Kosten der Energiewende:Ökostrom mit sozialer Schieflage

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Während auch auf Hartz-IV-Empfänger 2013 höhere Stromkosten zukommen, bleibt die Großindustrie mit besonders großem Stromverbrauch verschont. Nicht nur das: Immer mehr Betriebe schummeln sich kreativ an der teuren Ökostromumlage vorbei.

Oliver Hollenstein

Stahlproduzent Thyssen-Krupp ist von der Umlage befreit - hier das Hüttenwerk Krupp Mannesmann in Duisburg. Beim Abstich, also der Öffnung des Hochofens, wird der Himmel von hellem Feuerschein erleuchtet.  (Foto: dpa)

Strom wird deutlich teurer. Im kommenden Jahr steigt die Ökostromumlage von 3,6 Cent auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde. Bis zu 90 Euro mehr muss ein Vier-Personen-Haushalt dann für Strom zahlen. (Weitere Hintergründe, wie sich der Strompreis zusammensetzt, finden Sie in diesem Artikel.)

Doch während die privaten Haushalte damit den Preis für die Energiewende tragen, ist ein bedeutender Teil der Stromverbraucher von der Umlage befreit: die Industrie mit besonders hohem Stromverbrauch. Auf rund die Hälfte des Stromverbrauches der Industrie müsse die Umlage nicht bezahlt werden, sagt der Energieexperte und Wirtschaftswissenschaftler Uwe Leprich.

Umweltverbände, Verbraucherschützer und Sozialverbände laufen inzwischen Sturm gegen diese Regel, denn: Was die Industrie nicht zahlt, wird über die Stromrechnung auf alle anderen Verbraucher umgelegt. Mit rund 4,7 Milliarden Euro werde die Industrie 2013 aus der Umlage gefördert, hat Greenpeace in einer Studie ausgerechnet ( PDF).

Zugespitzt heißt das: Auch Hartz-IV-Empfänger subventionieren über den Strompreis die Großindustrie. Pro Kilowattstunde sind das 1,5 Cent - also fast so viel wie die derzeitige Erhöhung.

Rösler lehnt Sozialtarif ab

Der Ruf nach Entlastung wird somit immer lauter: "Wer jetzt nicht die richtigen Schlüsse zieht, nimmt in Kauf, dass Menschen im Dunklen sitzen und von der Energieversorgung abgeschnitten sind", sagt der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer, und fordert, den Energiepreis für Verbraucher zu senken.

Das will auch die Bundesregierung - allerdings sind sich Union und FDP bisher weder über das Wann, noch über das Wie einig. Einem Sozialtarif für Strom erteilte Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) im Interview mit der Welt am Sonntag jedenfalls schon einmal eine Absage. "Ich glaube nicht, dass das der richtige Ansatz sein kann, oder dass das zur Akzeptanz der Energiewende bei den Menschen insgesamt beitragen würde. Nachhaltiger ist eine Reform des EEG. Eine schnelle Entlastung der Bürger können wir durch eine Senkung der Stromsteuer erreichen."

Aber auch bei der Abschaffung der Sonderregeln für die energieintensive Industrie zeigt sich die Bundesregierung bisher eher zurückhaltend. Man müsse das prüfen, hatte Umweltminister Peter Altmaier angekündigt. Die Subvention begründet die Politik mit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Die Stromkosten von zehn Cent pro Kilowattstunde in Deutschland seien zu hoch, beschwerte sich die Industrie. Damit keine Arbeitsplätze in Billigstromländer abwandern, wurde die Ausnahme geschaffen. (Linktipp: Die taz hat die Firmen, die nicht zahlen müssen, auf einer Deutschlandkarte markiert.)

Zahl der Ausnahmen wächst

Für Unmut sorgt bei Kritikern vor allem, dass die Zahl der priviligierten Unternehmen wächst - und das wiederum den Strompreis treibt. Dieses Jahr haben sich rund 2000 Unternehmen um Ausnahmen beworben, mehr als doppelt so viel wie im Jahr zuvor: Da waren es knapp 800, genehmigt wurden etwas mehr als 700.

Dabei sind unter den Privilegierten auch zweifelhafte Fälle, bei denen in Frage steht, ob hohe Energiekosten ihre Wettbewerbsfähigkeit beschränken: Brauereien, Hähnchenmäster und Straßenbahnbetriebe.

Klicken Sie in die Grafik, um zu sehen, welche Haushaltsgeräte wie viel Strom verbrauchen.

Hinzu kommt, dass die Regel offenbar auch missbraucht wird. Ein Gutachten im Auftrag des Umweltministeriums ( PDF) hatte im August schon bemängelt, dass sich Industrieunternehmen mit "gesteigerter Kreativität" aus der Verantwortung für die Energiewende stehlen und die zahlreichen Sonderregelungen nutzen, um keine Ökostromumlage zu zahlen.

In der Tat hat die Regel in ihrer bisherigen Form Schlupflöcher und setzt teilweise paradoxe Anreize. So sind stromintensive Konzerne von der Umlage befreit, wenn ihre Stromkosten mehr als 14 Prozent der Wertschöpfung ausmachen. Mit anderen Worten: Es gibt einen Anreiz, möglichst viel Strom zu verbrauchen.

Klicken Sie in die Grafik, um zu sehen, wie sich der Strompreis in den vergangenen zehn Jahren entwickelt hat.

Das hat, so erzählt man sich in der Industrie, teilweise umweltschädliche Folgen: Wenn es am Ende nicht reicht, dann laufen zwischen Weihnachten und Neujahr noch einmal alle Maschinen rund um die Uhr auf Volllast, um über den Grenzwert zu kommen, berichten Branchenkenner. Firmen könnten zudem abgeschreckt werden, in neue, effizientere Maschinen zu investieren - wenn sie dann unter den Schwellenwert fallen, erhöht sich im Zweifelsfall die Stromrechnung.

Anderer Trick: ein Kraftwerk kaufen

Neben dem Stromverbrauch gibt es zudem noch ein zweites Schlupfloch, wie das Gutachten aus dem Umweltministerium darlegt: die sogenannte Eigenstromregelung. Wenn ein Unternehmen selbst Strom erzeugt, wird es dafür ebenfalls von der Ökoumlage befreit.

Doch offenbar nutzen die Unternehmen die Regelung kreativ: Sie pachten einfach Stromanlagen von Dritten. So hat Saarstahl einen Teil des eigentlich schon abgeschalteten Kohlekraftwerks Ensdorf von einer RWE-Tochter übernommen. Das Rechtsgutachten des Umweltministeriums kommt zu dem Schluss, dass diese Vorgehensweise mindestens im juristischen Graubereich liegt.

Die Ökostromumlage ist zudem nicht die einzige Umlage, bei der die Verbraucher die Zeche der Industrie mit bezahlen. Auch bei den Netzentgelten, die ebenfalls ein Teil des Strompreises sind, gibt es Ausnahmen für die Industrie. Nach einer Neuregelung ist nun rückwirkend seit Anfang 2011 jedes Unternehmen von Entgelten befreit, das mindestens zehn Gigawattstunden Strom pro Jahr verbraucht und mindestens 7000 Stunden pro Jahr die volle Leistung abnimmt.

Das betrifft fast 200 Firmen. Die Verbraucher müssen für die Netz-Vergünstigungen in diesem Jahr 440 Millionen Euro mehr zahlen, 2013 bis zu einer Milliarde Euro. 2010 - vor der Ausweitung der Ausnahmen - lag das Entlastungsvolumen lediglich bei rund 33 Millionen Euro. Und auch hier werden die Preise künftig weiter steigen: Wegen des Netzausbaus werden auch die Netzentgelte steigen, sagte der Chef der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, vor einigen Tagen im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Zumindest für die Privathaushalte.

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