Korruption:Siemens, der nächste Prozess

Erstmals soll ein ehemaliger Top-Manager von Siemens vor Gericht erscheinen. Er soll in das Schmiergeldsystem eingebunden gewesen sein.

Klaus Ott

Es wird noch einmal spannend im Korruptionsfall Siemens, dem dunkelsten Kapitel in der mehr als 160-jährigen Geschichte des Industrieunternehmens und einem der größten Wirtschaftsdelikte in der Bundesrepublik.

Siemens, ddp

Es wird noch einmal spannend im Fall Siemens: Der ehemalige Finanzvorstand der Kommunikationssparte muss vor Gericht.

(Foto: Foto: ddp)

Als erster Ex-Manager aus dem engeren Führungskreis soll nach Informationen der Süddeutschen Zeitung in den nächsten Monaten Michael Kutschenreuter vor Gericht kommen. Der frühere Finanzvorstand der Konzernsparte Telekommunikation (Com) hat schon frühzeitig gestanden, in das Schmiergeldsystem bei Siemens eingebunden gewesen zu sein. Bei seinen Vernehmungen hat der Com-Manager ehemalige Zentralvorstände wie den früheren Siemens-Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger schwer belastet. Das könnte vor Gericht zur Sprache kommen. Neubürgers Anwalt äußerte sich dazu nicht.

Kutschenreuter soll zusammen mit zwei weiteren ehemaligen Com-Angestellten angeklagt werden. Die Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft gegen diese drei Beschuldigten sind inzwischen weitgehend abgeschlossen. Oberstaatsanwalt Anton Winkler sagte auf Anfrage, man konzentriere sich derzeit "unter anderem auf diese drei Personen". Weitere Angaben zu diesen Beschuldigten machte Winkler nicht.

1,4 Milliarden Euro in dunklen Kanälen

Wann die geplante Anklage vorliegt, hängt vor allem von möglichen Anregungen der Verteidiger der drei Beschuldigten ab. Sie könnten zusätzliche Ermittlungen für notwendig halten, um zu belegen, dass die eigentliche Schuld für die Korruptionsdelikte bei Siemens nicht bei ihren Mandaten, sondern beim früheren Zentralvorstand liege. Das könnte das mögliche Strafmaß senken. Die Anwälte des ehemaligen Com-Finanzvorstands äußern sich nicht zu den Vorwürfen und zum Stand der Dinge.

In einem fast 500 Seiten umfassenden Ermittlungsbericht des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) wird Kutschenreuter und den beiden anderen ehemaligen Com-Angestellten angelastet, am System der schwarzen Kassen mitgewirkt zu haben. Konkret aufgelistet sind Mittel in Höhe von knapp 70 Millionen Euro, mit denen Geschäftspartner, Behörden und Regierungen in mehr als 60 Ländern von Ägypten über die Mongolei bis Zypern bestochen worden seien, um lukrative Aufträge für den Auf- und Ausbau von Sendenetzen oder die Lieferung von Telekommunikationsanlagen zu erhalten. Diese Fälle dürften nur einen kleinen Teil des tatsächlichen Ausmaßes der Korruption bei Siemens darstellen, steht in dem LKA-Report.

Insgesamt sind nach Angaben von Siemens allein in den Jahren 2000 bis 2006 rund 1,4 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geflossen. Bei Siemens war quer durch den größten Teil der damaligen zehn Unternehmensbereiche Schmiergeld gezahlt worden, von Com über die Medizintechnik bis hin zum Kraftwerksbau. Die Staatsanwaltschaft hat zeitweise gegen mehr als 300 Beschuldigte ermittelt und kommt dreieinhalb Jahre nach Beginn der Recherchen nunmehr zügig voran. Im vergangenen Jahr sprach das Landgericht München die ersten Urteile. Drei Verwalter schwarzer Kassen bekamen wegen Veruntreuung von Konzernvermögen beziehungsweise Beihilfe zur Untreue und zur Bestechung Freiheitsstrafen auf Bewährung und, in zwei Fällen, Geldstrafen. Inzwischen sind nach Angaben von Oberstaatsanwalt Winkler weitere fünf Beschuldigte im Wege von Strafbefehlen, also ohne Gerichtsverhandlungen, belangt worden.

Viele Verfahren erledigt

Man habe Freiheitsstrafen auf Bewährung sowie Geldstrafen zwischen 10.000 und 290.000 Euro verhängt, sagte Winkler. Bei einigen anderen ehemaligen Siemens-Mitarbeitern seien die Verfahren wegen geringer Schuld gegen Zahlungen zwischen 12.000 und 30.000 Euro beendet worden. Ein inzwischen mittelloser Siemensianer müsse 300 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Bei 40 Beschuldigten habe man die Ermittlungen eingestellt, weil die mutmaßlichen Taten verjährt oder nicht nachweisbar gewesen seien oder sich diese Siemens-Angestellten nichts hätten zu schulden kommen lassen, so Winkler.

Die Staatsanwaltschaft will den größten Teil der Beschuldigten, bei denen es sich um Mitarbeiter aus unteren oder mittleren Konzernbereichen handelt, nicht vor Gericht bringen, sondern diese Verfahren mit Strafbefehlen oder Geldbußen beenden. Die Strafverfolger wollen nur diejenigen Manager und Angestellten anklagen, die aus ihrer Sicht die Hauptverantwortlichen für das frühere Schmiergeldsystem sind oder wesentlich dazu beigetragen haben sollen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch Ex-Zentralvorstände wie Uriel Sharef vor Gericht kommen, gegen die schwere Anschuldigungen vorliegen. Sharefs Anwalt äußerte sich dazu nicht.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Neubürger, Sharef und zwei weitere Ex-Zentralvorstände wegen des Verdachts von Straftaten. Gegen zehn frühere Vorstände, darunter die ehemaligen Konzernchefs Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld, laufen Ordnungswidrigkeiten-Verfahren, weil sie ihre Aufsichtspflichten bei Siemens vernachlässigt und so die weltweite Korruption möglich gemacht haben sollen. Solche Verstöße können mit einer Geldbuße von maximal einer Million Euro geahndet werden. Pierer und Kleinfeld bestreiten jede Mitschuld an der Affäre. Oberstaatsanwalt Winkler sagte, in allen diesen Fällen dauerten die Ermittlungen noch an.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: