Das Staatsunternehmen Bahn wurde also getäuscht. Und sogar weiter betrogen - womöglich auch von dem raffinierten Schienenspezialisten. Denn der soll die restlichen fünf Jahre zwischen Verurteilung und Ruhestand an herausgehobener Stelle im Konzern dazu genutzt haben, dubiose Geschäfte zu machen.
Auch Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Cromme ist wegen der Weiterbeschäftigung des Schienenpapstes unter Druck.
(Foto: dapd)Der offenbar unersetzbare Manager gilt als Schlüsselfigur bei einem im Frühjahr 2011 aufgeflogenen Schienenkartell. Thyssen-Krupp und andere Unternehmen hatten über viele Jahre hinweg die Preise für Schienen abgesprochen, zulasten der Deutschen Bahn und anderer Eisenbahngesellschaften. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt gegen mehr als 200 Beschuldigte. Einer von ihnen ist der Schienenpapst. Der bestreitet, beim Kartell dabei gewesen zu sein. Thyssen-Krupp glaubt dem eigenen Ex-Manager nicht - und verklagt ihn beim Landgericht Dortmund auf Schadensersatz.
Die Kartellaffäre hat den Stahlgiganten bereits mehr als 100 Millionen Euro Bußgeld gekostet. Hunderte Millionen Euro Schadensersatz könnten hinzukommen, die Bahn bereitet eine Klage vor. Jetzt also, da Thyssen-Krupp selbst in Bedrängnis kommt, greift die Konzernspitze gegen den Schienenpapst durch. Reichlich spät. Zu spät, wie eine interne Expertise nahelegt.
Der Aufsichtsrat hat kürzlich untersuchen lassen, ob dem Stahl-Vorstand und Schulz-Vertrauten Eichler Versäumnisse wegen des Schienenkartells anzulasten seien und daher Maßnahmen ergriffen werden müssten. Die Antwort zweier Gutachter: nein. In einer der beiden Expertisen wird aber gerügt, dass der Konzern den Schienenspezialisten "nach außen hin aus dem Verkehr gezogen", tatsächlich aber weiterbeschäftigt habe. Das sei "auffällig", schließlich sei der Mann durch seine Verurteilung "vorbelastet" gewesen.
Gute Kontakte zu Saubermann Gerhard Cromme?
Haben den geschäftstüchtigen Schienenpapst seine guten Kontakte bei Thyssen-Krupp geschützt? In den Ermittlungsakten zum Schienenkartell steht sinngemäß, der Spartenvorstand habe im Unternehmen geprahlt, ihm könne niemand etwas anhaben; er habe einen direkten Draht zu Vorstandschef Schulz und zum Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme.
Zu Cromme? Zu dem Manager, der den Saubermann der deutschen Wirtschaft gibt? Der die Regierungskommission "Deutscher Corporate Governance Kodex" geleitet hat, die Standards für saubere Unternehmensführung festlegt? Der nach dem Schmiergeldskandal bei Siemens dort als Aufsichtsratschef aufgeräumt und sich dabei öffentlich empört hat, der alte Vorstand von Siemens habe Korruption "gedeckt, geduldet oder gar initiiert"?
In Thyssen-Krupp-Kreisen heißt es, Cromme habe zum Schienenpapst nur ganz normale Kontakte gehabt, bei den Treffen von Führungskräften und bei anderen Besprechungen. Bis auf eine Ausnahme: An einem vom Schienenpapst anlässlich seines Abschieds vom Konzern veranstalteten Golfturnier habe Cromme teilgenommen. Der Aufsichtsratschef habe damals aber nicht gewusst, dass der angehende Ruheständler fünf Jahre vorher wegen Bestechung bestraft worden war und dass dieses Urteil später nach diversen Einsprüchen des Unternehmens bis hin zum Bundesverfassungsgericht rechtskräftig geworden war. Von dem Schmiergelddelikt habe Cromme erst 2011 erfahren, als das Schienenkartell aufflog.
Was die Frage aufwirft, wie gut sich der bei Siemens so energische Cromme um den eigenen Stahlkonzern gekümmert hat, den er als früherer Krupp-Mann geschmiedet hat. Es könnte eine ungemütliche Sitzung am Montag werden, wenn sich der Aufsichtsrat mit vielen Krisenthemen befassen muss: Milliarden-Verluste bei Stahlwerken in Übersee, kriminelle Kartelle, Schadensersatzforderungen, dubiose Geschäfte im Ausland. Und nun auch noch die ungewöhnliche Karriere eines dem Korruptiven nicht fernen Managers. "Es reicht", sagt einer, der ganz nah dran ist am Geschehen bei Thyssen-Krupp, über die Stimmung im Aufsichtsrat. "Das ist ja unerträglich, da muss aufgeräumt werden."