Korruptionsaffäre Ferrostaal:Goldlocke und die blauen Jungs

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Decknamen, geheime Tipps, konspirative Mails: Unter dem Ex-Chef Matthias Mitscherlich ging es bei Ferrostaal zu wie im billigen Agentenfilm. Welche Schuld er an der Korruptionsaffäre trägt, soll jetzt die Staatsanwaltschaft klären.

Klaus Ott

Der Deckname Goldlocke, der aus dem wirklichen Leben stammt, erinnert ein bisschen an einen der legendärsten Schurken der Kinogeschichte. An Goldfinger, gespielt von Gert Fröbe. Der wollte mit einer Atombombe die Goldvorräte der Vereinigten Staaten radioaktiv verseuchen, die Welt ins Finanzchaos stürzen und sich daran bereichern. James Bond verhinderte das.

Wie in einem Agententhriller: Unter dem Ex-Vorstandsvorsitzenden Matthias Mitscherlich ging es bei Ferrostaal zu wie in einem James-Bond-Film. (Foto: ddp)

Ein paar Nummern kleiner geht es in der aktuellsten Korruptionsaffäre in der deutschen Wirtschaft zu, dem Fall Ferrostaal. Kein Bösewicht von Fröbes Format und kein Agent mit der Lizenz zum Töten. Dafür ein Dr. Goldlocke und ein abgelöster Konzernchef von Ferrostaal, Matthias Mitscherlich, unter dessen Führung es in der weltweit agierenden Essener Handelsgesellschaft und deren Umfeld manchmal zuging wie in einem billigen Spionagefilm: Geheime Tipps und verschlüsselte Botschaften, Tarnnamen und Scheinverträge und ein Ex-Agent aus dem Bundesnachrichtendienst.

Der einstige Schlapphut versorgte Ferrostaal mit platten Sprüchen ("die Latinos sind langsam"), aber auch heißen Informationen aus Südamerika. 2005 warnte der Ex-Agent in einer Mail an den damaligen Vorstandschef Mitscherlich vor einem korrupten Juristen mit Doktortitel aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, der für die dortige Marine Verträge aushandelte. Der Dr. jur. wurde bei Ferrostaal auch Goldlocke genannt.

Schmiergeld für Dr. Goldlocke

Drei Jahre nach der E-Mail des früheren BND-Mannes an Mitscherlich gab es Geld für Goldlocke. Der Dr. jur. aus Buenos Aires bekam von einer Partnerfirma von Ferrostaal eine satte Provision für einen Millionenauftrag der argentinischen Marine, von dem auch Mitscherlichs Konzern profitierte. Es bestehe kein Zweifel, dass an den Dr. jur. aus Buenos Aires Schmiergeld für Aufträge aus Argentinien, Chile und Kolumbien habe gezahlt werden müssen und Ferrostaal-Mitarbeiter eingebunden gewesen seien, steht in einem Vermerk eines Münchner Kriminalhauptkommissars. Der Fahnder arbeitet der Staatsanwaltschaft in München zu, die im Fall Ferrostaal ermittelt.

Nach den Erkenntnissen der Strafverfolger hat die Essener Handelsgesellschaft, die rund um den Globus deutsche Produkte bis hin zu U-Booten verkauft und Industrieanlagen errichtet, bei der Einwerbung von kleinen und großen Aufträgen viele Jahre lang mit Schmiergeld nachgeholfen. Auch zu Zeiten von Mitscherlich als Vorstandschef. Und selbst dann noch, als der Siemens-Skandal die heimische Wirtschaft längst aufgeschreckt hatte.

Seit Ende 2006, seit einer Großrazzia bei Siemens, war klar: Die Behörden dulden Auslandskorruption deutscher Unternehmen nicht länger, auch wenn Bestechung in vielen Staaten üblich ist. Goldlocke wurde 2008 bezahlt, später flog das auf. Die Ferrostaal-Affäre hat Mitscherlich im Frühjahr 2010 seinen Job in Essen gekostet. 2009 war der gelernte Jurist aus dem Vorstand des Lastwagen-Konzerns MAN in München ausgeschieden. Damals verkaufte MAN Ferrostaal an einen Staatsfonds aus Abu Dhabi am Persischen Golf.

Nun schlägt sich der frühere Chef in Essen mit der Staatsanwaltschaft herum, die auch gegen ihn ermittelt; und mit seinem alten Arbeitgeber, der ihn rausgeworfen hat und Schadenersatzansprüche prüft. Mitscherlich äußert sich dazu öffentlich nicht, solange die Untersuchungen laufen. Im alten Ferrostaal-Management wird erzählt, dass er sich ungerecht behandelt fühlt, alle Schuld von sich weist und dem neuen Vorstand anlastet, die Firma nicht gut zu führen.

Es liege bestimmt nicht an ihm, wenn es Ferrostaal nun schlecht gehe. Auch habe er nichts von den Zahlungen an Goldlocke gewusst, er habe nicht einmal diesen Decknamen gekannt, er habe nichts mit der Akquisition des Auftrags aus Argentinien für eine Ferrostaal-Partnerfirma zu tun gehabt. Dieses Geschäft sei so klein gewesen, dass sich der Vorstand erst gar nicht damit beschäftigt habe.

Ein paar Fragen bleiben, auch in Anbetracht von Mitscherlichs Familiengeschichte. Er ist der Sohn der bekannten Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich. Schon als Jugendlicher lernte er Leute wie den Spiegel-Gründer Rudolf Augstein und den Philosophen Jürgen Habermas kennen, der ihm zum väterlichen Freund wurde.

Vorstand wollte gegen die Korruption kämpfen

Habermas hat über "Systemversagen" und "normative Korruption" geschrieben. Haben die Systeme bei Ferrostaals versagt, und falls ja, war das Mitscherlichs Schuld? Interne Prüfberichte von MAN aus den Jahren 2007 und 2008 über Ferrostaal besagen, dass die Abteilung Compliance, die für saubere Geschäfte sorgen sollte, ein Desaster war. Waren die falschen Leute an den falschen Stellen?

2005 hatte ein neues Vorstandsmitglied bei Ferrostaal intern angekündigt, den Augias-Stall bei Provisionen im Marine-Bereich auszumisten. Augias-Stall meint korrupte Zustände. 2008 musste dieser Manager vorzeitig gehen, angeblich wegen mangelnder Team-Arbeit. Der Manager erzählte später der Staatsanwaltschaft als Zeuge, er sei wohl deshalb ausgetauscht worden, weil er im Vorstand eindeutig Position bezogen habe: für saubere Geschäfte. Vielleicht war er damit im falschen Team.

Der Deal mit Goldlocke war bestimmt nicht sauber. Der Jurist aus Buenos Aires soll Ferrostaal-Leuten erklärt haben, er müsse Leuten im Verteidigungsministerium und bei der Marine Geld für das Millionengeschäft geben. Die Ferrostaal-Partnerfirma, die den Auftrag bekam, zahlte sechs Prozent Provision, mittels eines Scheinvertrags, und über den Umweg Uruguay. Zuvor hatten Ferrostaal-Mitarbeiter in Mails konspirativ notiert, Goldlocke solle sich um die "blauen Jungs", also um die Marine kümmern.

Mitscherlich habe von allem nichts gewusst, wird im alten Management beteuert. Sollte es zu Schadenersatzansprüchen, einem Strafbefehl oder gar eine Anklage gegen ihn kommen, dann werde er sich wehren. Mitscherlich habe ein reines Gewissen.

© SZ vom 09.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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