Konzernumbau:Großes Geschiebe bei Siemens

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"Ich freue mich, dass wir jemanden gefunden haben, der die USA nicht nur aus dem Urlaub kennt": Joe Kaeser verkündet neue Personalien. (Foto: Bloomberg)

Neue Strukturen, neue Köpfe, neue Ziele: Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser stellt das Ergebnis monatelanger Planspiele vor. Gut für ihn: Schlechte Geschäftszahlen geraten dabei in den Hintergrund.

Von Christoph Giesen, Berlin

Es ist noch gar nicht so lange her, da bemühte Siemens-Chef Joe Kaeser das alte Helmut-Schmidt-Zitat: "Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen." Nun hat er selber eine. Vision 2020 nennen sie die neue Strategie bei Siemens.

Es ist Mittwochmorgen, und gerade hat Kaeser sein erstes Fernsehinterview seit dem umstrittenen Putin-Besuch gegeben - er ist gut gelaunt. Vorne auf dem Podium in der Berliner Mosaikhalle sitzt er neben Finanzvorstand Ralf Thomas. Kaeser ist wegen der Strategie hier, Thomas, um das Zahlenwerk zu erklären, denn ganz nebenbei legt Siemens auch die Zahlen für das erste Quartal 2014 vor. Die sind nach Kaesers eigenen Worten "durchwachsen". Unterm Strich verdiente der Konzern in den drei Monaten zwölf Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, es war mehr erwartet worden. Der Auftragseingang ist um 13 Prozent geschrumpft, der Umsatz sank um zwei Prozent auf 17,4 Milliarden Euro. Zudem gibt es Projektbelastungen von mehr als 430 Millionen Euro.

Schuld ist mal wieder ein Großprojekt, diesmal keine Plattformen in der Nordsee, die zu spät fertig geworden sind, sondern zwei Übertragungsleitungen im kanadischen Bundesstaat Alberta. 310 Millionen Euro kostet das den Konzern. "Wenn Sie nun sagen, wir seien naiv gewesen, dann kann ich dem nicht widersprechen", sagt Thomas. Sein Glück: Diesmal interessieren die Zahlen fast niemanden. Selbst die sonst so detailverliebten Analysten wollen lieber das ganze, große Gemälde erklärt bekommen.

Teil von Kaesers Vision: ein Vorstand in den USA

Monatelang hatte der Führungszirkel daran gewerkelt, Organisationspläne aufgestellt und Abteilungen verschoben. Der 7. Mai, hieß es immer wieder, solle der große Tag werden, der Tag der Strategie, doch am Ende kumulierte sehr viel: Ende April trat Siemens in die Übernahmeschlacht um den französischen Industriekonzern Alstom ein, dann entließ Kaeser am Dienstagmorgen auch noch seinen Energievorstand. Bereits am Mittwochmorgen tilgten die ersten Siemens-Manager den Namen aus ihrer E-Mail-Signatur.

Die Nachfolgerin steht schon fest, sie heißt Lisa Davis, ist Amerikanerin und kommt vom Ölkonzern Shell. Sie wird ihren Dienstsitz in Orlando haben. In den USA, hat Kaeser ausgemacht, ist viel mehr Geld im Energiegeschäft zu verdienen. "Das ist der place to be", sagt er. Die boomende Schiefergasförderung, das sogenannte Fracking, findet zu 75 Prozent in den Vereinigten Staaten statt - bisher ohne den Konzern.

Ein Vorstand in den USA, das ist Teil von Kaesers Vision. In den kommenden Jahren sollen mehr Manager wie Lisa Davis das Geschäft aus dem Ausland führen. Bis 2020, so der Plan, sollen 30 Prozent der Divisionen und Geschäftseinheiten außerhalb Deutschlands angesiedelt werden.

Nicht nur im Energiegeschäft hat der Siemens-Chef Hand angelegt. Die vier bisherigen Sektoren, mit Ausnahme des Medizingeschäfts, werden in neun Bereiche aufgeteilt, statt vier Verwaltungen soll es nur noch eine zentrale geben. Auch neue Bezeichnungen haben sie sich bei Siemens ausgedacht: Statt Industrie, Energie oder Infrastruktur haben die Bereiche frische Namen bekommen, die nicht mehr nach alter Schwerindustrie, nach Mörtel und Kohlestaub klingen. Sie heißen: Mobilität, Energiemanagement oder Digitale Fabrik.

Vor allem in der Digitalisierung will Kaeser künftig mitmischen. "Die Digitalisierung ist kein Wert an sich." Die Aufgabe sei es, aus den Daten ein Geschäft zu machen. "Viele haben Angst vor Google, manche sprechen das auch aus. Wir haben keine Angst, aber Respekt", sagt er. "Unsere Maschinen, unsere Automatisierung, das ist der Ursprung der Daten."

Die neue Division soll sich richtig lohnen und sogar die bislang ertragsreichste Sparte Medizintechnik überflügeln. In der Medizintechnik wiederum gibt es Veränderungen, die Sparte wird verselbständigt, die Hörgeräte-Sparte soll an die Börse. Bislang ist das Geschäft mit den Computertomografen und MRT-Scannern überaus lukrativ. Doch wie lange noch? Der nächste Paradigmenwechsel stehe an, sagt Kaeser. Statt eine Krankheit nur noch zu diagnostizieren, werden Maschinen künftig bereits vor dem Ausbruch einer Krankheit erkennen können, ob jemand gefährdet ist zu erkranken. Noch steckt diese Technologie in der Entwicklungsphase, wer aber das Rennen macht, verdient Milliarden. "Wir waren einst in der Kommunikation weltweit führend, dann haben wir, vielleicht auch aus Arroganz, den Paradigmenwechsel verpasst", sagt Kaeser.

Diesmal will er vorbereitet sein. Durch den Umbau der Konzernarchitektur soll bis 2016 eine Milliarde Euro eingespart werden. "Ein Bürokratie-Abbau hat immer auch ein Gesicht", sagt Kaeser. Der ein oder andere Arbeitsplatz in der Verwaltung könne wegfallen. Vielleicht sind es 5000, vielleicht auch 10 000 Jobs, munkelt man unter den Beschäftigten. Genaue Zahlen gibt es noch nicht, der Betriebsrat ist in Alarmbereitschaft. "Wir werden damit sehr respektvoll umgehen", verspricht Kaeser.

Eigentlich hätte das Konzept Mission 2020 heißen sollen, erzählt einer, der dabei gewesen ist, doch was auf Englisch funktioniert und sehr dynamisch klingt, wirkt auf Deutsch doch eher sakral. Also Vision statt Mission?

Willy Brandt statt Papst Benedikt? Nach der Veranstaltung schlendert Kaeser zum Büffet, es gibt Currywurst gereicht in Schälchen aus Porzellan, die aussehen, als seien sie aus Pappe. Am Nebentisch steht seine Investor-Relations-Chefin. Kaeser fragt: "Und wie steht der Kurs?" Alles in Ordnung, mehr als zwei Prozent im Plus liegt die Aktie und das trotz der schlechten Quartalszahlen. Der Markt mag Visionen.

© SZ vom 08.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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