Die EU braucht schärfere Regeln im Umgang mit Lobbyismus und dem Einfluss von autoritären Staaten, fordert der gemeinnützige Verein Lobbycontrol. "Katargate, Kaviar-Diplomatie und Parlamentarier, die mutmaßlich Geld aus Russland erhalten haben: Die Funktionsfähigkeit der Demokratie ist gefährdet", sagte Imke Dierßen, Geschäftsführerin von Lobbycontrol, bei der Vorstellung des EU-Lobbyreports 2024 am Donnerstag.
Vor den anstehenden EU-Wahlen im Juni haben Bürger das Vertrauen in die europäischen Institutionen verloren. In vielen EU-Staaten denken über die Hälfte der Menschen, dass die Politiker in Brüssel korrupt seien, das zeigen Umfragen von Eurobarometer. Vor allem "Katargate" sorgte für Erschütterung: Belgische Ermittler fanden im Dezember 2022 einige Säcke voller Bargeld in der Wohnung der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Eva Kaili. Die Sozialistin aus Griechenland kam wegen Korruptionsverdachts in Untersuchungshaft. Darüber hinaus hat die Generalstaatsanwaltschaft München im Januar gegen zwei frühere Bundestagsabgeordnete Anklage wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern erhoben. Eduard Lintner (CSU) und Axel Fischer (CDU) sollen Geld aus Aserbaidschan angenommen haben - Stichwort: Kaviar-Diplomatie. Gegen den EU-Parlamentarier Maximilian Krah (AfD) hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden zwei Vorermittlungsverfahren eingeleitet. Es geht um die Frage, ob er Geld aus Russland und China bekam. Der Einfluss aus autoritären Staaten auf EU-Parlamentarier wächst. Im Februar 2024 schrieb der Vizechef des russischen Sicherheitsrats, Dmitrij Medwedjew, Russland müsse bei der Europawahl "offen sowie verdeckt" die "nicht-systemische" Opposition in Deutschland unterstützen.
Doch auch der Druck von Wirtschaftslobbyisten wird immer stärker. "Mindestens 55 Prozent der Einträge im EU-Lobbyregister können als Teil der Lobby für Unternehmen gewertet werden. Dazu zählen ihre Verbände sowie Kanzleien, Agenturen und Thinktanks, die in der Regel von der Privatwirtschaft angeheuert werden", heißt es im Lobbyreport. Demnach würden sich hingegen nur 30 Prozent der Lobbygruppen primär für gemeinwohlorientierte Anliegen wie Menschen- und Arbeitsrechte, Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz einsetzen.
Wenn sich EU-Politiker in bestimmten Funktionen mit Wirtschaftslobbyisten und Interessenvertretern aus Drittstaaten treffen, müssen sie das offenlegen. Doch das geschieht nur selten. Ein Grund: Es gibt keine Sanktionen. "Das Problem ist die Selbstkontrolle des Parlaments, es fällt Menschen, die jeden Tag zusammenarbeiten, schwer, plötzlich Sanktionen gegen jemanden zu beschließen", sagt Nina Katzemich, Co-Autorin des Lobbyreports. "Man braucht eine unabhängige Behörde, die Verstöße gegen die Transparenzpflicht auch streng ahndet. Doch leider fehlt dazu der politische Wille."
"Bislang wurde vom EU-Parlament noch nie eine Strafe verhängt bei Verstößen gegen die Transparenzpflicht", sagt Lobbycontrol-Experte Aurel Eschmann. "Nicht einmal die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält sich an die Regeln, denn sie hat sich zuletzt mit einer nicht eingetragenen Lobbyorganisation getroffen", sagt Eschmann, der den Report mitverfasst hat.
Auch Interessenkonflikte sind möglich, wie Lobbycontrol schreibt. Der Verhaltenskodex verbietet EU-Abgeordneten zwar eine bezahlte Lobbytätigkeit in direktem Zusammenhang mit den Entscheidungsprozessen der EU. "Doch fast ein Drittel der EU-Abgeordneten geht neben dem Mandat bezahlten Nebentätigkeiten nach und beinahe jede achte davon ist für eine Organisation, die im Lobbyregister der EU zu finden ist", heißt es im Bericht.