Korruption in Albanien:Bankräuber von der Zentralbank

Ardian Fullani

Ardian Fullani, Zentralbankchef Albaniens, saß zwischenzeitlich in Haft. Mittlerweile wurde er abgesetzt.

(Foto: AP)

Wie im Spielcasino: Jahrelang hat sich ein Mitarbeiter der Zentralbank von Albanien einfach Geld aus dem Tresor geholt. Seine Kollegen wussten Bescheid.

Von Florian Hassel, Belgrad

Die Fußballweltmeisterschaft brach Ardian Bitraj das Genick. Bitraj, seit zwei Jahrzehnten im Dienste der Zentralbank Albaniens, pflegte eine für einen Banker unpassende Leidenschaft: Spielsucht. Während der Fußball-WM wurde Bitrajs Wettleidenschaft so überwältigend, dass sich der Banker täglich neues Geld besorgte, um es in den Wettstuben von Tirana auf die nächsten Spielausgänge zu setzen.

In der Zentralbank war Bitraj dafür zuständig, alte Banknoten aus dem Verkehr zu ziehen und neue in Umlauf zu bringen. Während der WM steckte sich Bitraj jeden Abend kurz vor Feierabend neues Geld in die Taschen - bis ihn Mitte Juli die Polizei festnahm. Mit der Verhaftung begann ein Skandal, der zeigt, dass das erst im Juni zum EU-Kandidaten beförderte Drei-Millionen-Einwohner-Land beim Kampf gegen verbreitete Korruption und Selbstbedienung in Staatsämtern noch einen weiten Weg vor sich hat.

Der festgenommene Banker legte ein umfassendes Geständnis ab. Demzufolge plünderte er die Bestände der Zentralbank bereits seit vier Jahren. Meist bediente sich Bitraj bei frischen Banknoten, die Albanien in der Schweiz drucken lässt und die Bitraj in Umlauf bringen sollte. Gelegentlich aber griff der Banker auch bei alten Banknoten zu, die er eigentlich vernichten sollte. Geschätzter Schaden: 713 Millionen Lek, umgerechnet 5,1 Millionen Euro.

Noch explosiver als der Dauerdiebstahl an sich waren die von den Ermittlern gegenüber albanischen Medien ausgebreiteten Details, wie er überhaupt zustande kommen konnte. Der Zentralbanktresor in der Nähe der Hauptstadt Tirana, in dem die frischen Banknoten aufbewahrt werden, ist mit drei Schlössern gesichert. Um Selbstbedienung auszuschließen, müssen die drei Schüssel drei verschiedenen Bankangestellten anvertraut werden. Tatsächlich aber hatte Bitraj alle drei Schlüssel und verfügte über den Tresor nach Belieben. An die Stelle der Banknotenbündel stellte der diebische Banker alte Bücher - was niemandem auffiel, weil vorgeschriebene Inspektionen nicht stattfanden.

Zudem wussten der Staatsanwaltschaft zufolge auch andere Bankangestellte vom jahrelangen Plünderzug Bitrajs, meldeten ihn aber nicht. Kurzum: Die Zentralbank erinnerte eher an ein Spielcasino auf einer Pirateninsel denn an die zentrale Geldinstitution eines EU-Kandidaten. Der Skandal ist auch deshalb besonders peinlich, weil das mit stagnierender Wirtschaft und steigenden Schulden kämpfende Albanien auf Kredite des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank angewiesen ist und die Solidität der Zentralbank eine wichtige Rolle spielt.

Seit Bitrajs Festnahme zog der Skandal weite Kreise: Die Ermittler glauben, dass der diebische Banker nicht allein handelte und die bisher festgestellten Diebstähle womöglich nur die Spitze eines Eisbergs sind. Bisher nahm die Polizei 19 Bankmitarbeiter fest - darunter alle, die für Tresore in Zentralbankfilialen außerhalb der Hauptstadt Tirana zuständig sind.

Haben Abgeordnete Verbindungen zu Drogenhändlern?

A view showing the building of Albania's central bank, in Tirana

Die Zentralbank von Albanien in der Hauptstadt Tirana: Hier nahm sich ein Mitarbeiter regelmäßig Geld aus dem Tresor.

(Foto: Arben Celi/Reuters)

Am 5. September wurde auch der Zentralbankchef festgenommen: Ardian Fullani, ein Karrierebanker und seit einem Jahrzehnt an der Spitze der Zentralbank. Als Fullani am 15. September vor dem Haftrichter stand, nannte er alle Vorwürfe politisch motiviert. Er habe "immer korrekt und ehrlich gearbeitet". Das Mindeste aber, was der Zentralbankchef sich offenbar zuschulden kommen ließ, ist mangelnde Aufsicht: Der Posten des Zentralbankvizes, der für interne Kontrollen und Überprüfungen zuständig ist, ist seit 2006 unbesetzt - Fullani hätte für seine Neubesetzung sorgen müssen.

Ebenso wurde Bitraj, der mit der Verantwortung für den Notenumlauf ja einen Schlüsselposten innehatte, offenbar nie gründlich durch die hauseigene Revision und den albanischen Sicherheitsdienst überprüft, wie eigentlich für jedes Jahr vorgeschrieben.

Außerhalb der eigenen Tresorräume sorgte Albaniens Zentralbank unter Fullanis Leitung mit disziplinierter Geldpolitik mit dafür, dass die heimische Währung weitgehend stabil ist. Doch schon einige Monate vor dem Skandal um den diebischen Mitarbeiter fiel der Zentralbankchef auf, als er bei einer Feier seines Sohnes die Gäste mit Champagner bewirtete und Tausende Euro verteilte. Zwar ist Luxusleben auch bei hohen Beamten und Ministern in Albanien nicht selten - Fullanis Pech aber war, dass ein Fotograf anwesend war. Und so forderten Demonstranten schon vor dem Tresorskandal Fullanis Entlassung. Am Donnerstag vergangener Woche feuerte das albanische Parlament den Zentralbankchef mit großer Mehrheit. Bei einem Prozess drohen ihm bis zu sieben Jahre Gefängnis. Regierungschef Edi Rama zufolge soll ein international renommierter Fachmann neuer Zentralbankchef werden.

Das Vorgehen gegen Fullani ist der erste Fall, in dem die im Sommer 2013 ins Amt gewählte Rama-Regierung einen prominenten Staatsdiener verhaftet. Entschiedeneres Vorgehen gegen Korruption gehört zu den zentralen Forderungen der EU, damit mit dem EU-Kandidaten Albanien auch tatsächlich Beitrittsgespräche aufgenommen werden. Fraglich bleibt indes, ob Fullani nur ein Bauernopfer ist oder es Rama ernst meint mit seiner Ankündigung, Albanien werde sich ändern.

Strukturell hat Albanien etliche weitere, wahrscheinlich noch gewichtigere Probleme. So ist das Land nicht nur wichtiges Transitland beim Transport von Drogen aus Asien nach Europa, sondern auch selbst Großproduzent von Cannabis. Italienische Drogenfahnder schätzen den Wert der jährlichen Drogenernte Albaniens auf einen Marktwert von 4,5 Milliarden Euro - die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes. Mitte Juni gingen 800 Polizisten kamerawirksam gegen die Drogenhochburg Lazarat vor und beschlagnahmten 13 Tonnen Marihuana, 80 000 Setzlinge und etliche Waffen. Doch Albanien hat weitere Bergregionen, die noch mehr Rauschgift produzieren als Lazarat - und dort wurde noch nichts über ein Vorgehen der Regierung bekannt.

Der damalige US-Botschafter John Withers meldete schon im August 2009 nach Washington, alle führenden Parteien Albaniens - auch die 2013 an die Macht gewählte Sozialistische Partei Edi Ramas und der Koalitionspartner LSI - hätten "alle Abgeordnete mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen ... Drogenhändlern und Geldwäschern" und führte etliche Namen auf. Fast alle finden sich auch im aktuellen Parlament Albaniens.

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