Korruptionsverdacht bei der Telekom:Im Zweifel für den Vorstandschef

Telekom-Chef Obermann in Erklärungsnot: Konzerngesellschaften sollen Politiker geschmiert haben. Über Scheinfirmen und -verträge sollen so mehr als 30 Millionen Euro geflossen sein. Der Vorstand will Obermanns Vertrag dennoch verlängern.

Klaus Ott

René Obermann, der Vorstandschef der Deutschen Telekom, ist ziemlich genervt in diesen Tagen. Ausgerechnet er, der sich selbst als Aufklärer sieht, der wegen der Spitzelaffäre in dem Telefonkonzern selbst Anzeige erstattet und Ermittlungen in Gang brachte, hat nun selbst ein Verfahren am Hals. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat ihn als Beschuldigten eingetragen und sogar seine Privatwohnung durchsucht, weil der Top-Manager persönlich in einen Korruptionsfall auf dem Balkan verwickelt sein soll.

Telekom-Chef Obermann

Telekom-Chef Obermann, Aufklärer vom Dienst, hat derzeit viel Ärger am Hals.

(Foto: dpa)

Mit wem Obermann auch immer über das Ermittlungsverfahren gegen ihn redet - stets zeigt er sich empört, beteuert seine Unschuld, und wirkt dabei auf seine Gesprächspartner überzeugend. "Er müsste schon Schauspieler geworden sein, wenn man ihm das nicht abnehmen sollte", sagte einer, der ihn gut kennt. Andererseits hat der Vorstandschef, einer der mächtigsten Männer in der deutschen Wirtschaft, erst einmal nichts zu befürchten. Jedenfalls solange die Staatsanwaltschaft keine Beweise gegen ihn vorlegt. Was den Manager beruhigen dürfte: Der Aufsichtsrat der Telekom will ungeachtet des Ermittlungsverfahrens den im Herbst 2011 auslaufenden Vertrag mit Obermann um weitere fünf Jahre verlängern. Und das schon bei seiner nächsten Sitzung in diesem Herbst.

Erst Anfang September hatte Aufsichtsratschef Ulrich Lehner seinen Kollegen vorgeschlagen, an Obermann festzuhalten und ihm alsbald einen neuen Vertrag zu geben. Sein Vorschlag traf bei allen Kontrolleuren auf Zustimmung. Und daran hat sich bis heute nach Angaben aus Konzernkreisen nichts geändert. "Es gibt niemanden, der an seinem Stuhl sägt", heißt es dort.

Obermann hat Unterstützer - im Aufsichtsrat wie auch im Vorstand. Einer seiner wichtigsten Fürsprecher ist Manfred Balz; er leitet im Vorstand das Ressort Datenschutz und Recht. Und deshalb muss er in diesen Tagen viele unangenehme Fragen beantworten. Staatsanwälte aus dem In- und Ausland prüfen, ob der Telefonkonzern in einen internationalen Korruptionsskandal verstrickt ist, und ihr erster Ansprechpartner ist Obermanns Kollege Balz. Der hatte sich schon um die Spitzelaffäre bei der Telekom gekümmert. Jene Schnüffelei im Konzern nach Kontakten zwischen Aufsichts- und Betriebsräten sowie Journalisten hatte den Ruf der Telekom beschädigt und wird inzwischen vor Gericht verhandelt. Angeklagt sind ein ehemaliger Sicherheitschef und weitere Personen aus unteren Konzernebenen.

Der neueste Ärger erreicht nun den Vorstandschef. Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Obermann, sechs weitere Manager der Telekom (darunter aber keine Vorstandsmitglieder) und einen Geschäftsmann. Ein Strafverfahren gegen den obersten Manager, das hat es nicht einmal im Schmiergeldskandal bei Siemens gegeben. Und das war immerhin der größte Korruptionsfall in der bundesdeutschen Wirtschaft. "Wir halten in seinem Fall das Vorgehen der Staatsanwaltschaft für unangemessen", sagt Balz bei einem von der Telekom eilig anberaumten Pressegespräch.

Schwere Vorwürfe

Obermann habe sich bei jenen Geschäften auf dem Balkan, bei denen bestochen worden sein soll, überhaupt nicht eingemischt. Die Vorwürfe wiegen indessen schwer: Konzerngesellschaften der Telekom sollen von Ungarn aus in Mazedonien und Montenegro Politiker geschmiert haben, um von den dortigen Regierungen bei der Regelung der Telefon- und Mobilfunkmärkte besser behandelt zu werden als die Konkurrenz. Über Scheinfirmen und Scheinverträge sollen mehr als 30 Millionen Euro in dunkle Kanäle geflossen sein. Ein klassisches Muster, wie man es von Siemens, Daimler, dem Lastwagen- und Buskonzern MAN und der Handelsgesellschaft Ferrostaal kennt.

