verkleiden. "Der Umsatz wird weiter steigen", sagt Geiss. Er beschäftigt 300 Stamm-Mitarbeiter, 700 sind es zu Spitzenzeiten vor Karneval.

Er sitzt jetzt wieder in seinem Büro, vor einer silbernen Elefantenbüste, dem Lieblingstier seines 2015 verstorbenen Vaters, gegenüber seine Frau, die für Deiters als Modedesignerin arbeitet. Und er erzählt, wie er selbst Karneval feiert: Am Rosenmontag, auf einer Tribüne am Zugweg vor der Filiale in der Kölner Innenstadt. "Da rasten wir aus." Geiss wird sich dann wahrscheinlich als Neptun verkleiden, der römische Gott des Meeres. Er müsse nehmen, was in seinem Laden übrig bleibt, sagt er.

Und Herbert Geiss wird beobachten, wie sich die Menschen verkleiden, Ideen sammeln. Er sieht dann auch die selbst genähten Kostüme, vielleicht sogar ein paar Bademäntel von Sabine Herrmann, der Hobby-Verkäuferin aus der Südstadt. Er mag das, die Kreativität. "Aber", sagt er, "die meisten kaufen bei uns."

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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