Ferrostaal: Korruptionsaffäre:504.514 Euro, 97 Cent

Verbrannte Erde: Der frühere Ferrostaal-Chef Matthias Mitscherlich hat seit Mai kein Gehalt mehr bekommen. Er ist empört. Sein Fall zeigt einmal mehr, dass das Klima in Chefetagen sehr rau geworden ist.

Hans Leyendecker

3. Mai 2010: der Tag, an dem Ferrostaal-Vorstandschef Matthias Mitscherlich gefeuert wird. Auf zwei Seiten informiert ihn Georg F. Thoma, der Aufsichtsratsvorsitzende, "wegen grober Pflichtverletzung" werde Mitscherlichs Bestellung zum Vorstandsmitglied widerrufen. "Aus wichtigem Grund" erfolge die Kündigung fristlos. "Unverzüglich" müsse er alle im Eigentum der Firma befindlichen Gegenstände und Unterlagen zurückgeben, "insbesondere" den Dienstwagen - "mit freundlichen Grüßen".

Aufsichtsrat: Ferrostaal-Vorsitzender Mitscherlich muss gehen

Am 3. Mai 2010 entschied der Aufsichtsrat von Anlagenbauer Ferrostaal, dass der Chef Matthias Mitscherlich gehen müsse - und zwar sofort. Jetzt kämpft der Sohn des Psychoanalytikerehepaars Mitscherlich vor Gericht um seine Abfindung. Ein Strafverfahren läuft ebenfalls - aber viel zu befürchten hat der ehemalige Chef davon nicht.

(Foto: ddp)

Seitdem hat der 62-Jährige keinen Euro Gehalt mehr bekommen. Das etwas ungewöhnliche Angebot, ein Schiedsgericht solle eines Tages über eine etwaige Vergütung und eine Abfindung befinden, hat der geschasste Chef von Ferrostaal abgelehnt. Da ist man vor einem ordentlichen Gericht schon sicherer.

Nächsten Monat, ein Dreivierteljahr nach dem Rauswurf, ist es so weit. Die Kontrahenten treffen sich erstmals vor einem Richter. Matthias Mitscherlich hat bei der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen eine Klage eingereicht. Vorläufiger Streitwert: 504.514,97 Euro. Die Summe setzt sich zusammen aus der Vergütung und den Nebenleistungen für die drei Monate, die Mitscherlich im Fall einer ordentlichen Kündigung geblieben wären, sowie aus der ersten Teilzahlung der vertraglich vereinbarten Abfindung.

Vier Millionen Euro im Höchstfall

Der ehemalige Chef des vor allem im Großanlagenbau tätigen Konzerns (Jahresumsatz: rund 1,6 Milliarden Euro) hatte ein Jahresgehalt von 515.000 Euro brutto plus einer erfolgsabhängigen Vergütung. Die Tantiemen lagen in den letzten Jahren in der Regel bei etwa 1,2 Millionen Euro per annum. Mitscherlich behält sich in der Klage die "Geltendmachung weiterer Ansprüche vor". Wie sich aus den der Kammer vorliegenden Unterlagen ergibt, wären das nach Berechnungen seines Anwalts im Höchstfall 4,147 Millionen Euro. Das Essener Unternehmen bestreitet die Ansprüche.

Gefeuerte Vorstandsvorsitzende unter Druck

Das Klima in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft ist sehr rau geworden. Von den Anfang 2005 beschäftigten 190 Dax-Vorständen sind die meisten nicht mehr im Amt; viele von ihnen gingen unfreiwillig. Fristlose Kündigung und sofortiger Gehaltsstopp sollen die Gefeuerten unter Druck setzen, um sie am Ende möglichst billig loszuwerden. Manchmal bleibt am Ende, wie im Fall Mitscherlich, nur noch verbrannte Erde.

Ferrostaal

Im Zuge der Korruptionsaffaire hat sich bei Ferrostaal personell einiges geändert: Drei von fünf Vorständen wurden seither abgelöst. Jetzt ist das Unternehmen um Frieden mit der Staatsanwaltschaft bemüht.

(Foto: dpa)

Wenn früher jemand entlassen wurde, ging es meist um die Kassenlage: "Entweder ändern sich die Zahlen oder die Gesichter", war der Lieblingsspruch des Unternehmers Friedrich Flick, den sie an der Börse "Geier" nannten. Wenn heute ein Topmanager wie Mitscherlich entlassen wird, geht es um atmosphärische Spannungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, aber vor allem um neumodische Dinge wie Compliance und Corporate Governance.

Ex-Ferrostaal-Chef Mitscherlich hat in den USA als Rechtsanwalt gearbeitet, er ging später als Anlagenbauer nach Nigeria und dann nach Griechenland. Seit 2003 stand er dem Essener Konzern vor. Der Vater von vier Kindern ist der Sohn von Alexander Mitscherlich (1908 - 1982) und dessen heute 93 Jahre alter Frau Margarete, die beide als Psychoanalytiker arbeiteten und mit ihren Werken wie "Die Unfähigkeit zu trauern" die Studentenbewegung stark beeinflusst haben. Auf die Frage, welche Werte sie ihrem Sohn weitergeben wollte, hat die Mutter gesagt: "Toleranz, Einfühlung in die Menschen, vorurteilsfreies Denken und Handeln, Kritikfähigkeit sich selbst und anderen gegenüber."

Das Unternehmen und sein damaliger Vorstandschef waren Anfang 2010 unter Druck geraten. Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte gegen damalige Ferrostaal-Manager ein voluminöses Korruptionsverfahren eingeleitet. Auch Mitscherlich, der immer erklärt hatte: "Wir schmieren aus Prinzip nicht", bekam ein Aktenzeichen. Die Akte Ferrostaal enthält verdächtige Geschäfte in Portugal, Griechenland, Argentinien und Ägypten. Ein nicht unbedeutender Fall.

Kronzeuge der Ermittler war ein früherer Ferrostaal-Manager, der in Untersuchungshaft saß, weil er im Verdacht steht, eine Menge Geld in die eigene Tasche gelenkt zu haben. Der ehemalige Mitarbeiter hatte bei der Staatsanwaltschaft einige Führungskräfte von Ferrostaal stark belastet. Seine Aussagen wurden Mitscherlich vom Aufsichtsrat vor dem Rauswurf in einer zehn Seiten langen schriftlichen "Anhörung" vorgehalten, wegen des "Verdachts strafbarer Handlungen und/oder schwerwiegender Pflichtverletzungen".

Gewagte Behauptungen

Andreas Pohlmann

Andreas Pohlmann, ehemals Korruptionsbeauftragter von Siemens, wechselte nach Mitscherlichs Weggang in den Ferrostaal-Vorstand. Gemessen an der Unternehmensgröße übertreffe der Fall Ferrostaal die Dimensionen bei Siemens, sagte der Aufräumer. Ein System schwarzer Kassen wie bei Siemens wurde jedoch bislang nicht entdeckt.

(Foto: picture alliance / dpa)

In dem Schriftstück finden sich Formulierungen wie: Die Staatsanwaltschaft München I halte die Aussage des Zeugen "offenbar für glaubwürdig", was Mitscherlich stark belastete. In einem dem Aufsichtsrat vorliegenden "Protokoll über die Vernehmung", heißt es weiter, seien zwar die "relevanten Passagen geweißt" worden, aber diese Passagen dürften vermutlich Angaben des Zeugen über Scheinverträge behandeln.

Wenn geweißte Stellen zu Vorhaltungen gegenüber einem Vorstandschef führen, werden, vorsichtig formuliert, Vorgänge anders als früher bewertet.

Der Fall Mitscherlich/Ferrostaal wirft ein paar grundsätzliche Fragen auf. Was passiert in deutschen Unternehmen, wenn die Staatsanwaltschaft im Haus ist und in Sachen Schmiergeldverdacht ermittelt? Bei Ferrostaal hat sich nach dem Rauswurf von Mitscherlich, für den die Unschuldsvermutung gilt, personell eine Menge geändert. Neue Leute sind gekommen wie der Anti-Korruptions-Fachmann Andreas Pohlmann, der vorher bei Siemens war und bei Ferrostaal Vorstand wurde. Gemessen an der Unternehmensgröße übertreffe der Fall Ferrostaal die Dimensionen bei Siemens, erklärte der Aufräumer. Eine Zeitung machte daraus: "Ferrostaal-Schmiergeldaffäre - schlimmer als bei Siemens".

Diese Behauptung ist sehr gewagt. Im Korruptionsfall Siemens ging es um 1,3 Milliarden Euro Schmiergeld und um ein weit verzweigtes System schwarzer Kassen. Bei Ferrostaal geht es um zum Teil sehr fragwürdige Beraterverträge und um eine streng riechende Unterstützung bei einigen ausländischen Geschäften. Aber die schwarze Kasse wurde noch nicht gefunden.

Im Strafverfahren gegen den ehemaligen Vorstandschef Mitscherlich wäre nach derzeitigem Stand eine Einstellung nach Paragraph 153 a der Strafprozessordnung gegen Zahlung einer Geldauflage noch eine vergleichsweise harte Sanktion, die Mitscherlich vermutlich nicht akzeptieren würde. Ob er die Einstellung des Verfahrens erreicht, ist noch ungewiss. Strafrechtliche Vorwürfe gegen ehemalige Spitzenleute, die eine Weile in Untersuchungshaft waren, sind inzwischen deutlich abgeschmolzen.

Wie viel ist der Frieden wert?

Die Münchner Staatsanwaltschaft spielt sich - diese Erkenntnis gilt im Ferrostaal-Fall besonders - nicht als letzte Bastion vor dem Weltuntergang auf. Das Verfahren ist aus Münchner Sicht nicht überhitzt. Aufgeregter sind die neuen Herren in Essen. Nach dem Rauswurf Mitscherlichs habe sich das Gesprächsklima mit der Staatsanwaltschaft spürbar gebessert, triumphierte die neue Ferrostaal-Führung. Hängt das Wohl eines Unternehmens von der guten Beziehung zu einer Staatsanwaltschaft ab?

Verfahren nicht überhitzt

Seit Monaten laufen zwischen Strafverfolgern und Managern die in solchen Fällen üblich gewordenen Verhandlungen über die Zahlung von Unternehmensbußen und Gewinnabschöpfung. In den Fällen Siemens und MAN sind Zahlungen in hoher dreistelliger Millionenhöhe erfolgt. Im Fall Ferrostaal steht eine Summe von rund 200 Millionen Euro im Raum, ein Achtel des Jahresumsatzes. Bislang gibt es nur Entwürfe für eine Einigung in den Ordnungswidrigkeitsverfahren. Der Leiter der Staatsanwaltschaft München I, Manfred Nötzel, hat noch nichts unterschrieben.

Die bisher vorliegenden Entwürfe der Bußgeldbescheide sind dünne Ware. Da wird auf Zeitungsartikel verwiesen, in denen schon 1999 und 2003 über angebliche Korruptionsfälle bei Ferrostaal berichtet wurde; die Behörde weist darauf hin, dass die internen Regelungen im Umgang mit Beraterverträgen in der Ära Mitscherlich "unzureichend" gewesen seien. Der Vorstand habe den für den Erfolg von Compliance-Maßnahmen häufig entscheidenden "tone from the top vermissen lassen". Nach den Vorstandsprotokollen sei Compliance bis Mitte 2009 kein Thema in einer Vorstandssitzung gewesen.

Wegen eines "lückenhaften Compliance-Systems" sei es zwischen 2005 und 2009, also in der Ära Mitscherlich, zu "Bestechungszahlungen für die Erlangung von Aufträgen im Ausland" gekommen. Das sind, neben einigen anderen Punkten, schon gravierende Vorwürfe. Aber die neue Zeit bringt weitere neue Fragen mit sich: Wie viel ist ein Friedensschluss mit der Staatsanwaltschaft wert? Und: Kann es Untreue gegenüber dem Unternehmen sein, wenn ein Strafgeld gezahlt wird, das eigentlich unverhältnismäßig ist?

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