Seit gut einem Jahrzehnt ist die Auslandsbestechung in der Bundesrepublik ein Straftatbestand, seit einigen Jahren gehen deutsche Staatsanwälte solchen Vorwürfen konsequent nach, vor allem jene in München. Und nun eben auch die Ermittler in Bonn. Die Bonner Staatsanwaltschaft hat vor vier Monaten ein Rechtshilfeersuchen und einen 300-seitigen Bericht aus den USA bekommen. Die US-Behörden prüfen die mutmaßlichen Schmierereien im Telekom-Konzern auf dem Balkan. Die Telekom war an der New Yorker Börse notiert und war deshalb der dortigen Justiz unterstellt, die Auslandsbestechung streng verfolgt. Das haben bereits Siemens und Daimler mit Strafen von insgesamt mehr als 700 Millionen Euro zu spüren bekommen. Bei der Telekom wäre, sollten sich die Vorwürfe erhärten, ein weit geringeres Bußgeld fällig. Einerseits. Andererseits aber ginge es hier um den Konzernchef.

Auf die Bonner Staatsanwaltschaft hat das Material aus den USA so viel Eindruck gemacht, dass sie ein eigenes Ermittlungsverfahren einleiteten, einen Durchsuchungsbeschluss beim örtlichen Amtsgericht erwirkten und Ende August die Konzernzentrale der Telekom und Privatwohnungen filzten, darunter auch die von Obermann. Bei Obermann hätten die Fahnder laut Balz nichts mitgenommen. "Da wurde einigermaßen schonend vorgegangen."

Schonungsloser Durchsuchungsbeschluss

Ziemlich schonungslos für den Konzernchef liest sich der Durchsuchungsbeschluss mit den Vorwürfen gegen die Beschuldigten. Obermann soll versucht haben, die Regierung in Mazedonien zu bestechen. Der deutsche Konzern ist über die ungarische Tochter Magyar Telekom in dem kleinen Balkan-Staat einer der beiden Hauptaktionäre der Makedonski Telekom (MakTel). Im Jahr 2005 war MakTel-Chef Dejan Mikovic zu Besuch in der Bonner Konzernzentrale und wurde dabei auch Obermann vorgestellt. Bei dieser Gelegenheit soll der Vorstandschef Gewinnausschüttungen der MakTel an den Staat Mazedonien davon abhängig gemacht haben, dass der örtliche Telefonmarkt nicht für Konkurrenten geöffnet werde. Sollte Obermann tatsächlich solche Zahlungen mit politischen Gegenleistungen verknüpft haben, dann wäre das ein klassisches Korruptionsdelikt.

Obermanns Vorstandskollege Balz entgegnet, Mikovic sei damals zufällig in Bonn gewesen und habe bei der Gelegenheit beim Konzernchef vorbeigeschaut. Mehr als ein "reiner Höflichkeitsbesuch" sei das nicht gewesen. An den Vorwürfen sei nichts dran.

Dennoch bleibt die Frage, warum die Bonner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen einen der bekanntesten Konzernlenker im Lande einleiten sollte, ohne etwas in der Hand zu haben. Die Münchner Ermittlerkollegen hatten im Fall Siemens tage- und nächtelang überlegt, ob ihre Erkenntnisse für ein Strafverfahren gegen den langjährigen Siemens-Vorstandschef Heinrich von Pierer ausreichten. Nein, lautete die Antwort. Am Ende erhielt Pierer, der alle Schuld von sich weist, nur einen Bußgeldbescheid wegen Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht im Unternehmen.

Hätte auch der Telekom-Vorstand genauer hinschauen müssen, was in Osteuropa und auf dem Balkan geschieht, als das Bonner Unternehmen dort die Märkte eroberte? Vor den dortigen Geschäftspraktiken war der Konzern gewarnt; Missstände waren hinlänglich bekannt. Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus konnten westliche Konzerne günstig Staatsbetriebe übernehmen. Der Kommunismus war erledigt, doch die in diesen Ländern grassierende Korruption blieb - für alle sichtbar - ein Problem. Und in Bonn war man darüber bestens im Bilde. Die Sicherheitsabteilung der Telekom hatte schon vor Jahren ihre Experten beauftragt, die Lage zu sondieren. In Wien und Budapest, in Bratislava, Zagreb und andernorts knüpfte die Spezialtruppe enge Kontakte zu den deutschen Botschaften und deren Verbindungsleuten aus Bundeskriminalamt (BKA) und Bundesnachrichtendienst (BND).

In Budapest erfuhren die Telekom-Leute, Korruption sei "weiterhin ein großes Problem" und "westliche Rechtsnormen" existierten oft nur auf dem Papier. Nachzulesen in Unterlagen der Telekom.

Doch steigende Umsätze waren offenbar wichtiger als strenge Vorsorgemaßnahmen gegen Korruption. Interne Untersuchungen förderten die Probleme bei dortigen Tochtergesellschaften zutage. Heute räumt Vorstandsmitglied Balz ein, man müsse dieser Region "mehr Aufmerksamkeit" widmen. Den Vorgesetzten Obermann nimmt Balz dagegen in Schutz. "Wenn weit hinten im Balkan ein Unrecht geschieht, sehe ich nicht die Verantwortung des Vorstandschefs."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: