Süddeutsche Zeitung

Korruption:Die zwei Gesichter des Alexander B.

Mehr als ein Jahrzehnt lang soll ein prominenter Staatsanwalt in Hessen nebenbei an seinen Verfahren verdient haben. Vor Gericht gesteht er die Korruption und versucht zu erklären, wie es so weit kommen konnte.

Von Jan Diesteldorf, Frankfurt

Am Freitagmorgen kommt Alexander B. zu seinem bisher wohl schwierigsten Vortrag. Um kurz vor zehn betritt er den Saal im Frankfurter Justizzentrum, das ihm mehr als 20 Jahre lang Dienstort war, trägt Handschellen und balanciert einen Ordner mit seiner Akte auf den Unterarmen. Seine Tränensäcke lassen eine unruhige Nacht im Gefängnis vermuten. Er wird an diesem Vormittag eine Lebensbeichte ablegen, intime Details verraten über seinen gewalttätigen Vater und über sein Liebesleben. Er wird gestehen, über Jahre hinweg Schmiergeld eingenommen zu haben in Strafverfahren, die er selbst führte. Er könne der Staatsanwaltschaft "dankbar sein, dass sie mich aus diesem Sumpf herausgezogen hat", wird er später von der vorletzten von 19 Seiten ablesen. "Ich hätte das allein nicht geschafft."

Ausgerechnet er, der prominente Korruptionsbekämpfer, ein bundesweit gefragter Experte für Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen, soll Hunderttausende Euro für sich abgezweigt haben? Seine Kollegen in der Behörde waren entsetzt, als B. im Sommer vor zweieinhalb Jahren verhaftet wurde. In der eng vernetzten hessischen Juristenszene war man fassungslos. Denn B. war ein idealtypischer Oberstaatsanwalt, überkorrekt, preußisch im Auftreten, makellos im Ausdruck. Einer, der die Politikerfloskel von der "Härte des Rechtsstaats" mit Leben füllen konnte, nicht zuletzt als Sprecher der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft. Manch einer scherzte, B. sei der heimliche Behördenchef.

Mit dem Zugriff in seinem Büro Ende Juli 2020 stürzte diese Fassade ein. Etwa zwei Jahre danach, im vergangenen Sommer, schickten die Ermittler dem Landgericht eine 260-seitige Anklageschrift. Sie zählen 101 Fälle der fortgesetzten und gewerbsmäßigen Bestechlichkeit, schwere Untreue in 55 Fällen und mehrere Fälle der Steuerhinterziehung. 645 000 Euro Vermögensschaden für das Land Hessen, allein in den noch nicht verjährten Fällen.

Das System B. war so einfach wie effizient

Seit dem Tag seiner Festnahme sitzt B. in Untersuchungshaft, unterbrochen von vier Monaten in Freiheit. Er habe schon in den ersten Wochen im Gefängnis damit begonnen, sein Scheitern aufzuarbeiten, sagt er im Prozess. Er nehme Therapiestunden, habe seine Steuerschulden und andere Beträge beglichen, sei bereit, "strafrechtlich und persönlich" die Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. "Ich habe das Vertrauen meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen schwer missbraucht", sagt er, "und dem Ansehen der hessischen Justiz insgesamt schweren Schaden zugefügt."

Das System B. war so einfach wie effizient. Als Chef der "Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten im Gesundheitswesen" war er vor allem mutmaßlichen Abrechnungsbetrügern auf der Spur. Er brachte Apotheker vor Gericht, die doppelt abrechneten, ermittelte gegen Ober- und Chefärzte in Krankenhäusern, er enttarnte Fahrdienste, die jahrelang die Krankenkassen betrogen. Vor allem aber soll er absichtlich eine beachtliche Zahl an eingestellten Verfahren produziert haben, bei denen die Staatskasse die Kosten trug und an denen er stets mitverdiente. Viele dieser Verfahren hätten wohl nie so geführt werden dürfen.

"Mir war der Unrechtsgehalt meines Vorgehens bewusst"

Gemeinsam mit einem ebenfalls angeklagten Schulfreund und Unternehmer hatte er 2005 eine Firma gegründet, die er mit Gutachtertätigkeiten beauftragte. Allein von 2010 bis 2020 habe das Unternehmen 12,5 Millionen Euro auf Kosten der Staatskasse eingenommen, heißt es in der Anklage. Die wahren Eigentumsverhältnisse blieben der Justiz verborgen - es hatte aber auch niemand nachgefragt, von Selbstkontrolle der Behörde keine Spur. 280 000 Euro soll B. von dieser Firma erhalten haben, überwiesen auf ein Konto seines mitangeklagten Schulfreunds, für das B. Karten und Zugangsdaten besaß. Weitere 66 000 Euro soll B. von einer zweiten Firma kassiert haben.

"Mir war der Unrechtsgehalt meines Vorgehens bewusst", sagt er am Freitag. Zuvor hat er die Überforderung seiner Mutter beschrieben und die Alkoholkrankheit seines übergriffigen Vaters, hat erzählt, wie er sich in die Arbeit stürzte, um seine inneren Abgründe zu verdrängen. Und er hat über das Glück gesprochen, das er anfangs mit seiner langjährigen Lebensgefährtin empfunden habe, eine seiner Gutachterinnen, bereits Mutter von zwei Kindern. Sie habe nicht mit Geld umgehen können, und er habe sie finanziell ausgehalten, mit Bestechungsgeld, immer weiter. Am Ende war sie es, die B. anzeigte. Jetzt droht ihm eine langjährige Haftstrafe. Kommende Woche geht es weiter, mit einer Aussage des mitangeklagten Freundes von B.

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